Menschenrechte 2018: Eine Odyssee

Geburtstagsreden sind oft zäh, langatmig und stinken nach Eigenlob. Nicht so die von Amnesty International zum 70. Jahrestag der Menschenrechtsdeklaration am 10. Dezember. Die Organisation hebt in ihrem Jahresbericht vor allem Aktivistinnen hervor.

Lorena Flores Agüero

2018 war für Amnesty International ein Jahr, in dem die feindliche Haltung gegenüber Frauen, Homosexuellen und Ausländer*innen auf politischer Ebene erneut bedenkliche Züge angenommen hat. Amnesty warnt, dass diese Entwicklungen die Rechte und Freiheiten der genannten Menschengruppen in Gefahr bringen könnten. Eine Gefahr, gegen die in den letzten zwei Jahren besonders aktivistische Frauen ein Zeichen setzten. Manche landeten deswegen hinter Gittern, so beispielsweise die Palästinenserin Ahed Tamini, die sich für die Rechte ihre Mitbürger*innen stark machte, oder Loujain al-Hathoul, Iman al-Nafjan und Aziza al-Yousef, die in Saudi-Arabien für Frauenrechte eintraten. Tragischer ist der Fall Mariella Franco: Die brasilianische Menschenrechtlerin wurde dieses Jahr ermordet.

Weltweit haben sich Frauen verstärkt gegen die repressiven Führungskräfte in Südafrika, Indien, Saudi-Arabien, dem Iran oder in Brasilien aufgelehnt. Auslöser war in den meisten Fällen die Gewalt gegen Frauen, wie etwa in Lateinamerika. Dort entwickelte sich die Protestaktion „Ni una menos“ 2016 zu einer Massenbewegung gegen genderspezifische Gewalt. Auch in Indien und Südafrika gingen tausende Menschen auf die Straße, um gegen sexualisierte Gewalt zu demonstrieren – in den USA, Japan und Europa gab es im Kontext von #Metoo vergleichbare Bewegungen. In Saudi-Arabien und im Iran gaben das Fahrverbot für Frauen und das Kopftuchgesetz Anlass zu Protestwellen, während in Argentinien, Polen und Irland Stimmung gegen die repressiven Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch gemacht wurde.

Die vielen unterschiedlichen, regionalen Bewegungen offenbaren, dass in puncto Menschenrechte, insbesonders Frauenrechte, noch zu viel Luft nach oben ist. „Und schlimmer noch, viele der derzeitigen Regierungen greifen mit ihren frauenfeindlichen und spaltenden Narrativen bestehende Frauenrechte wieder an“, schreibt der internationale Generalsekretär von Amnesty International, Kumi Naidoo. „Diese Politiker*innen argumentieren, dass sie Familieninteressen vertreten, indem sie traditionelle Werte schützen, doch in Wahrheit bringen sie eine Politik voran, die den Frauen gleiche Rechte verweigert.“ Die Rechte auf die er verweist, beziehen sich vor allem auf den Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, wie etwa die polnischen und guatemaltekischen zum Schwangerschaftsabbruch.

Der legale Schwangerschaftsabbruch unterliegt in Polen strengen Ausnahmeregeln. Er ist nur im Falle einer Vergewaltigung, bei Missbildung des Fötus oder der Gefährdung der körperlichen Gesundheit der Mutter erlaubt. Das Gesetz sollte 2016 sogar weiter verschärft werden und den Schwangerschaftsabbruch aufgrund von Missbildung ausschließen. Das Parlament lehnte das Gesetz ab. In Guatemala bangen Menschenrechtler*innen hingegen um 2019: Es ist denkbar, dass die Abgeordneten schon Anfang des Jahres positiv über den Gesetzesentwurf „Gesetz für das Leben und für die Familie”, des Abgeordneten Aníbal Rojas abstimmen – und somit eine härtere Strafe bei Schwangerschaftsabbrüchen für die Mütter, die ausführenden Organisationen sowie die Mediziner*innen, die Abschaffung der Sexualerziehung an Schulen und die Bekräftigung des Verbots gleichgeschlechtlicher Ehen absegnen.

Friede, Freude? Nix mit Kuchen

Auch, wenn 2019 ein weiteres Jubiläum ansteht, nämlich 40 Jahre Frauenrechtscharta (CEDAW), hält sich der Jubel dennoch in Grenzen. Nicht nur, weil Frauen immer noch stark unter struktureller Gewalt leiden, sondern auch, weil nicht alle Länder die Charta ratifiziert haben. Dazu zählen unter anderem der Vatikanstaat und die USA. Andere Staaten nehmen sich die Freiheit heraus, vereinzelte Bestimmungen zur Sicherheit der Freiheit von Frauen abzulehnen, die wesentlich für den Kampf gegen die Diskriminierung in ehelichen und familiären Beziehungen sind.

So beispielweise Ägypten, das aus religiösen Gründen Artikel 16 ablehnt. In dem heißt es: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau in Ehe- und Familienfragen.” Es folgen Grundlagen wie dasselbe Recht auf Eheschließung, die gleichberechtigte Wahl der Partner*in, die gleichen persönlichen Rechte als Ehegatten, einschließlich des Rechts auf die Wahl des Familiennamens, des Berufs oder einer Beschäftigung. Ägypten argumentiert: „This is out of respect for the sacrosanct nature of the firm religious beliefs which govern marital relations in Egypt and which may not be called in question and in view of the fact that one of the most important bases of these relations is an equivalency of rights and duties so as to ensure complementary which guarantees true equality between the spouses.” Weiter heißt es in der Anmerkung, die auf der Website der Uno eingesehen werden kann: „The provisions of the Sharia lay down that the husband shall pay bridal money to the wife and maintain her fully and shall also make a payment to her upon divorce, whereas the wife retains full rights over her property and is not obliged to spend anything on her keep. The Sharia therefore restricts the wife’s rights to divorce by making it contingent on a judge’s ruling, whereas no such restriction is laid down in the case of the husband.” Es ist ein Vorbehalt, der dem eigentlichen Sinn und Zweck des Übereinkommens widerspricht. Eine Randnotiz, die fundamentale Rechte der verheirateten Frau einschränkt. Umso wichtiger erscheint Amnestys Forderung, eine globale, vorbehaltlose Annahme des Übereinkommens anzustreben und zu verteidigen.

Naidoo bläst am Ende des Berichts keine Kerzen aus, sondern trägt der Organisation eine große und wichtige Aufgabe auf: „Amnesty International kann und sollte mehr für die Frauenrechte tun. An der Schwelle zum Jahr 2019 glaube ich, dass wir heute entschlossener denn je an der Seite der Frauenbewegungen stehen sollten, die vielfältigen Stimmen der Frauen verstärken müssen und für die Anerkennung all unserer Rechte eintreten sollten.“


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