Der Mouvement écologique hält die griechische Joghurtfabrik und das amerikanische Data Center für nicht nachhaltig. Wir analysieren seine Vorschläge für eine andere Wirtschaftspolitik.
Nein zur Joghurtfabrik, nein zu Google? Oder alles nehmen? Wirtschaftsvertreter warnen jedenfalls davor, bei der Diversifizierung allzu wählerisch zu sein. Der Mouvement écologique sieht das anders. „Die Frage ist nicht, ob Luxemburg es sich erlauben kann, Firmen abzulehnen, sondern ob wir die Politik des Weiterwachsens fortsetzen können, mit allen Problemen, die damit verbunden sind“, mahnte Präsidentin Blanche Weber am Montag bei der Vorstellung der Mouvement-Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik.
Kleinster gemeinsamer Rifkin
Zur Erinnerung: Mehrere Projekte zur Ansiedlung von Großunternehmen in Luxemburg waren in den vergangenen Monaten wegen der Umweltbelastung in die Kritik geraten. Im Falle der geplanten Joghurtfabrik in Bettemburg hatte die grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg den hohen Wasserverbrauch beanstandet, sehr zum Missfallen ihres LSAP-Ministerkollegen Étienne Schneider.
Er teile die Einwände der Grünen, lässt der Mouvement écologique wissen. Doch die Kompromisslösung der beiden Kontrahent*innen, dass die Joghurtfabrik ja noch vor der Rifkin-Studie geplant war, künftige Projekte aber „Rifkin-konform“ sein müssten, will der NGO nicht recht schmecken. Die „Philosophie der Rifkin-Konformität“ sei nicht der Weisheit letzter Schluss, denn sie gebe für sich genommen keine Antwort auf die Wachstumsfrage. Der Mouvement fordert, wie zuvor bei seiner Analyse der Rifkin-Studie, „eine öffentliche Grundsatzdebatte über die wünschenswerte wirtschaftliche Entwicklung Luxemburgs“.
Die Ansiedlung von Firmen aus der „Digital Economy“ wird von Regierung und Wirtschaft als besonders erstrebenswert dargestellt, weil diese einen hohen Mehrwert bringen und dafür relativ wenige Arbeitsplätze benötigen würden – statt die Zuwanderung, die Wohnungsknappheit und das Verkehrschaos noch zu verstärken. Der Mouvement aber bezweifelt den ökonomischen Nutzen von Google für das Großherzogtum und rechnet vor, was eine solche Politik für den Landverbrauch bedeuten würde.
Mehr Holz, weniger Renten?
Wenn jeder der laut Rifkin für 2030 vorgesehenen zusätzlichen 192.000 Arbeitsplätze in einer Anlage wie der von Google entstünde, so bräuchte man fast 16.000 Hektar statt der von der Landesplanung vorgesehenen 723 für Aktivitätszonen. Ganz klar: Dieses Gedankenexperiment unterstreicht die ökologische Fragwürdigkeit des Google-Projekts. Wirklich fair ist das Argument allerdings nicht: Solche Anlagen schaffen zahlreiche zusätzliche Arbeitsplätze bei Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen. Und vor allem: Mit ihrem – eigentlich nicht Rifkin-konformen – Paradigma des qualitativen Wachstums versucht die Regierung ja gerade, mit weniger Arbeitsplätzen als erwartet den gleichen Mehrwert zu erzielen. Diese Art des Wachstums klingt wie eine gute Idee, ist aber, wie wir bereits in früheren Beiträgen ausgeführt haben, am Ende trotzdem höchst fragwürdig.
Doch der Mouvement écologique kritisiert die derzeitige nicht-nachhaltige Wirtschaftspolitik nicht nur, er hält auch Gegenvorschläge bereit. Im Unterkapitel „Der regionalen Wertschöpfung eine wirtschaftspolitische Priorität einräumen!“ werden förderwürdige Sektoren wie die Holzproduktion, die Landwirtschaft und der Gartenbau aufgezählt. Ihnen sei „verstärkt eine Priorität einzuräumen gegenüber der Ansiedlung von globalen Akteuren“. Für mittelständische Betriebe wird die Stellung von Standorten und die Förderung von regional orientierten Vermarktungs- und Verarbeitungsstrukturen verlangt. Das macht klar, was für den Mouvement unerwünscht ist: industrielle Anlagen und ganz allgemein exportorientierte Firmen.
Dem Wirtschaftswachstum hinterherzujagen, wird häufig damit gerechtfertigt, dass die Luxemburger Sozialsysteme darauf angewiesen seien. Auch diesen Aspekt greift der Mouvement auf und will „die Frage der mittel- und langfristigen Finanzierung des Sozialsystems nicht länger hinausschieben“. Er spricht sich für alternative Finanzierungsmodelle aus – bis hin zu einer verstärkten Kapitalbesteuerung und der Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Und stimmt in das Gerede über Rentenmauer und Pyramidenspiel mit ein: Man müsse die Abhängigkeit der Sozialsysteme vom Wirtschaftswachstum jetzt angehen, statt es „auf kommende Generationen abzuwälzen“.
Fremdenfeindlichkeit nein, Relokalisierung ja!
Dabei spielt das Wachstum eigentlich nur für das Rentensystem eine wichtige Rolle – und da verfügt Luxemburg über einen Kompensationsfonds, der Anpassungen abfedern kann, wenn sie fällig werden. Das System an sich ist außerordentlich stabil und könnte ein schwächeres Wachstum durchaus verkraften – wie zum Beispiel der französische Ökonom Henri Sterdyniak in der woxx-Nummer 1116 dargelegt hat. Man verkennt die Natur des Umlageverfahrens, wenn man angesichts der von liberaler Ideologie geprägten Berechnungen in die Panikmache einstimmt. Kommende Generationen werden durch versäumte Infrastruktur-Investitionen und irreversible Umweltschäden belastet, nicht durch ein mit der Wirtschaftsentwicklung evoluierendes Rentensystem.
Da auch rechtspopulistische Strömungen die Ablehnung der wirtschaftsliberalen Globalisierung und die Zukunftsängste aufgreifen, ist der Mouvement écologique bemüht, sich von diesen abzugrenzen. Glaubwürdig ist das allein schon deshalb, weil er beim Verfassungsreferendum klar Position zugunsten einer Ausweitung des Wahlrechts bezogen hatte. Auch seine Kritik am Steuerwettbewerb und die Betonung von Luxemburgs Verantwortung bei der Klimapolitik bezeugen, dass Skepsis gegenüber der Globalisierung globales Denken keineswegs ausschließt.
Innerhalb der NGO scheint sich eine grundsätzliche Absage an Wachstum, Industrie und Export durchzusetzen: „Ein kleines Land wird nie ein ‚global player‘ (…) besser setzt man auf eine ökologische Nische und fördert die regionale Wertschöpfung“, urteilte die Mouvement-Vizepräsidentin Béatrice Kieffer bei der Pressekonferenz. Ist die Verwandlung der Wirtschaftslokomotive Luxemburg in ein Hinterland, eine Art „Province de Luxembourg bis“, wirklich so erstrebenswert? Bei einer Veranstaltung der NGO Ende 2016 hatte der Ökonom Reinhard Loske die Möglichkeit eines selektiven Wachstums dargelegt. Könnte Luxemburg nicht als wirtschaftliches Zugpferd im Zentrum des ökologischen Umbaus der Großregion stehen? Theoretisch schon … Doch sieht man sich das vergangene Politikversagen in strategischen Fragen an, so ist die Resignation des Mouvement durchaus verständlich.