Kulturpolitik: Kommt nach dem Wahlsieg der Kulturkrieg?

Welche kulturpolitischen Grabenkämpfe kündigen sich in den Wahlprogrammen an? Worüber herrscht Konsens? Und was thematisieren die Parteien nicht? Ein Überblick.

Noch steht Sam Tanson (déi Gréng) dem Kulturministerium vor, doch wie könnte sich ein Regierungswechsel auf die Kulturszene auswirken? (Copyright: GilPe, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Ende Juni zog die amtierende Kulturministerin Sam Tanson (Déi Gréng) eine erste Zwischenbilanz des Kulturentwicklungsplans (Kep), den die Regierung 2018 unter dem damaligen Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Guy Arendt (DP), verabschiedet hatte. Bis dato wurde der Plan zu 60 Prozent umgesetzt; in fünf Jahren läuft er aus. Auf Nachfrage der woxx gab sich das Kulturministerium vor Monaten zuversichtlich: Ein möglicher Regierungswechsel nach den Parlamentswahlen am 8. Oktober gefährde die Unabhängigkeit des Kultursektors nicht. „Wir haben in dieser Legislaturperiode viel daran gearbeitet, unsere Häuser zu stabilisieren und zu professionalisieren“, hieß es. Unterschätzt das Ministerium damit die Tragweite kulturpolitischer Grabenkämpfe, die sich nicht zuletzt in den Wahlprogrammen offenbaren?

Erst im Juli hetzten Mitglieder der rechtskonservativen ADR in den sozialen Netzwerken gegen die Drag-Künstlerin Tatta Tom und ihre LGBTIQA+-Kinderbuchlesung in der Escher Bibliothek. Zwar erwähnt die ADR in ihrem Wahlprogramm queere Kultur nicht explizit, doch schreibt sie dort Sätze wie diesen: „[Si] doen der Konscht a Kultur, wéi allen anere Beräicher och, den Ideologie-Korsett un.“ Die Partei degradiert queere Geschlechtsidentitäten an anderer Stelle zur „Genderideologie“, woraus sich leicht eine Verbindung zum „Ideologie-Korsett“, in dem die Kulturpolitik angeblich steckt, herleiten lässt.

Kontra geben der ADR nur die Grünen: Déi Gréng wollen „queere Kultur sowie Drag als Kunstform unterstützen“. Ihre Herangehensweise bleibt jedoch unklar. Die restlichen Parteien verkennen durch ihr Schweigen das Potenzial queerer Kultur in Luxemburg, denn die Szene wächst. So gibt es seit Jahren das queere Kulturfestival Queer Little Lies oder die queer-feministische Filmreihe queer loox. Progressive Kulturhäuser binden LGBTIQA+-Themen regelmäßig in ihre Programmierung ein; darüber hinaus eröffnete im Mai das queere Kulturzentrum „Rainbow Center“ von Rosa Lëtzebuerg.

Von Gender zur „Cancel Culture“

Auch bei der Thematisierung der Geschlechterverhältnisse im Kulturbetrieb überlässt ein Großteil der Parteien den Rechten das Feld. Die ADR ist gegen jegliche Quote und den im Kep vorgeschlagenen „plan d’action en faveur de l’égalité femmes-hommes dans tous les domaines de la culture“. Gegenpositionen gibt es von Déi Lénk und Déi Gréng. Die Linke will gegen die Unterrepräsentation von Frauen in den Führungsetagen kultureller Institutionen vorgehen und für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei der Programmierung sorgen. Die Grünen fordern zusätzlich die paritätische Besetzung von Jurys und Verwaltungsräten. Auf beiden Seiten fehlt es allerdings an einer Strategie.

Was ebenfalls vor allem die rechtskonservativen Parteien bewegt, ist die kulturelle Meinungsfreiheit und somit auch der Umgang mit problematischen Werken oder Künstler*innen. Die „Cancel Culture“, also die vermeintliche Zensur, taucht bei der ADR und Liberté – Fräiheet auf. Für beide Parteien gilt Meinungsfreiheit, solange niemand diffamiert wird – aus ihrer Sicht, möchte man dem hinzufügen. Liberté legitimiert ihren Standpunkt anhand der Winnetou-Debatte.

