Mobilität in den Wahlprogrammen: Verkehrswende gegen Verbrennerfetisch

Auch nach zehn Jahren blau-rot-grüner Regierungsarbeit ist Luxemburg ein Autoland. Manche Parteien wollen das auch gar nicht ändern – um PKWs und ihre Motorisierung ist ein Kulturkampf ausgebrochen.

Auf dem Fahrrad können einem Radargeräte nichts – manche Parteien sind dennoch gegen beide. (Foto: CC BY-SA MMFE/Wikimedia)

Die Corona-Pandemie hat in einigen europäischen Städten die Verkehrswende enorm beschleunigt. Ein Paradebeispiel dafür ist Paris. In der französischen Hauptstadt ist die Nutzung des Fahrrads im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahr um rund 37 Prozent gestiegen. Auch in Luxemburg gab es einen kurzfristigen Fahrradboom, der jedoch von der Politik nicht begleitet wurde. Wie vor den Wahlen 2018 bleibt in der Mobilitätspolitik der Tenor der meisten Parteien: „Es ist noch viel tun.“

Eine Forderung, die sich vor fünf Jahren in vielen Programmen wiederfand, war der kostenlose öffentliche Transport. Der wird Luxemburg auch weiterhin erhalten bleiben, denn keine Partei fordert eine Wiedereinführung von Gebühren. Gleichwohl meint die Piratepartei, diese Errungenschaft – die man auf die eigene Forderung nach einem „ticketlosen Personennahverkehr“ zurückführt – verteidigen zu müssen. Für alle anderen scheinen kostenlose Fahrten in Bus, Tram und Bahn bereits so sehr zu Luxemburg zu gehören wie Marienkult und Schueberfouer. Das heißt aber auch, dass eine aufmerksamkeitserregende Forderung weggefallen ist.

Auch die Tram war jahrzehntelang ein heiß umkämpftes Thema, mit dem die Parteien zu punkten versuchten. Als die woxx 2018 auf 30 Jahre GréngeSpoun und woxx zurückblickte, konnte sie auch auf „fast dreißig Jahre Bummelfahrt in der Transportpolitik“ zurückblicken. 2023 gibt es keine Partei mehr, die gegen eine Straßenbahn ist. Im Gegenteil fordern fast alle Parteien einen Ausbau des Netzes. Die ADR will beispielsweise nach Mamer, Wohnsitz ihres Präsidenten, und Capellen fahren, während die CSV zusätzlich das Tramnetz noch nach Niederanven, Munsbach, Sandweiler und Contern verlängern will. Déi Gréng wollen lediglich das umsetzen, was ihr Transportminister François Bausch im Nationalen Mobilitätsplan 2035 bereits vorgeschlagen hat: eine weitere Linie auf Kirchberg und die „schnelle Tram“ nach Belval. Die DP will neben diesen Plänen auch nach Junglinster, außerdem will sie überprüfen, ob die Nordstad eine Straßenbahn bekommen könnte. Sehr ähnlich sind auch die Pläne der LSAP, die jedoch zusätzlich noch Echternach und Grevenmacher mit einem schnellen Tram verbinden will.

Eine Tram in jedes Dorf

Die KPL will Tramstrecken dort, wo Zugstrecken nicht verlängert werden können, als Zubringer zur Eisenbahn. Déi Lénk will zusätzlich zu den bereits geplanten Tramlinien eine Verbindung nach Capellen und eine transversale Linie im Süden des Landes – von Petingen nach Düdelingen. Nicht so begeistert sind hingegen Fokus und die Piratepartei, die keine Pläne für den Ausbau des Straßenbahnnetzes präsentieren. Die paneuropäische Partei Volt sagt nichts über die Tram, im Kontext wird jedoch ersichtlich, dass sie den öffentlichen Verkehr fördern will. Erwähnt sei dann noch die Jugendpartei der ADR, „Adrenalin“, die im Gegensatz zu ihrer Mutterpartei einen Rückbau der Tram fordert und angibt, es sei „eine schwere Fehlentscheidung“ gewesen, diese oberirdisch zu bauen. Wer also junge Kandidat*innen der ADR wählt, kann sich nicht sicher sein, welche Haltung zur Tram diese wirklich vertreten werden.

