Sanfte Mobilität: Moien a Merci

Fußgänger*innen und Radfahrer*innen sollen einen respektvollen Umgang miteinander lernen – während neben ihnen Autos freie und ungestörte Fahrt haben. So will es zumindest eine Kampagne des Mobilitätsministeriums.

(Foto: MMTP)

In den letzten Tagen ist das Fahrrad wieder in aller Munde. Am Samstag wird der „Vëlosummer“ offiziell eingeläutet und im Laufe dieser Woche wurden bei eher widrigen Wetterbedingungen zwei neue Fahrradwege eingeweiht. Die Pandemie hat einige Menschen dazu gebracht, aufs Rad umzusteigen, obwohl die Radlobyist*innen in Luxemburg über ein Jahr lang betteln mussten, um einen einzigen lächerlichen Pop-up-Radweg zu bekommen.

Was anderswo begrüßt würde, ist in Luxemburg ein Problem, denn viel zu oft müssen sich Radfahrer*innen und Fußgänger*innen die Wege teilen. Das sorgt selbstverständlich für Konflikte, denn Fahrräder haben eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit als Fußgänger*innen. In der Hauptstadt griff man hart durch und sperrte Wege für das Rad, doch wie löst man so ein Problem national? Na klar: mit einer Sensibilisierungskampagne! Zehn „Tipps“ haben sich die Autofahrer*innen im Mobilitätsministerium von François Bausch (Déi Gréng) ausgedacht, die für ein besseres Miteinander sorgen sollen.

Es müssen Autofahrer*innen gewesen sein, denn es ist schon sehr realitätsfremd, was da produziert wurde. Räder sollen zum Beispiel links fahren, Fußgänger*innen rechts gehen – Gegenverkehr existiert nicht, außer bei der Regel, die dazu auffordert, Blickkontakt zu halten. Vor dem Überholen sollen Radfahrer*innen klingeln, um Fußgänger*innen nicht zu erschrecken, was auch wieder so ein besonders realitätsnahes Szenario ist, dass man beim Lesen einen halben Meter zur Seite springt, als wäre man gerade beim Spazierengehen angeklingelt worden.

Hunde an die Leine nehmen und die „Umwelt zu respektieren“ (gemeint ist: seinen Müll in Abfalleimer werfen), beides sollte eigentlich selbstverständlich sein und hat auch wenig mit dem Miteinander von Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen zu tun. Die Krönung dieser miesen Tipps ist allerdings, bei Begegnungen „Moien a Merci“ zu sagen. Eine kurze Begrüßung versüßt zwar so manchen Alltag, hilft aber wenig, wenn es darum geht, Konfliktsituationen zu vermeiden.

Im Grunde ist die ganze Kampagne ein einziges Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit, denn im Mobilitätsministerium weiß man es eigentlich besser. Kurz vor den Wahlen 2018 stellte Minister Bausch die Website veloplangen.lu vor, auf der neben einem interaktiven Planungstool auch Leitlinien veröffentlicht wurden, in denen erklärt wird, welche Fahrradinfrastruktur sich wo eignet. Der gemeinsame Geh- und Radweg wird dort „nur als Übergangs- oder Notlösung“ empfohlen. Fußgänger*innen und Radfahrer*innen sollten sich, wenn überhaupt, nur auf wenig benutzten Strecken eine Verkehrsfläche teilen.

Die ganze Kampagne ist ein einziges Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit, denn man weiß es besser.

Der Radverkehr steigt in Luxemburg. Ob das einem Gesinnungswandel, völlig überlasteten PKW-Straßen, der Pandemie, den Subventionen oder einer Mischung aus all diesen Faktoren zu verdanken ist, ist egal. Diese Entwicklung ist positiv für das Klima, für das Stadtbild und die Gesundheit. Allerdings kann sie nur weitergehen, wenn die dafür nötige, sichere und komfortable Infrastruktur geschaffen wird.

Da Platz in Luxemburg allgemein, und in Städten besonders, ein knappes Gut ist, wird dies nicht gehen, ohne den Autoverkehr einzuschränken: Parkplätze, aber vielleicht auch die eine oder andere Autospur müssen Radwegen weichen. Das ist politisch vielleicht noch unpopulär, wird aber nötig sein, wenn wir die gröbsten Auswirkungen der Klimakrise verhindern wollen. Statt also Geld für sinnlose und lächerliche Kampagnen aus dem Fenster zu werfen, sollte der Mobilitätsminister wohl besser Lokalpolitiker*innen für eine dauerhafte und sichere Radverkehrsinfrastruktur sensibilisieren. Vielleicht hilft es ja, wenn er sie mit „Moien a Merci“ begrüßt?


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