Luxemburger Strafvollzugspolitik: „C’est honteux“

In Luxemburg wird in puncto Kriminalität noch immer zu viel auf Repression und zu wenig auf Prävention gesetzt. Dieser Ansicht ist zumindest die Organisation „Eran, eraus … an elo?“.

Die Tabelle verhilft zu einem Überblick, die einzelnen Wahlprogramme sollten die Wähler*innen dennoch genau unter die Lupe nehmen. (Quelle: Eran, eraus … an elo?)

„Si on suit les débats, on se demande si les politiciens savent de quoi ils parlent. La lenteur et le laxisme qui existent ici sur des sujets de droits fondamentaux sont éclatants. C’est honteux.“ Diese Aussage fiel am Dienstag auf einer Pressekonferenz von „Eran, eraus … an elo?“. Insgesamt zwölf Fragen hatte der Verein an die im Luxemburger Parlament vertretenen Parteien geschickt. Die Auswertung (siehe Abbildung) zeigt ein größtenteils positives Bild. Déi Lénk und die Piratepartei erhalten von „Eran, eraus … an elo?“ ausschließlich grüne, nach oben gerichtete Daumen, die LSAP mit einer Ausnahme ebenfalls. Die anderen Parteien zeigen zwar weitaus weniger Übereinstimmungen auf, wirklich schlecht schneidet in der Tabelle allerdings niemand ab.

Wie an dem obigen Zitat von Gregory Fonseca deutlich wird, ist der Verein jedoch weit davon entfernt, zufrieden zu sein. Hauptkritik gilt den Grünen, die in der Analyse der Organisation die niedrigste Anzahl an grünen Daumen erhält. Der Paradigmenwechsel, wie er „Eran, eraus …an elo?“ vorschwebt, wird in ihren Augen spezifisch von den Grünen nicht in ausreichendem Maße angestrebt: „On continue à construire, à enfermer, et on détruit la société. On détruit les minorités.“

Den ersten von insgesamt vier gelb markierten schrägen Daumen erteilt „Eraus, eran … an elo?“ Déi Gréng bei der Frage nach Alternativen zum Freiheitsentzug. Zwar unterstreiche die Partei die Wichtigkeit solcher Alternativen, das entsprechende legislative Arsenal erscheine ihr zurzeit jedoch vollständig. Wenig ambitioniert sind sie auch bei der Frage, ob Bürger*innen beim Verfassungsgericht Klage einreichen dürfen. Während die DP und die CSV strikt gegen diese Option sind, bleiben Déi Gréng in ihrer Antwort vage und schreiben lediglich, sich einer entsprechenden Debatte nicht zu verschließen. In Deutschland etwa haben Bürger*innen die Möglichkeit beim Bundesverfassungsgericht Gesetze und Verordnungen auf eine potenzielle Verfassungswidrigkeit hin überprüfen zu lassen. Diese Möglichkeit gibt es in Luxemburg zurzeit nicht.

Um die Anzahl an Untersuchungshäftlingen zu reduzieren, ziehen Déi Gréng einerseits eine Bestandsaufnahme in Erwägung, andererseits sprechen sie sich für eine Verstärkung der Magistrate aus. Den vierten gelben Daumen gibt es beim Themenbereich „lenteur judiciaire“, wo sich die Grünen nur schwammig äußern und eher selbstlobend zurückschauen, als lösungsorientiert nach vorne zu blicken.

Auch drei rote, also nach unten gerichtete Daumen muss die grüne Partei einstecken. Und zwar weil sie (zusammen mit der DP) gegen die Einführung einer Evaluationskommission für die hiesigen Strafvollzugsanstalten ist und weil sie darauf besteht, Gefangenentransporte weiterhin durch Polizeibeamt*innen durchführen zu lassen.

In diesem letzten Punkt sind sich alle anderen im Parlament vertretenen Parteien einig, dass eine Änderung nötig ist: Der Position von „Eran, eraus … an elo?“ folgend sprechen sie sich dafür aus, Gefangenentransporte durch das Gefängnispersonal durchführen zu lassen. Bei dem Punkt „Maison de transition“ ist indes nicht ganz klar, womit sich die Grünen den roten Daumen verdient haben. Zwar äußern sie diesbezüglich eine allgemeine Skepsis mit der Begründung, solche Wohnungen riskierten, Betroffene zu stigmatisieren und ein „Gefängnis nach dem Gefängnis“ darzustellen. Sie schreiben aber zusätzlich, das aktuelle „programme de transition“ evaluieren und gegebenenfalls anpassen zu wollen. Damit sprechen sie sich also weder eindeutig für noch gegen Transitionshäuser aus.

