Syrer, Asylbewerber, schwul

Der Autor Khaled Alesmael erzählt in seinem Debütroman „Selamlik“* die Geschichte eines schwulen Syrers, der in Schweden Asyl sucht. Ein wichtiges Buch, trotz sprachlicher Schwächen und frauenfeindlichen Patzern.

Bildquelle: Albino Verlag

Schwules Leben in Syrien ist kein Thema, zu dem sich auf den Büchertischen Werke stapeln. Umso spannender ist es, was der Autor Khaled Alesmael in seinem Debütroman „Selamlik“ beschreibt: Badehäuser in Damaskus, in denen sich heterosexuelle und schwule Männer im Wasserdampf lieben; heruntergekommene Kinos, die Schwulen als Treffpunkt dienen oder Stadtparks, in denen sich potentielle Sexpartner unauffällig begegnen.

Der Roman beginnt mit dem Tod des Diktators Hafiz al-Assad im Jahr 2000. Der Erzähler Furat ist bei seiner Schwester zu Besuch, als ihnen die Nachricht im Fernsehen von einem Geistlichen vermittelt wird. Furat studiert zu dem Zeitpunkt englische Literatur an der Universität in Damaskus, lebt im Studentenwohnheim und schwärmt heimlich für seinen Zimmernachbarn Ali. Die Leser*innen folgen Furat durch die Straßen Damaskus und erleben mit ihm die ersten Jahre des Bürgerkriegs.

Furat lebt seine Homosexualität immer nur im Verborgenen aus. Die Angst, von islamistischen Rebellen dafür gejagt und getötet zu werden, ist seine ständige Begleiterin. Der Bürgerkrieg, der seit 2011 in Syrien wütet, setzt ihm darüber hinaus Seite für Seite mehr zu. „Mitte 2012 hielt ein Teufel Damaskus fest im Griff. Straßensperren der Militärpolizei durchschnitten die Adern der Stadt, die Bewohner wurden von Detonationen zerfleischt“, heißt es an einer Stelle. Bald muss sich Furat mit einem seiner Geliebten unters Bett werfen, um sich vor Schüssen vor seiner Haustür zu schützen. 2014 sitzt er dann mit anderen Asylsuchenden in einem Bus der schwedischen Migrationsbehörde auf dem Weg nach Nordschweden.

In der Asylunterkunft trifft Furat auf andere Männer, die ihre Geschichten der Flucht und des Leids mit ihm teilen. Sie sprechen von dramatischen Szenen, die weh tun. Furat selbst erzählt in Rückblicken von seinem Leben in Syrien und seiner anhaltenden Verzweiflung, beleuchtet sein komplexes Verhältnis zum Koran und zu seiner Religion. Dem Autor gelingt es, die Leidensgeschichten der Figuren erfahrbar zu machen. Ihre Heimat wird vom Krieg zerstört, in Schweden sind sie „die Flüchtlinge“ und Furat unter den homofeindlichen Männern in der Asylunterkunft verloren.

Der Autor Khaled Alesmael wuchs selbst in Syrien auf und studierte, wie seine Romanfigur, englische Literatur an der Universität in Damaskus. Er arbeitete als Journalist in Europa und im Nahen Osten, schrieb unter anderem für die Taz über syrische Flüchtlinge in Deutschland. 2014 beantragte er Asyl in Schweden, wo er heute als schwedischer Staatsbürger lebt. „Selamlik“ erschien dort im Jahr 2018 – teils auf englisch, teils auf arabisch.

2020 wurde die deutsche Übersetzung von Christine Battermann und Joachim Bartholomae im Albino Verlag veröffentlicht. Die überzeugt stilistisch nicht. Besonders den Sexszenen fehlt es sprachlich an Gefühl, an Eleganz. Was ebenfalls aufstößt, ist die Darstellung der Frauen: Sie tauchen mehrheitlich und unkommentiert als dem Mann unterwürfig, unfreundlich, als Mutter, Ehefrau oder Lustobjekt auf. Die Romanfigur Furat lenkt da nicht gegen, sondern geilt sich teilweise an den problematischen – weil herabwürdigenden – sexuellen Fantasien heterosexueller Männer auf, indem er sich an ihrer Lust ergötzt.

Trotzdem erzählt Alesmael eine wichtige Geschichte. Er ergreift das Wort für LGBTI-Menschen, die vor dem Krieg und offener Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität flüchten. Ein Bericht der International Lesbian, Gay, Bisexual Trans and Intersex Association (Ilga World) vom 15. Dezember 2020 belegt, dass Homosexualität aktuell allein in 69 der 193 UN-Mitgliedsstaaten unter Strafe steht, in sechs unter Todesstrafe. Die woxx berichtete in den vergangenen Jahren bereits mehrfach über die Situation queerer Asylbewerber*innen in Luxemburg. In Gesprächen mit dem Cigale war unter anderem die Rede von Repression in den Asylunterkünften und von der Scheu der Betroffenen, sich zu outen. Ihre Situation ist europaweit bedenklich, könnte sich in den nächsten Jahren aber durch die kürzlich veröffentlichte EU-Gleichstellungsstrategie verbessern: Nach der soll auch in Sachen Asylpolitik auf die Bedürfnisse queerer Menschen geachtet werden.

Der Albino Verlag veröffentlicht mit Alesmaels Roman jedenfalls ein weiteres Buch, das schwules Leben abseits der westlichen Kultur darstellt. Die Bücher des Verlags sind eine Bereicherungen für den Buchmarkt, der dadurch an Diversität gewinnt und Lebensrealitäten spiegelt, die meist unsichtbar sind. 2019 erschien in dem Zusammenhang auch Saleem Haddads Debütroman „Guapa“. Haddad beschreibt darin das Schicksal von Rasa, einem schwulen Mann in einer namenlosen arabischen Stadt. „Guapa“ zeichnet ein tiefgründiges Bild einer zertrümmerten Stadt und einer von Identitätskonflikten zerfleischten Persönlichkeit. Die woxx besprach auch dieses Buch ausführlich. Beide Publikationen ermöglichen einen interessanten Einblick in queeres Leben und den damit verbundenen Konflikten. Das gesamte Programm des Verlags gibt es hier.

*„Selamlik“ bezeichnet einen Teil des Hauses, der Männern vorbehalten ist.

Selamlik. Khaled Alesmael. Albino Verlag: 2020.


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