Im Sommer 2022 war eine öffentliche Diskussion über Rassismus und kulturelle Aneignung entfacht worden, auch über den Umgang damit im Hinblick auf Werke wie Karl Mays Winnetou aus den 1890er-Jahren. Der Auslöser war, dass der Ravensburger Verlag zwei Begleitbücher zum Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou“ (2022) zurückzog. „De Winnetou huet eis an der Jugend begleet“, kommentiert Liberté dies. „Nimools hate mir d’Gefill gehat doduerch den ‹Indianer› (amerikaneschen Urawunner) ze diffaméieren – am contraire: hie war an ass en Held fir eis!“

Ein paar Zeilen weiter spricht sich die Partei gegen ein Verbot von Filmen und Büchern aus, dafür aber für die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte. Wie kritisch diese sein darf und welche Kulturproduktionen diffamierend sind, darüber wollen Parteien wie die ADR oder Liberté offensichtlich ohne Rücksicht auf marginalisierte Menschen entscheiden. Die ADR geht sogar einen Schritt weiter und verspricht in ihrem Wahlprogramm, die „Charte de déontologie“ zugunsten der Kunstfreiheit abzuschaffen. Die Charta wurde 2022 eingeführt und definiert unter anderem die angemessene Bezahlung für Künstler*innen nach Vorgaben aus dem Sektor oder die Berücksichtigung der Chancengleichheit. Bisher haben mehr als 126 Kultureinrichtungen diese unterzeichnet (Stand: Juli 2023).

Zwar äußern sich andere Parteien zur Kulturfreiheit und wollen diese in der Verfassung verankern, gezielt auf die kritische Aufarbeitung konfliktreicher Kulturproduktionen oder kultureller Debatten bezieht sich jedoch fast niemand. Eine Ausnahme bildet die Piratepartei, deren Forderung sich allerdings nur schwer auf einem politischen Spektrum verorten lässt: „Konscht war, ass a bleift ëmmer subjektiv. Dowéinst dierf de Staat sech net an d’Bewäertung vu Konscht amëschen. De Staat dierf och keng Form vu Konscht zenséieren, déi net zur Gewalt oprifft.“

Copyright: Pexels/Steve Johnson

Grundsätze und Details

Eine weitere Grundsatzdiskussion dürfte die Frage nach der Privatisierung oder der Verstaatlichung von Kulturhäusern in Luxemburg auslösen. Hier weichen besonders die Positionen der Rechten, der Linken und der KPL stark voneinander ab. Während die Linken und die Kommunist*innen gegen eine liberale Ideologie eintreten, legt die ADR den Rückwärtsgang ein: Sie will es den kürzlich zum „établissement public“ gekürten Kultureinrichtungen Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain, Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean, Rotondes, Théâtre National du Luxembourg und Trois-CL ermöglichen, wieder als private Institution zu funktionieren. Nur so sei ihre Unabhängigkeit gewährleistet.

Im Gegensatz dazu fordern die Linken, dass Kulturinstitutionen von öffentlichem Nutzen, aber derzeit unter privater Führung, zu öffentlichen Einrichtungen ernannt und mit den nötigen finanziellen Mitteln versorgt werden sollen. Auch in den Vorständen will die Partei den Einfluss des Privatsektors verringern, um der Kommerzialisierung von Kunst entgegenzuwirken. Die KPL ist noch radikaler: Sie optiert für die Verlagerung der Kulturereignisse auf die Straße und setzt sich für die Unterstützung alternativer Kultur ein, die außerhalb offizieller Institutionen stattfindet.

Uneins sind sich die Parteien auch, was weiterführende Kunststudien im Land betrifft. Die Linke, die Grünen und die ADR ziehen die Gründung einer Kunsthochschule in Erwägung. Die Piratepartei, die DP und die LSAP denken eher über die Ergänzung bestehender Fortbildungsangebote, universitärer Studiengänge oder Ausbildungsmöglichkeiten nach. Der Kep gibt eine ähnliche Richtung vor, denn dort ist die Ausweitung der Kulturfächer an der Universität Luxemburg vermerkt.

