Präsidentschaftswahl in Frankreich: Die Linke bleibt auf der Strecke

Zehn Wochen vor der ersten Wahlrunde sind die Aussichten für die Linke düster. Dass sie es wohl nicht in die zweite Runde schafft und auch die Legislativwahlen verlieren wird, ist symptomatisch für die globale Krise der Linken.

Die „Gilets jaunes“, ein neuer Ansatz für die französische Linke? (Wikimedia; Thomas Bresson; CC BY 4.0)

„François Hollande hat die Linke gerettet!“ Wird man ihn am 24. April wiederholen, diesen Satz, den man im Mai 2012 hören konnte? Schon damals hätte es besser heißen sollen „… hat einen Sieg der Rechten und Rechtsradikalen verhindert“. Denn Hollandes Präsidentschaft fiel noch zentristischer und wirtschaftsliberaler aus, als die letzten Mitterand-Jahre. Ein Verrat linker Werte und ein Verlust an Glaubwürdigkeit, von denen sich die sozialistische Partei und die gesamte französische Linke bis heute nicht erholt haben. In dieser Linken könnten sich viele diesmal mit einem solchen „Verhindern“ oder mit einem bescheidenen „Dabeisein“ in der zweiten Runde zufriedengeben. Denn derzeit werden die vier ersten Plätze in den Umfragen von Emmanuel Macron (Zentrum), Marine Le Pen (rechtsradikal), Valérie Pécresse (rechts) und Éric Zemmour (rechtsradikal) besetzt.

Verlorene Linke

Dass jemand wie Hollande von Le Monde dieser Tage ins Gespräch gebracht wird, dürfte also vor allem der allgemeinen Ratlosigkeit geschuldet sein. Denn auf den Rängen 5 bis 9 tummeln sich fünf linke Kandidat*innen mit Umfrageergebnissen zwischen 10 und 2 Prozent. Zusammengerechnet liegen sie über 25 Prozent – doch es gibt keinen überzeugenden Vorschlag, wie die gesamte Linke sich in letzter Minute auf eine gemeinsame Kandidatur einigen und damit wahrscheinlich in die zweite Wahlrunde gelangen könnte.

Schuld an der Zersplitterung sind die defensive Apparatlogik der Parteien und die Überzeugung, nur die eigene Kandidatur könne die wahren linken oder grünen Werte vertreten. Das sollte aber nicht den Blick auf den historischen Rückgang der linken Wahlergebnisse versperren: Statt wie vor 20 Jahren auf etwa die Hälfte der Stimmen zählen zu können, kann die Linke gerade mal ein Viertel zusammenbringen. Das ist natürlich auch der Schaffung eines zentristischen Lagers durch den Ex-Sozialisten Macron geschuldet – aber nicht nur, denn der Rückgang war bereits 2007 deutlich zu spüren. Demgegenüber erreichte die Linke 2002 in der ersten Wahlrunde, trotz Zersplitterung (sieben Kandidaturen über 2 Prozent), zusammengerechnet noch über 40 Prozent. Grund genug für den „Diplo“ (Le Monde diplomatique), in seiner Ausgabe von Januar 2022 die Alarmglocken zu läuten und zu titeln „Pourquoi la gauche perd“ (Warum die Linke verliert).

Die sechs Beiträge zu diesem Thema befassen sich mit den soziopolitischen Gründen für den Zusammenbruch der Linken und mit den Krisen der radikalen Linken in Spanien, Deutschland und Italien. Das Dossier unterstreicht, dass die linken Parteien den Zuspruch der sozial Schwachen verloren haben, wohingegen die Rechtsradikalen bei dieser Wählerschaft punkten können. Insbesondere für „Die Linke“ in Deutschland wird das Dilemma zwischen klassischen sozialen und neuen gesellschaftspolitischen und ökologischen Forderungen dargelegt, die einerseits eher die sozial Schwachen, andererseits die urbane Mittelschicht ansprechen. Für die diskussionswürdigen, aber nicht unproblematischen Positionen der „Gilets jaunes“ oder der Linkspopulistin Sahra Wagenknecht hat der „Diplo“ ein offenes Ohr – manchen Leser*innen mögen diese Ausführungen gar zu unkritisch sein. Lösungsansätze liefert das Dossier unterm Strich kaum.

Keinheit statt Einheit

Was die Präsidentschaftswahl im April angeht, so dürfte der Zug sowieso abgefahren sein. Zwar findet an diesem Wochenende die von Befürworter*innen der Einheit organisierte „Primaire populaire“ statt. Doch ob die bei dieser Vorwahl favorisierte linksliberale Christiane Taubira wirklich antreten soll, darüber gehen die Meinungen auseinander (siehe zum Beispiel woxx-Artikel von David Angel und Politis-Edito von Denis Sieffert). Für den sozialdemokratischen Teil der Linken wäre dies eine attraktive Option, doch ohne die Unterstützung von EELV (Grüne) und „La France insoumise“ (LFI, linksradikal) stünde sie nicht wirklich für eine vereinte Linke.

Derzeit sind es aber die Kandidaten von EELV und LFI, die vorzeigbare Umfrageergebnisse erreichen – beide Parteien setzen deshalb darauf, ihren Einfluss in der Linken durch die eigene Kandidatur zu verstärken. Kommt es in den nächsten Jahren nicht zu einer Einheit, dann dürften die französischen Grünen den Weg ihrer Schwesterparteien gehen, sich an zentristischen Regierungen beteiligen und dabei neben ihren traditionellen sozialen Idealen auch die grünen Inhalte verwässern. Diese Sorge macht LFI als linksgrünen Pol attraktiv – unklar ist aber, was nach dem erwartbaren mittelmäßigen Abschneiden des Volkstribuns Jean-Luc Mélenchon im April von dessen Bewegung übrig bleibt.

Durch das in Frankreich vorherrschende Majorz-Wahlsystem wird das geschwächte linke Lager stärker an den Rand gedrängt als anderswo. Nach einer Präsidentschaftswahl ohne linke Kandidatur in der zweiten Runde stehen im Juni Legislativwahlen an. Ein umfassendes linkes Wahlabkommen könnte den Schaden begrenzen, ist aber unwahrscheinlich. Falls der Zentrist Macron ein zweites Mandat erringt, wird sich für Sozialdemokratie und EELV die Frage stellen, ob sie als Juniorpartnerin in die Regierung gehen oder auf den linken Oppositionsbänken Platz nehmen. Die Chancen mittelfristig ein breites linkes Bündnis zustande zu bringen, hängen auch davon ab.


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