Keine Küsse für Professor Stein

Jeanette Wintersons Roman „Frankissstein“ strotzt von transfeindlichen Passagen – und wurde trotzdem für mehrere Literaturpreise nominiert.

Was haben Mary Shelleys Monster Frankenstein, Künstliche Intelligenz (KI) und trans Menschen gemeinsam? Sie tauchen in Jeanette Wintersons Roman „Frankissstein: A Love Story“ auf. Winterson verspricht eine Liebesgeschichte. Das ist der Roman nicht. Die Autorin stellt Frankenstein, künstlich belebte Körperteile und eine nicht-binäre trans Figur einander gegenüber. Sie ermöglicht damit unter anderem eine transfeindliche Lesart.

Winterson erzählt in „Frankissstein“ die Geschichte von Ry: ein*e trans Ärzt*in, die eine Affäre mit Victor Stein, Professor für KI, eingeht. Ry liefert Stein Körperteile für seine Experimente. Steins Begehren für Ry ist eng mit seinem Forschungsfeld verknüpft, mit seinem Verlangen nach einer körperlosen, menschlichen Existenz. Winterson beschreibt sein sexuelles Interesse an Ry an mehreren Stellen als Faszination für ihre Transformation und ihr Dasein als nicht-binäre Person. Mit Liebe hat das wenig zu tun. Stein sowie die anderen Buchcharaktere nehmen Ry mehr als Kuriosität denn als Mensch wahr. Die Tatsache, dass Winterson Rys Geschichte mit der Entstehung von Mary Shelleys „Frankenstein“ verknüpft, unterstreicht die Sicht auf trans Menschen als Bizarrerie. Das Monster und eine nicht-binäre trans Person miteinander zu assoziieren – und sei es nur indem man ihre Geschichten parallel in demselben Buch erzählt – ist problematisch.

„The idea that you can remake yourself is very seductive. And it’s now come to a point where, because of surgery and hormones, you can remake yourself. In a way it’s a harbinger of what’s to come… that human beings will be able to augment who we are and change our gender, make ourselves faster, cleverer“, kommentierte Winterson laut der Thomas Reuters Foundation im Mai 2019 die Themen ihres Romans und bezog sich mit der Aussage primär auf trans Menschen. Das Zitat verdeutlicht, dass Winterson trans Menschen als „remake“ ihrer Selbst begreift – ein diskussionswürdiger Blick auf Menschen, die in der Regel nicht an der Neuauflage ihrer Selbst, sondern nach der Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität streben.

Im Gespräch mit der Thomson Reuter Foundation macht Winterson auch keinen Hehl daraus, dass sie der Hormonbehandlung von trans Kindern entgegensteht. Die Jugend sei für alle eine verwirrende Zeit. In der Lebensphase einschneidende Entscheidungen über die Geschlechtsidentität zu treffen sei gefährlich. Die Autorin führt den Gedanken, dass trans Menschen Vorboten eines neuen Verständnis des Menschseins sind, in „Frankissstein“ ad absurdum und setzt sie durch ihre Erzählung mit den künstlich belebten Kreaturen in Steins Labor und Frankensteins Monster gleich.

Der Roman stand 2019 auf der Longlist des Booker Prize. 2020 landete er auf der Shortlist des The Comedy Women In Print Prize und auf der Longlist des The Polar Prize. Nach der Publikation überschlugen sich die positiven Kritiken. Es war von mutiger Provokation, von Ideenreichtum, von Humor die Rede. Das mag stimmen, doch auf wessen Kosten? Der Roman hat durchaus amüsierende Passagen. Die Idee über Körperlichkeit, Erotik und Liebe in Zeiten der Künstlichen Intelligenz nachzudenken, ist aktuell und durchaus interessant. Doch muss dafür ein trans Charakter ausgenommen und an den Pranger gestellt werden? Brauchen wir mehr Romane, die diskriminierende Denkformen wiederholen? Ganz davon abgesehen ist die Erzählung generell negativ konfus und völlig überspitzt. Winterson spielt sicherlich teilweise bewusst mit Klischees, will verstören, will empören – doch am Ende ist es zu viel des Guten.

Frankissstein: A Love Story, erschienen bei Penguin Books (2020) und Jonathan Cape (2019).


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