Wer zurzeit nach neuem Sehstoff sucht, wird in der woxx fündig. Ab sofort stellen wir jede Woche zwei Streaming-Serien vor: eine neue und ein Klassiker.
Hollywood (2020)
Mit seiner Miniserie „Hollywood” strebt Macher Ryan Murphy vieles auf einmal an: Sie ist zugleich Nostalgie-Trip in die Traumfabrik der 1940er-Jahre, kitschiges Melodrama und progressives Märchen.
Das Konzept geht nicht durchgehend auf. Vor allem die ersten Folgen kranken an faden Erzählsträngen, karikativen Figuren und einer im Schneckentempo voranschreitenden Handlung. Spätestens ab der fünften Folge ändert sich dies aber schlagartig. Nicht zufällig handelt es sich um die Folge, in welcher der progressive Aspekt zunehmend die Erzählung dominiert.
Den roten Faden der Miniserie bilden die Dreharbeiten am Film „Peg” im fiktionalen Filmstudio Ace. In den ersten Folgen geht es hauptsächlich um die Vorbereitungen. Je progressiver und mutiger die Figuren werden, desto besser wird die Serie. Der Verlauf ist zwar recht vorhersehbar und kitschig, doch ist es schwer, sich dem Reiz dieses Gedankenspiels zu entziehen: Was, wenn im Hollywood der 1940er-Jahre Frauen das Sagen gehabt hätten und Hauptrollen mit schwarzen Menschen besetzt worden wären? Was, wenn Rock Hudson sich als schwul geoutet hätte? Mit seiner Serie regt Ryan Murphy dazu an, sich vorzustellen, wie die Welt heute wohl aussähe, wenn Hollywood damals von seiner kulturellen Wirkmacht profitiert hätte, um gegen Diskriminierung anzukämpfen. Die Serie ist nicht nur progressiv für die 1940er, manches ist selbst im Jahr 2020 noch keine Selbstverständlichkeit.
„Hollywood” ist alles andere als perfekt. Denn Murphy spinnt seine Utopie derart konsequent zu Ende, dass dafür schon mal die Kohärenz einer Figur geopfert wird. Etwas weniger Folgen und Wendungen hätten der Serie ebenfalls gut getan. Dafür funktionieren die gelungenen Elemente aber so gut, dass sie den Rest wettzumachen vermögen. Nicht zuletzt wegen der exzellenten Besetzung, unter anderem mit Patti LuPone und Holland Taylor, lohnt es sich, in diese neue Netflix-Serie reinzuschauen.
Netflix
In Treatment (2008-2010)
Im Jahr 2008 startete HBO ein gewagtes Experiment: In „In Treatment” besteht jede Folge aus einem therapeutischen Gespräch: Von montags bis donnerstags empfängt Psychotherapeut Paul (Gabriel Byrne) seine Patient*innen und stattet freitags seiner eigenen Therapeutin einen Besuch ab. In jeder Staffel wird somit der Verlauf von fünf unterschiedlichen Therapien gezeigt. Das Spannende an den Freitagsfolgen ist, dass einzig sie den Zuschauer*innen einen Einblick darüber geben, was Paul über seine Patient*innen denkt und was in seinem Privatleben los ist.
Paul hat sicherlich seine Schwächen: Er investiert sich emotional zu stark im Leben seiner Patient*innen und vermag es nicht immer, die Grenze zwischen Therapeut, Liebhaber und Kumpel zu ziehen. Dadurch werden die Interaktionen mit seinen Patient*innen und Therapeutinnen aber umso packender.
Als wäre das nicht schon Grund genug, sich diese Serie anzuschauen, wird ihr Reiz noch zusätzlich durch den Aufbau gesteigert. Dadurch, dass es sich bei jeder Folge um eine mehr oder weniger abgekapselte Erzählung handelt, bleibt es den Zuschauer*innen selbst überlassen, in welcher Reihenfolge sie sich die Folgen anschauen: Der vorgegebenen Chronologie folgend – montags Laura, dienstags Alex, mittwochs Sophie, donnerstags Jake und Amy, freitags Gina –, erst alle acht Sitzungen mit Laura, dann alle mit Alex und so weiter, oder ob sie manche Patient*innen ganz weglassen wollen.
Trotz solcher Wahlmöglichkeiten verlangt „In Treatment“ den Zuschauer*innen einiges ab, denn wie nicht anders zu erwarten, spielen in dieser Serie Traumata, psychische Krankheiten und Lebenskrisen eine große Rolle. Dadurch, dass die Folgen sich fast ausschließlich im Therapie- raum abspielen und auf Gespräche reduziert sind, erhalten sie eine für Serien ungewöhnliche Dichte und Intensität. Menschen, die sich für psychische Vorgänge, Erkenntnisprozesse oder auch einfach gut geschriebene Serien interessieren, sollten sie sich nicht entgehen lassen.