Die ideologischen Grabenkämpfe werden im Jahr 2023 abseits der Tramstrecke geführt. Die Frage, welche Art von individueller Mobilität in welchem Maß möglich sein soll, schneidet durch die Parteienlandschaft wie die Autobahnbrücke der A7 durch das Alzettetal. Auf der einen Seite stehen ADR, Liberté, CSV, Fokus und zum Teil auch die DP und die Piratepartei. Sie fordern implizit eine autozentrierte Politik, die mit keinerlei Einschränkungen für Autofahrer*innen ganz einfach „nebenbei“ öffentlichen Verkehr und aktive Mobilität fördert. Dass eine solche Verkehrspolitik eher im Reich der Fantasie als im Großherzogtum Luxemburg stattfinden kann, dürfte den meisten dieser Parteien durchaus bewusst sein. Sie versprechen meist unterschwellig ein „Weiter wie bisher“, dem mit technischen Lösungen wie etwa mobilen Leitplanken (DP) oder alternativen Antrieben wie etwa Wasserstoff (Fokus) weitergeholfen wird. Während die DP lediglich die „freie Wahl“ betont, ist die CSV der Meinung, dass es „keine effiziente Mobilität ohne das Auto“ gäbe und fordert den Bau von Umgehungsstraßen, mehr Spuren auf Autobahnen und somit mehr Verkehr. Um Fahrradfahrer*innen zu erziehen, will sie allen Haushalten die relevanten Artikel aus der Straßenverkehrsordnung zuschicken. Die Piratepartei präsentiert in ihrem Wahlprogramm gleich zwei Mobilitätskapitel: eins für individuelle Mobilität und eins für öffentlichen Transport. Der Versuch, eine „Balance“ zu finden, führt jedoch dazu, dass der Status quo – eine autozentrierte Planung und Verkehrspolitik, die sich nur langsam in Richtung Nachhaltigkeit wandelt – erhalten bleibt.

CC BY-SA Stratoswift/Wikimedia

Verbrennungsmotoren für das Volk

Die ADR hingegen macht sich nicht nur im Wahlprogramm, sondern auch auf Plakaten für den Verbrennungsmotor stark. Sie lehnt ein Verbot ab und meint, dass das effizienteste Produkt sich am freien Markt durchsetzen würde. Da Elektroautos effizienter sind, stellt sich die Frage, warum die ADR krampfhaft versucht, den Verbrennungsmotor zu retten. Die Partei versucht ganz klar, die Diskussion um eine relativ technische Frage in einen Kulturkampf zu verwandeln: eine angebliche „grüne Verbotskultur“ gegen das eigene Bauchgefühl. Im ADR-Wahlprogramm liest man mehrmals, dass „das unkontrollierte Wachstum“ – ob Bevölkerungswachstum, Wirtschaftswachstum oder außer Kontrolle geratene Pilzzuchten damit gemeint sind, erfahren die potenziellen Wähler*innen nicht – bekämpft werden müsse und jede andere Maßnahme nur Symptomlinderung sei. Die ADR stellt außerdem die These auf, dass der öffentliche Transport „immer nur eine Ergänzung zum Auto bleiben“ könne. Zwischen den Zeilen liest man heraus: Mit dem Rad oder dem Bus fahren „die Anderen“, Alte, Kranke und Arme – gesunde Luxemburger*innen fahren im ADR-Weltbild mit einem lauten, stinkenden Auto.

Dieser Weltsicht diametral entgegen stehen LSAP, Déi Lénk, Déi Gréng, KPL und Volt. Sie fordern mit mehr oder weniger Vehemenz eine Abkehr von autozentrierter Verkehrsplanung hin der zu einer multimodalen Welt, in der öffentlicher Verkehr und aktive Mobilität eine stärkere Rolle spielen. LSAP und KPL legen die Priorität auf den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, allen voran die Eisenbahn. Die KPL fordert ein Ende der Zersiedlung und will eine bessere Raumplanung, um weniger Autos zu ermöglichen: „Der motorisierte Individualverkehr sollte im Stadt- und Ortskern auf ein Minimum beschränkt werden, vorausgesetzt, diese sind bequem an öffentliche Transportmittel angebunden“, heißt es im Wahlprogramm der Kommunist*innen. Eine Beschränkung des Individualverkehrs könne es jedoch erst geben, wenn eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr bestehe, so die KPL, die „Mensch und Umwelt“ in den Mittelpunkt setzen will. Die LSAP macht vor allem Vorschläge zur Verbesserung des öffentlichen Verkehrs, will aber auch das nationale Radwegenetz ausbauen und Platz für aktive Mobilität schaffen. Ähnlich sind auch die Vorschläge von Déi Lénk, die sich ebenfalls stark für den öffentlichen Verkehr interessieren. Die linke Partei fordert aber auch dazu auf, „die individuelle Mobilität neu zu denken“ und will im starken Kontrast zur ADR den Verbrennungsmotor progressiv abschaffen und sogar Autoherstellern Vorschriften machen, um „komplett überdimensionierte“ SUVs zu verbieten.