Kündigen sich bei den erwähnten Themen Konflikte an, herrscht bei anderen Sujets eher Konsens. So sind sich alle Parteien bis auf Volt, in deren Wahlprogramm kein Kapitel zu Kulturpolitik zu finden ist, einig, dass die Kulturschaffenden unterstützt und gefördert gehören. Die wenigsten benennen jedoch greifbare Ziele.

Bei Fokus nimmt die Kulturpolitik zum Beispiel allgemein nur einen kurzen Abschnitt des Wahlprogramms ein; die Förderung von Kulturschaffenden beschränkt sich auf eine undefinierte Erhöhung der Entlohnung. Die CSV verspricht die „richtigen“ Rahmenbedingungen für Kulturschaffende und Künstler*innen zu erarbeiten, doch anstatt dies zu vertiefen, greift die Partei lieber auf Floskeln wie „Kultur ist sinnstiftend“ zurück. Ähnlich unklar ist das Vorhaben der Pirate-
partei: Sie will die Kriterien für Fördergelder überarbeiten, da diese nicht auf alle Künstler*innen zutreffen würden.

Déi Lénk geht hingegen ins Detail. Die Partei will vor allem Anfänger*innen unterstützen, indem sie ihnen den Status des „intermittent du spectacle“ oder des „artiste indépendant“ im ersten Schaffensjahr unabhängig vom Bildungsniveau erteilen möchte. Die Partei tritt außerdem für die Reform des „carnet de travail de lʼintermittent du spectacle“ ein, mit dem freischaffenden Kulturakteur*innen ihre Arbeitsstunden dokumentieren müssen. Die Linke möchte hier die Auftraggeber*innen stärker in die Verantwortung nehmen. Neben zahlreichen weiteren Punkten zur Stärkung der freischaffenden Künstler*innen, fordern Déi Lénk auch eine Mindestgage für Musiker*innen, die elektronische Musik machen und die Schaffung von Langzeitengagements. Letzteres deckt sich mit einer Position der KPL: Die Kommunist*innen wünschen sich zwei feste Ensembles, damit Künstler*innen in Tanz und Theater die Aussicht auf einen Langzeitvertrag haben.

Im Vergleich hat die DP wenig Spannendes zu bieten, bis auf die Absicht, Ateliers und Wohnungen für Nachwuchstalente bereitzustellen. Die Demokrat*innen möchten in Absprache mit Gemeinden und Privateigentümer*innen zeitweise Räume oder leerstehende Geschäftsflächen für Künstler*innen anmieten. Besitzer*innen von Immobilien, die dieser Aufforderung nachkommen, sollen steuerlich entlastet werden. Darüber hinaus will die DP für weitere Ateliers und Residenzen sorgen. Vertraut die DP naiv auf die Bereitwilligkeit der Eigentümer*innen, nimmt die KPL in dem Zusammenhang die Gemeinden mit über 5.000 Einwohner*innen in die Verantwortung: Diese sollen kostenlose Kunstateliers für Menschen mit Behinderung, Kinder und Jugendliche sowie Kunstkurse für Erwachsene anbieten. Statt Räume zu mieten, wollen die Kommunist*innen die Kulturschaffenden zudem in die Planungsarbeiten für Kulturinstitutionen einbeziehen.

Die LSAP geht die Unterstützung der Kulturakteur*innen pragmatischer an, indem sie etwa die Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle für administrative Belange ankündigt oder finanzielle Unterstützung verspricht, wo diese ihr notwendig erscheint. Mit anderen Parteien hat sie gemein, dass sie bestehende Gesetze evaluieren möchte, so wie den reformierten Künstler*innenstatus oder den wieder eingeführten kulturellen Sonderurlaub.

Die Grünen wollen ebenfalls etwas überprüfen, und zwar das Rahmengesetz der Kulturförderung: Die Partei möchte eine rechtliche Basis für finanzielle Zuwendungen im Kulturbereich schaffen, die über das jährliche Haushaltsgesetz hinausgeht, und verbindliche, einheitliche Kriterien für die Vergabe festhalten. Davon abgesehen macht sich die Partei als eine der wenigen explizit für die gerechte Bezahlung der Kulturschaffenden stark. Gemeinsam mit den Kulturakteur*innen soll für jede Sparte eine Richtgage ausgearbeitet werden.

