Mit der Ausweitung des Platzverweises gibt die Regierung dem Druck von rechts nach. Völlig zufrieden ist aber niemand.
„Der Platzverweis ist Quatsch.“ Mit diesem Satz wurde im August 2018 der damalige Minister für innere Sicherheit, Etienne Schneider (LSAP), vom Télécran zitiert. Der Minister war gefragt worden, weshalb der von der CSV geforderte Platzverweis nicht eingeführt worden war. Gemeint ist damit die polizeiliche Befugnis, Menschen auf befristete Zeit eines bestimmten Ortes zu verweisen. Als „komplett überbewertet“ bezeichnete Schneider diese Maßnahme dem Télécran gegenüber und verwies auf die luxemburgische Verfassung, laut derer „jeder in diesem Land sich frei bewegen kann“.
Was Schneider nicht abstritt, war, dass Luxemburg bereits über eine Art Platzverweis verfügt. Allerdings beschränkt sich dieser auf von der Polizei ausgerufene Sonderzonen, die eine Gefahrenlage voraussetzen, sowie auf öffentliche Transportmittel: Wer einer Ermahnung des Personals nicht Folge leistet, kann mit einem maximal einjährigen Verweis aus Bus, Tram und Zug bestraft werden.
Weiter wollte die Regierung bisher nicht gehen, das Konzept eines Platzverweises floss demnach auch nicht in die Polizeireform von 2017 und 2018 ein. Dabei hatte die CSV nichts unversucht gelassen; eine von ihr im Februar 2017 vorgeschlagene Motion wurde jedoch abgelehnt. Es ging dabei um die Möglichkeit, Bettler*innen aus den Einkaufsstraßen zu verweisen. Sie schäme sich, überhaupt über eine solche Forderung diskutieren zu müssen, sagte Viviane Loschetter (Déi Gréng) damals im Plenum, habe sie doch einzig die Stigmatisierung einer bestimmten Personengruppe zum Ziel. Einzig die ADR sprach sich ebenfalls für einen Platzverweis aus.
Knapp vier Jahre später ist alles anders: Ein 2021 deponierter Gesetzentwurf, der den Platzverweis ausweiten soll, befindet sich auf dem Instanzenweg. Die von Etienne Schneider verteidigte Bewegungsfreiheit zu respektieren, ist der Regierung nach wie vor wichtig: „Le texte proposé est par conséquent plus respectueux des libertés fondamentales par la création d’un contexte clair qui exclut l’arbitraire. La mesure respecte la proportionnalité, même si elle restreint la liberté de circuler des uns, elle le fait de la façon la moins intrusive possible afin de garantir les libertés de circuler des autres.“
Könnte es sein, dass dieses Gesetz nur Symbolpolitik ist, mit welcher eine bestimmte Wählerschaft angesprochen werden soll?
180-Grad-Wende
Während die einen von einem „Platzverweis light“ sprechen, zieht der aktuelle Minister für innere Sicherheit, Henri Kox (Déi Gréng) die Formulierung „garantie d’accès“ vor: Demnach ginge es der Regierung nicht darum, Obdachlose und Drogendealer*innen zu vertreiben, sondern darum, den Zugang zu öffentlichen und privaten Gebäuden sicherzustellen. „Lorsqu’une personne entrave ou bloque l’entrée ou la sortie accessible au public d’un bâtiment public ou privé de sorte à entraver la liberté de circuler d’autrui, la Police peut rappeler à l’ordre la personne de désentraver ou débloquer les lieux“, so der Wortlaut des Gesetzentwurfs. Falls die betroffene Person nicht reagiert, können die Beamt*innen ihr befehlen, den Ort zu verlassen. Notfalls können sie dazu auch zu Gewalt greifen.
Völlig überraschend ist dieser Gesetzesvorschlag nicht. Zwar hatte die DP ihre Pro-Platzverweis-Position innerhalb der Koalition aufgegeben, einzelne Parteimitglieder, allen voran die hauptstädtische Bürgermeisterin Lydie Polfer, sprachen sich jedoch weiterhin dafür aus. Auch die Polizeigewerkschaft SNPGL gehört zu den lautstarken Verfechter*innen dieser Maßnahme. Sie sehen den Platzverweis als Präventionsmaßnahme: So könne die Polizei einschreiten, noch bevor es zu einer Straftat komme.
In den vergangenen Jahren wurde der Druck auf die Regierung immer größer – ein hausgemachtes Problem: Statt auf die von den „Garer“ Anwohner*innen beklagte Sicherheitsabnahme mit sozialen Maßnahmen und Sensibilisierung zu reagieren, setzten die politischen Verantwortlichen vor allem auf Repression. Zwar zeigte das im Oktober 2021 vorgestellte Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Drogenkriminalität, dass man aus vergangenen Fehlern gelernt hatte, dieses sah jedoch neben vielen sozialen Maßnahmen auch eine verstärkte Kameraüberwachung und Polizeipräsenz sowie eine Ausweitung des Platzverweises vor.