Für „Eran, eraus … an elo?“ stellt das schlechte Abschneiden von Déi Gréng wohl kaum eine Überraschung dar. In einem vor zwei Wochen veröffentlichten offenen Brief an Justizministerin Sam Tanson übte die Organisation vehemente Kritik an der „grünen Strafvollzugspolitik“. Ein Kritikpunkt betrifft die mangelhafte Entlohnung von Gefängnisarbeit. „Eines der größten Probleme bei der erfolgreichen Resozialisierung ist zweifellos die unzureichende Entlohnung von inhaftierten Arbeitnehmern. Dies führt dazu, dass sie ohne ausreichende finanzielle Mittel aus der Haft entlassen werden“, so der Wortlaut im Brief. Was der Organisation vorschwebt ist ein „statut de travailleur péniten-
tiaire“, so wie es ihn auch in unserem Nachbarland Frankreich gibt, und die Möglichkeit, im Gefängnis eine Ausbildung zu absolvieren.

Anhaltender Kritikpunkt vonseiten von „Eran, eraus … an elo?“, der Menschenrechtskommission CCDH, Ombudsman Claudia Monti und auch des Anti-Folterkomitees des Europarats (CPT) sind die Haftbedingungen weiblicher Inhaftierter. So sei etwa die Arbeit, der Frauen in Luxemburger Gefängnissen nachgehen könnten, „stark stereotypisiert, repetitiv und wenig anregend“, heißt es in einem rezenten Bericht des CPT. Zu den möglichen Tätigkeiten zählen etwa Bügeln und Nähen. „Es wäre ein Zeichen fortschrittlicher, grüner Strafvollzugspolitik gewesen, die Haftbedingungen für Frauen signifikant zu verbessern“, schreibt „Eran, Eraus … an elo?“ dazu in ihrem offenen Brief.

Auch in Bezug auf die Haftentlassenen sieht die Organisation Handlungsbedarf. Zwar sei im aktuellen Koalitionsabkommen die Inbetriebnahme einer „Maison de transition“ angekündigt und von der Caritas ein entsprechendes Projekt ausgearbeitet worden, zu einer Umsetzung kam es bisher jedoch nicht. Es handle sich hierbei um „das größte Manko“ von Justizministerin Sam Tansons beinahe fünfjähriger Amtszeit.

Ein weiterer Kritikpunkt gilt dem Bau des Untersuchungsgefängnisses Ueschterhaff (CPU) in Sassenheim: „Dass Felix Braz 2014 das kontroverse Projekt des Baus eines neuen Untersuchungsgefängnisses durch das Parlament brachte, gehört zweifellos zu den gravierendsten Fehltritten der grünen Strafvollzugspolitik.“ Mit Verweis auf den Bericht des CPT argumentiert „Eraus, eran … an elo?“, dass die Untersuchungshaft stets nur eine „mesure de dernier recours“ sein dürfe und dass, wenn möglich, auf Maßnahmen des Freiheitsentzugs verzichtet werden müsse. Eine solche Möglichkeit stelle etwa das elektronische Armband dar, das hierzulande zwar erlaubt, aber nur in unzureichendem Maße zum Einsatz komme.

Am Dienstag hoben die Verantwortlichen der Organisation diesen Kritikpunkt erneut hervor. 170 Millionen Euro habe sich der Staat den Bau des CPU kosten lassen. Hinzu kämen die Kosten für das Personal. „On investit dans la répression, mais on n’investit pas dans la prévention. Comme 15 pourcent des détenus sont des petits dealeurs qui ont un problème de drogue, on aurait fait mieux d’investir les 200 millions d‘euros dans la construction de structures décentralisées afin de soulager l’Abrigado“, kommentierte Christian Richartz.

Unbegründete Angstmacherei

Was „Eran, eraus … an elo?“ vor allen Dingen sauer aufstößt, ist der Diskurs rund um die sich zuspitzende Sicherheitslage hierzulande. Vor allem die ADR und die CSV beklagen in ihren Wahlprogrammen eine dramatische Entwicklung der Kriminalität. Die ADR geht sogar so weit, zu behaupten: „Op ville Plazen am Land huet sech d’Situatioun esou degradéiert, datt vill Leit sech net méi dohintrauen. Och méi kleng Uertschaften si well scho vun där Plo betraff“. Statistisch belegen tut sie diese Aussage nicht. „Sur police.lu, les statistiques sont très claires: Il n’y a pas d’augmentation de criminalité durable et générale au Luxembourg“, rief Richartz am Dienstag in Erinnerung. Er habe deshalb kein Verständnis dafür, wenn Politiker*innen „ohne rot im Gesicht zu werden“, in Interviews das Gegenteil behaupteten. Manchmal frage er sich, ob Politiker*innen die Berichte der Polizei überhaupt lesen würden.

