Orange Week: Kartheiser zum Dritten (2)

In einer dritten parlamentarischen Anfrage zur Orange Week 2019 wendete sich Fernand Kartheiser an das Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern (MEGA). Seine Befürchtung: Männliche Gewaltopfer werden ignoriert.

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Nachdem der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser Premierminister Xavier Bettel ein zweites Mal zu seiner Meinung bezüglich des Engagements der Großherzogin und zu seiner Sicht auf Menschenrechte mit Fragen gelöchert hatte, klagte er in einer parlamentarischen Anfrage an Bettel und die Ministerin für Gleichstellung von Frauen und Männern, Taina Bofferding,  über die Vernachlässigung der 33,9 Prozent (Stand: 2018, Wert gemessen an den polizeilichen Interventionen) männlicher Gewaltopfer im Zuge der Sensibiliserungskampangen gegen häusliche Gewalt. Die Minister*innen widerlegen die Befürchtung des Deputierten in ihrer gemeinsamen Antwort wiederholt.

Die Regierung hat bereits mehrere männerspezifische Aktionen zu häuslicher Gewalt mitgetragen, beziehungsweise die Schaffung von Beratungszentren für Betroffene unterstützt. So zum Beispiel die Konferenz „Mensch Mann“ (2011), die Schaffung der Beratungsstelle „infoMann“ (2012) oder einen Workshop im Rahmen der dritten internationalen Konferenz zum Thema Männer und Gleichstellung (2016). Vergangenes Jahr wurde in der Gemeinde Sanem darüber hinaus der Diskussionsabend „Gewaltopfer, Gewalttäter: Ass Gewaltbereetschaft ofhängeg vu Geschlecht, Alter a sozialem Ëmfeld?“ von der „Commission de l’égalité des chances et diversité” organisiert: Eine Veranstaltung, die die Thematik anhand unterschiedlicher Redner*innen beleuchtete. Männer wurden dabei nicht ausschließlich in die „Täter-Schublade” gesteckt. Männliche Gewaltopfer und die Scheu vieler Männer, sich als Opfer von Gewalterfahrungen zu bekennen, wurden thematisiert.

Davon abgesehen hat das MEGA in den vergangenen Jahren mehrere geschlechtsneutrale Kampagnen gegen häusliche Gewalt in Eigenregie durchgeführt, wie zum Beispiel „La violence nuit à toute la famille“ (2012) oder eine Informationskampagne rund um die Istanbul-Konvention. Letztere legt Luxemburg übrigens nicht nur auf Frauen und Mädchen, sondern auch auf Jungen und Männer aus. Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention im Jahr 2018 wurde der Kampf gegen häusliche Gewalt im Allgemeinen in der luxemburgischen Gesetzgebung verankert. Im Zuge der Ratifizierung wurde ausführlich über Gewalt, die Gesetzeslage und die Beratungsstellen für Opfer informiert. Zur Erinnerung: Die ADR hatte sich gegen die Ratifizierung ausgesprochen.

Mit dem Gesetz zu häuslicher Gewalt (30. Juli 2013), das an und für sich geschlechtsneutral ist, wurden bereits im Vorfeld unter anderem die Schutzmaßnahmen im familiären Kontext erweitert, die Dauer der Hausverweisung für Täter*innen von 10 auf 14 Tage erhöht und die Täter*innen gesetzlich dazu verpflichtet, bei der Täter*innenberatung Riicht eraus vorstellig zu werden. In demselben Jahr wurde die zweijährige Studie „Les causes de la violence domestique au Luxembourg” eingeleitet, die vom Luxembourg Institute of Health (LIH) durchgeführt wurde. Die Studie erörtert die Ursachen häuslicher Gewalt und umfasst die Perspektive der Opfer, der Täter*innen sowie die der eingreifenden Berufsgruppen (Polizei, Sozialarbeiter*innen, Magistrat*innen). Auf Grundlage der Ergebnisse wurden zehn Empfehlungen formuliert, die mitunter zur  Verbesserung des Opferschutzes und zur Einführung der sogenannten „Afferambulanz” führten.

Für und über die Opfer

Fälle häuslicher Gewalt bleiben trotz aller Maßnahmen und Kampagnen nach wie vor nicht aus. Frauen und Männern in Not stehen mehrere Unterkünfte in Luxemburg zur Verfügung, um sich aus dem Gefahrenfeld zurückzuziehen. Männer finden landesweit in 28 Unterkünften Zuflucht. Die zuständigen Organisationen sind infoMann, Riicht eraus, Fondation Maison de la porte ouverte und Caritas. Für Frauen gibt es 208 Unterkünfte.

Kartheiser mag Recht haben, wenn er ferner schreibt, die Dunkelziffer männlicher Gewaltopfer sei sicherlich hoch. Dasselbe gilt allerdings auch für weibliche Opfer, was Kartheiser in seinem Schreiben nicht bedenkt. Die Tatsache, dass sich grundsätzlich weniger Männer als Frauen als Opfer outen, ist aber weniger Veranstaltungen wie der Orange Week als vielmehr einem gesellschaftlichen Problem geschuldet. Auch die Minister*innen betonen in ihrer Antwort an Kartheiser, wie wichtig es ist, den Abbau geschlechtsspezifischer Stereotypen zu fördern. Stereotype spielen auch im Kontext häuslicher Gewalt und im Sprechen darüber eine erhebliche Rolle. An der Universität Luxemburg läuft in diesem Rahmen derzeit ein Forschungsprojekt: Seine Zielsetzung ist es, geschlechtsspezifische Vorurteile und normative Vorstellungen zu analysieren und zu hinterfragen. Etwas, das auch Francis Spautz, Psychologe und Leiter der Beratungsstelle infoMann, bereits letztes Jahr anlässlich des Diskussionabends in Sanem und im Gespräch mit der woxx forderte.

Ähnlich wie es Bettel beschreibt, schließen Kampagnen gegen die Gewalt gegen Frauen und Mädchen grundsätzlich aber auch nicht aus, dass sich mit männlichen Gewaltopfern auseinandergesetzt wird. Aus Kartheisers Fragenkatalog geht nicht hervor, inwiefern er selbst bereit wäre, einen entsprechenden Diskurs konstruktiv voranzutreiben. Momentan hält er sich in dem Kontext lieber damit auf, Informationen zu den staatlichen Fördergeldern zu sammeln, die dem „Nationale Fraerot” (rund 2.079.280 Euro seit 2013) und dem „CID – Fraen an Gender” (rund 2.795.398 Euro seit 2013) zugutekommen. 2018 unterstützte das MEGA die Orange Week mit 21.784 Euro. Auch das wollte Kartheiser wissen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.


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