Online-Programm: Weiße Tauben und Corona

Das Mudam holt Videokunst aus seiner Sammlung hervor: Das Online-Screening-Programm „Contact Tracing“ thematisiert Begegnungen und will eine Brücke zur Corona-Pandemie schlagen. Die schwankt allerdings erheblich.

In „White Dove“ von Jack Goldstein ist die Taube nicht greifbar – während der Coronakrise sind es andere Dinge, die einem entgleiten oder in weite Ferne rücken. (Copyright: Jack Goldstein)

„Contact Tracing ist ein Online-Screening-Programm mit Werken aus der Sammlung von Künstlerfilmen und -videos des Mudam (…). Anhand der hierfür ausgewählten Arbeiten lässt sich ermessen, wie sich unser Verhältnis zum Phänomen des Kontakts im Zuge der Covid-19-Pandemie verändert hat (…)“, steht in der Beschreibung zum Programmm „Contact Tracing“ des Mudams. Wer auch immer den Text geschrieben hat: Vielen Dank. Ohne die Angabe würde sich einem das Konzept des Programms nicht erschließen. Mit Interpretationsschlüssel drängt sich der Eindruck auf: Jemand wollte unbedingt einen Beitrag zu Kunst und Corona leisten. Dafür wurden die dreizehn Werke auf eine Weise ausgelegt, die nur mit Mühe nachvollziehbar ist.

In „White Dove“ (1975), einem Video-Essay von Jack Goldstein, kommt das „Phänomen des Kontakts“ nicht zustande: Eine weiße Taube hockt auf einer Sitzstange, bis zwei Hände sie umschließen wollen. Sie fliegt davon. Die Hände verharren einen Augenblick verloren und einsam in der Luft. Das Mudam spricht von einem „Gefühl des nicht Greifbaren“, das in dem Video zum Ausdruck kommt. Nicht greifbar oder nicht zur Berührung empfohlen ist in der Pandemie vieles: Türklinken, Hände, Theorien von Schwurbler*innen, Gefühle wie Angst oder Verunsicherung.

Auch „La Cumbia“ (1999) lässt sich mit Corona in Verbindung bringen, wenn man ganz genau hinschaut. Was aussieht wie ein Verschnitt von Hulk – ein grüner Koloss aus den Marvel-Comics –, entpuppt sich als Künstler: David Zink Yi tanzt, von Kopf bis Fuß in grüne Farbe getaucht, mit seinen Fingern über seinen Körper. Der wird zur Landschaft, die Finger zu Beinen. Es ist ein Moment der Entfremdung und der Erforschung des eigenen Körpers. Das erleben einige Menschen sicherlich auch seit Ausbruch der Pandemie: Das Bewusstsein um die eigene Verwundbarkeit ist gewachsen, genauso die Sorge um sich und andere.

Mark Lewis’„Spadina: Reverse Dolly, Zoom, Nude“ (2009) greift ebenfalls Motive der Pandemie auf. Lewis filmt einen Baum, ein Hochhaus und am Ende eine nackte Puppe, die teilnahmslos auf einem Balkon steht. Die Glücklichen, die sich während der Ausgangssperre auf einer Terrasse die Füße vertreten konnten, verstehen die Puppe vermutlich.

So lässt sich in fast jedes Video Corona hineinlesen, wenn man denn will. Nur warum olle Kamellen aus der Sammlung hervorkramen, deren Verbindung zu Corona nur nach Hinweis der Kurator*innen Lauren Wetmore und Joel Valabrega sichtbar wird? Warum nicht einen Vergleich zwischen alten und rezenten künstlerischen Produktionen wagen und erörtern wie sich die Auseinandersetzung mit Kontakt, Distanz oder Verlust verändert hat?

Werke aus der eigenen Sammlung auszustellen, ist gut. Vor allem wenn sie deren Vielfalt und Multikulturalität offenbaren. Dafür braucht es aber nicht auf Biegen und Brechen einen aktuellen Aufhänger. Das Mudam verspricht damit nämlich etwas, was es am Ende nur bedingt halten kann: Anhand der ausgewählten Arbeiten lässt sich nicht „ermessen, wie sich unser Verhältnis zum „Phänomen des Kontakts (…) verändert hat (…)“, sondern nur feststellen, dass Künstler*innen sich seit jeher damit auseinandergesetzt haben – und das ist nun wirklich nichts Neues.

Contact Tracing. Online-Screening-Programm. Bis zum 6. September auf mudam.lu

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