Wie in der Statistik der Polizei nachzulesen ist, handele es sich bei den meisten der hierzulande erfolgten Delikte um sogenannte „einfache Diebstähle“, also Diebstähle, im Rahmen derer kein Hindernis wie eine Tür oder ein Fenster durchbrochen werden musste. Bei 44 Prozent dieser einfachen Diebstähle, handelt es sich um Benzindiebstahl. „C’est pas ok de voler de l’essence, on est d’accord avec ça, mais il faut quand même arrêter à nous dire: Il y a à tous les coins des bandits qui veulent nous tuer. C’est faux.“

Darüber hinaus gab Richartz zu bedenken, dass sich Debatten über die Sicherheit in Luxemburg auf vier Orte beschränkten: das hauptstädtische Bahnhofsviertel, der Boulevard John F. Kennedy in Esch/Alzette, der Park in Differdingen und der Bahnhof in Ettelbrück. Es müsse damit aufgehört werden, die Situation am hauptstädtischen Bahnhofsviertel zum Argument zu nehmen, um Gesetze zu verschärfen. „Si les politiciens voulaient vraiment faire de la politique sécuritaire, ils arrêteraient à faire peur aux gens en disant qu’il y a une explosion de criminalité. Mais il faut gérer la criminalité différemment, avec tous les moyens qu’on a ici : avec le statut de travailleur pénitentiaire, avec les maisons de transition, un tribunal digne, des centres de thérapie. Il faut leur donner une perspective pour qu’ils ne récidivent pas“, so Gregory Fonsecas Schlussfolgerung.

Laut Zahlen des Justizministeriums liegt die Rückfallquote aktuell bei 27 Prozent. „Des 800, 900 personnes qui sont actuellement incarcérées au Luxembourg dans nos nombreuses prisons, environ 250 ne sont pas des délinquants primaires. De ces gens, on ne parle pas.“

„Comparution immédiate“

Von der aktuellen Debatte zur „comparution immédiate“ hält „Eran, eraus … an elo?“ herzlich wenig. „Nous sommes contre“, so das eindeutige Statement von Richartz. „Utilisons l’éventail législatif qui existe au lieu de sortir un fantôme avant les élections.“ Von den parlamentarischen Parteien haben sich die CSV, die DP und die ADR für ein solches beschleunigtes Strafverfahren ausgesprochen. Wie der Spitzenkandidat der CSV, Luc Frieden, am Samstag im Background auf RTL Radio erklärte, geht es seiner Partei dabei vor allem um den psychologischen und pädagogischen Effekt von imminenten Strafen. Ein Kind, das sich nicht benommen habe, bestrafe man immerhin auch nicht erst nach zwei Jahren. „Da kann d’Kand sech scho guer net méi drun erënneren an dat bréngt guer näischt.“ Die DP und die ADR ihrerseits argumentieren in ihren Wahlprogrammen mit der „Entlastung der Gerichte“, die durch eine „comparution immédiate“ gewährleistet werden soll.

„La comparution immédiate soulagerait les justices, mais au mépris des garanties fondamentales, des droits de la défense, des droits individuels“, meinte Fonseca am Dienstag hierzu. Das Fazit, das er und Richartz der Presse gegenüber zogen, war kritisch, aber dennoch optimistisch: „La prévention nécessite beaucoup de temps et beaucoup de moyens, mais avec un engagement beaucoup plus ciblé, elle pourrait contribuer à changer quelque chose.“

Die Tabelle von Eran, eraus … an elo? vermag es zwar einen kleinen Überblick über die Positionen der parlamentarischen Parteien zu geben, bei manchen Punkten mangelt es jedoch an der nötigen Nuancierung. So schlägt die ADR zwar Alternativen für den Freiheitsentzug vor, betont allerdings, dass dies nur für „ungefährliche Inhaftierte“ gelten dürfe. Wie sie zwischen gefährlichen und ungefährlichen Häftlingen zu unterscheiden gedenkt, präzisiert die rechtsextreme Partei allerdings nicht. Was in ihrer Antwort an Eran, eraus … an elo? zudem nicht steht, allerdings in ihrem Programm nachzulesen ist, ist die Streichung des Kindergeldes als eine Alternative zum Freiheitsentzug. Angesichts dessen, ist es erstaunlich, dass die ADR hier lediglich einen schrägen Daumen erhielt. Insgesamt legt die ADR ein fragwürdiges Verständnis von Jugendschutz an den Tag. So schreiben sie: „De Jugendschutz an eise Gesetzer gëtt esou opgebaut, datt en eng Verfolgung vu kriminelle Jonken net behënnert. Et ginn nei edukativ Moossnamen agefouert. D’Jugendschutzgesetzer sinn net do, fir jonk Krimineller virun der Police, der Justiz oder virun hirer eegener Verantwortung ze schützen“.

Und noch andere Aussagen wie etwa zum Datenschutz („Den Dateschutz ass fir d’ADR ganz wichteg, awer kee Fetisch“), zum Code de déontologie („Den ‘code de déontologie’ gëtt nei iwwerschafft, fir e manner politesch ze maachen a méi no un d’Realitéiten erunzeféieren“) oder Waffen („Dozou gehéiert och eng Revisioun vum Waffegesetz am Sënn vun enger méi grousser Liberaliséierung. Pefferspray soll, wéi an Däitschland, e legaalt Verdeedegungsmëttel ginn“) stehen in starkem Widerspruch zu der eher positiven Bewertung, die die ADR in der Analyse von Eran, eraus … an elo? erhält.


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