Mehr Kritik als Lob
Mit diesem Gesetz kommt die Regierung einer Forderung der SNPGL nach: Ein Platzverweis ist auch dann möglich, wenn keine akute Gefahr besteht. Dass sich das Gesetz auf Eingänge beschränkt, ist der Gewerkschaft jedoch ein Dorn im Auge. Ein „halber Platzverweis“, wie sie ihn nennt, erhöhe lediglich den Arbeitsaufwand der Polizei, ohne aber das eigentliche Problem zu beheben.
Auch der Stater Geschäftsverband ist skeptisch. Dem Luxemburger Wort gegenüber erklärte dessen Präsidentin Mireille Rahmé-Bley im Dezember 2021, dass sich das Problem damit nur verlagere. Die betroffenen Personen säßen dann zwar nicht mehr vor Eingangstüren, sie seien jedoch nicht daran gehindert, sich vor Schaufenstern niederzulassen. „Und das könnte dann dazu führen, dass die Kunden das Geschäft meiden, weil sie sich eventuell nicht trauen, das Schaufenster zu begutachten“, so die Befürchtung von Rahmé-Bley.
Kritik äußerte auch der Staatsrat in einem im April veröffentlichten Gutachten. Die Formulierung „accessible au public“ widerspreche dem Umstand, dass sich das Gesetz auch auf Privatgebäude beziehe. Zudem warf der Staatsrat die Frage auf, weshalb sich im Gesetz auf Eingänge zu Gebäuden beschränkt werde und nicht etwa auch Parkeingänge mit einbezogen würden. Entsprechende Nachbesserungen am Text sind bereits vorgesehen.
Weniger wahrscheinlich ist dagegen, dass der Kritik der konsultativen Menschenrechtskommission Rechnung (CCDH) getragen wird. Diese hatte vor zwei Wochen die Existenzberechtigung des Gesetzes als solches in Frage gestellt: „La CCDH regrette que cette mesure renforce les stigmas envers ces personnes sans permettre d’apporter des réponses au fond du problème : la précarité sociale et financière de ces personnes.“ Die Besänftigung eines subjektiven Unsicherheitsgefühls stelle keine Legitimierung für Menschenrechtsbeschneidungen dar, argumentiert die Kommission. Sie äußert die Befürchtung, dass dieses Gesetz den Weg für Maßnahmen ebnen könnte, die einen noch größeren Eingriff in die Bewegungsfreiheit hätten. „Dans ce contexte, il échet de rappeler qu’il faut lutter contre la pauvreté et non pas contre les personnes pauvres.“
Minister Kox, der noch im Mai RTL Radio gegenüber unterstrich, wie wichtig es ihm sei, das Gutachten der CCDH abzuwarten, reagierte mit Unverständnis auf deren Kritik. So als habe die CCDH das Vorhaben falsch verstanden, erklärte das Ministerium für innere Sicherheit in einer offiziellen Reaktion: „Il convient néanmoins de préciser que cet avant-projet de loi ne constitue aucunement un ‚Platzverweis‘ au sens commun du terme, mais une mesure visant à garantir la libre circulation de tout un chacun et à donner à la police les moyens de déplacer la ou les personnes entravant cette liberté.“
Weitaus zufriedener zeigte sich der Gemeinde- und Städteverband Syvicol. In seinem Gutachten äußerte der Verband allerdings Zweifel daran, ob das Gesetz in seiner jetzigen Form über die nötige Abschreckwirkung verfüge. Sie hinterfragte zudem, ob eine Person den Zugang zu einem Gebäude tatsächlich behindern müsse, denn: „la gêne pour l’usager peut être réelle sans nécessairement que l’accès au bâtiment soit compromis“. In eine ähnliche Richtung geht die Reaktion der Chambre des fonctionnaires et empoyés publics (CHFEP), die die Frage aufwirft, ab wann ein Eingangsbereich als blockiert gelte. Vieles wird demnach der Interpretation der zuständigen Beamt*innen überlassen.
Generell stellt sich die Frage, wie oft es vorkommt, dass jemand so vor einem Eingang liegt, dass das Gebäude tatsächlich unbetretbar wird. Greift das Gesetz auch dann, wenn nur einer von zahlreichen Eingängen zu einem Gebäude behindert wird? Könnte es am Ende sogar sein, dass dieses Gesetz nur Symbolpolitik ist, mit welcher eine bestimmte Wählerschaft angesprochen werden soll?