Die Parteien sind sich außerdem einig, dass die Gesetzeslage zum Denkmalschutz, den Bibliotheken und den Archiven in der kommenden Legislaturperiode überdacht und gegebenenfalls angepasst werden muss – auch wenn es hierzu ebenfalls verschiedene Schwerpunkte in den Wahlprogrammen zu entdecken gibt. Ähnlich verhält es sich mit der Demokratisierung von Kultur, denn jede Partei erwähnt zumindest kurz, dass sie Kultur möglichst vielen Menschen zugänglich machen möchte. Besonders ins Auge stechen hier die Programme der LSAP und der Grünen.

Die LSAP tritt zum Beispiel für eine Programmierung zusammen mit der Zivilgesellschaft ein sowie für einen inklusiven Kulturbetrieb. Hierfür wollen die Sozialist*innen Häuser subventionieren, die ihre Räumlichkeiten und Spektakel an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen anpassen. Déi Gréng steht für eine zielgruppenorientierte Kulturförderung, für eine barrierefreie Preispolitik, Infrastruktur und sprachliche Gestaltung der Events. Diejenigen, die im Kulturbereich unterrepräsentiert sind, sollen gezielt angesprochen werden. In diesem Sinne will die Partei auch Migrant*innen, Schutzsuchenden und Minderheiten in der ehrenamtlichen Kulturszene mehr Beachtung schenken.

Beachtung schenken wollen die Parteien aber auch dem Film Fund Luxembourg, der wiederholt wegen intransparenter Finanzen und unausgewogener Machtverhältnisse im Gespräch war. Der Rechnungshof legte zuletzt 2022 einen kritischen Bericht vor. Die DP, die mit dem Ministerium für Medien für den Film Fund zuständig ist, will lediglich den Forderungen des Rechnungshofs nachkommen, genauso wie die Grünen. Die CSV und die ADR sprechen von Kontrollen, wohingegen das allein der Linken und der Piratepartei nicht ausreicht: Déi Lénk will die Zuständigkeit für den Film Fund dem Kulturministerium übergeben; die Piratepartei fordert, dass das Kulturministerium gar die Verwaltung des Film Funds übernimmt.

Was war nochmal E22?

Und worüber sorgen sich wenige bis gar keine Parteien? Beispiele gibt es einige, so etwa die Nachbereitung des Kulturjahres Esch 2022. Nur die DP schreibt kryptisch, Luxemburg habe dadurch „sein Image über die Grenzen hinaus verstärkt“; die Grünen wollen immerhin die Weiterführung erfolgreicher Projekte garantieren. Ein weiteres Randthema ist die Nachhaltigkeit des Kulturbetriebs. Neben der DP und den Grünen, gehen nur noch die Linken darauf ein. Die DP hakt das Thema mit einem nichtssagenden Abschnitt zu „Green Culture“ ab; die Grünen und die Linken wollen Überproduktion vermeiden. Noch dazu setzen die Grünen sich für den Materialaustausch in der Szene ein. Ein entsprechendes Projekt ist bereits in Arbeit.

Machtmissbrauch in der Kulturszene thematisiert derweil gar keine der Parteien. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil die Abtei Neumünster, das Choreografiezentrum Trois C-L, die Theater Federatioun und die Association luxembourgeoise des professionnels du spectacle vivant (Aspro) im Juli die Website unmute.lu lanciert haben: Die Plattform dient als erste Anlaufstelle für alle, die nach Infos zum Thema suchen. Weitere Konferenzen, Bestandsaufnahmen sowie die Vernetzung von Künstler*innen sind geplant. Es besteht eindeutig Redebedarf vonseiten der Szene; ein Austausch mit dem Kulturministerium läuft Informationen der woxx nach ebenfalls.

Im Kulturpodcast „Um Canapé mat der woxx“ sind diesen Monat Marianne David und Luis Santiago von „CulturʼAll“ zu Gast und sprechen zum Thema „Fir eng sozial Kulturpolitik“. Der Podcast ist auf gängigen Streamingplattformen und woxx.lu verfügbar.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.