Und welche Vorschläge macht jene Partei, die die Luxemburger Verkehrspolitik in den letzten zehn Jahren am stärksten geprägt hat? Das Wahlprogramm von Déi Gréng liest sich wie eine Kurzzusammenfassung des Nationalen Mobilitätsplans. Das ist wenig überraschend, immerhin ist das in einem „grünen“ Ministerium entstanden und entspricht in etwa dem, was sich auch realpolitisch umsetzen lässt: Ausbau des Eisenbahnnetzes, die Reform des RGTR-Busnetzes vorantreiben, Fahrradfahren leichter und sicherer machen, Carsharing und Fahrgemeinschaften fördern, Fußgänger*innenwege komfortabler machen und ein „multimodales Straßennetz“ einrichten. Dass der Mobilitätsplan sich im Wahlprogramm wiederfindet, bedeutet auch, dass man darin eine lange Liste an Straßenbauprojekten lesen kann. Allerdings sind die meisten mit Projekten für den öffentlichen Verkehr, aktive Mobilität oder Verkehrsberuhigungen an anderer Stelle verbunden.

In Luxemburg werden auch viele kurze Wege mit dem Auto zurückgelegt. (Grafik: PNM 2035, Mobilitätsministerium)

Direktzüge oder Kurzstreckenflüge?

Die paneuropäische Partei Volt hat nicht nur ein für eine kleine Partei erstaunlich langes Wahlprogramm, sondern auch ein großes Kapitel über Mobilität. Programmatisch ist sie dabei klar im links-ökologischen Lager zu finden: Volt will mehr Shared Space-Lösungen, will Parkplätze zugunsten des Fahrrads und breiteren Gehwegen abschaffen und sieht „Fahrradfahren als Lösung“. Allerdings fällt auf, dass Volt sich wenig mit dem öffentlichen Verkehr beschäftigt und stattdessen Dezentralisierungsmaßnahmen fordert, damit mehr Arbeitsplätze mit dem Rad oder zu Fuß erreicht werden können.

Für den internationalen Verkehr will Volt einen Ausbau des europäischen Eisenbahnnetzes. Die Partei schließt sich damit einer Europäischen Bürger*inneninitiative ihrer europäischen Mutterpartei an: Unter dem Schlagwort „EuroTrain“ soll das Netz vereinheitlicht sowie mehr Hochgeschwindigkeits- und mehr Nachtzüge eingesetzt werden. Während sich die anderen Parteien nicht auf diese Initiative beziehen, so fordern doch alle eine bessere Anbindung an das europäische Zugnetz. Während der CSV eine schnellere Verbindung nach Brüssel reicht, will die LSAP auch schnell nach Straßburg. Déi Gréng wollen zusätzlich nach Saarbrücken, Basel, Zürich und mit dem Nachtzug nach Norditalien und Südfrankreich fahren können. Auch die ADR will mit dem Zug in die Hauptstadt des Saarlandes. Dazu sei angemerkt, dass François Bauschs Transportministerium der Idee einer neuen Bahnstrecke nach Saarbrücken lange Zeit die kalte Schulter zeigte. Die Piratepartei will Luxemburg an das europäische Nachtzugnetz angeschlossen sehen – zumindest im Sommer. Auch die DP hat Reisepläne: Brüssel, Amsterdam, Köln, Koblenz, Saarbrücken und Frankfurt sollen per „Schnellverbindung“ an das Großherzogtum angebunden werden, notfalls auch mit Luxemburger Kofinanzierung.

Auch wenn die Parteien diese Eisenbahnverbindungen als Alternative zu Kurzstreckenflügen sehen, so stellt doch keine den Flugverkehr grundsätzlich in Frage. Die DP betont sogar am Ende ihres Eisenbahnkapitels, wie wichtig ihr Flüge sind: „Trotzdem wird die DP sich auch im Bereich des Flugverkehrs für weitere Direktflüge zwischen Luxemburg und internationalen Wirtschaftszentren einsetzen. Auch dies ist ein Standortfaktor.“ Der Flughafen Findel soll etwa bei der Piratepartei „nachhaltig“ werden, der ADR ist vor allem wichtig, dass sie ihren Kulturkampf hier fortführen kann: Luxemburgische Ansagen über Lautsprecher, die Ansprache von lediglich zwei Geschlechtern auf Luxair-Flügen. Verschiedene Parteien betonen auch, weiterhin auf ein Nachtflugverbot setzen zu wollen.

In der Mobilitätspolitik gibt es wohl keinen Wahlkampf, in dem keine schrägen Ideen präsentiert werden: Die Piratepartei will Einschienenbahnen, Schwebebahnen und „Hyperloops“ auf ihre Machbarkeit überprüfen lassen. Auch Fokus begeistert sich für Monorails und will außerdem eine Studie über eine Seilbahn „über das Alzettetal“ prüfen lassen. Die meisten Parteien bleiben in ihren Vorschlägen jedoch ernst und orientieren sich erstaunlich oft am nationalen Mobilitätsplan. Was man dahingehend interpretieren kann, dass dieser besonders realistisch ist – oder aber ohne große Visionen.


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