Soziale Medien im Umbruch: Vogel gegen Mastodon

Der neue Eigentümer stürzt Twitter mit unüberlegten Ideen ins Chaos. Viele Nutzer*innen suchen sich derweil unkommerzielle und dezentrale Alternativen.

Sitzen Twitter-Nutzer*innen bald allein im Dunkeln? Der Rausschmiss vieler Entwickler*innen könnte dazu führen, dass der Dienst bald in sich zusammenbricht. (Foto: Image Krzysztof Kamil/Pixabay)

Soziale Medien sind ständig im Wandel: Alte Dienste verschwinden, neue entstehen und bestehende Plattformen fügen Funktionen hinzu oder schaffen sie wieder ab. Doch das, was sich in den letzten Wochen vor allem auf Twitter abgespielt hat, spricht dafür, dass wir gerade womöglich einen tieferen Wandel erleben. Neben Übernahmechaos und Entlassungen bei den Giganten werden auch Alternativen immer beliebter.

Die aktuelle Twitter-Saga begann im April, als Milliardär und notorischer Twitter-Nutzer Elon Musk ankündigte, die Firma kaufen zu wollen. Er hatte bereits im Januar begonnen, Twitter-Aktien zu kaufen, und war im April der größte Anteilseigner. Twitter lud ihn ein, Mitglied des Aufsichtsrates zu werden. Musk lehnte jedoch ab und gab seine Pläne bekannt, eine sogenannte feindliche Übernahme zu tätigen und das Unternehmen für 44 Milliarden Dollar zu kaufen. Zuerst versuchte das Unternehmen, die Übernahme zu vereiteln, dann stimmte der Aufsichtsrat jedoch zu. Musk gab an, Twitter von der Börse nehmen, den Quellcode freigeben, die Meinungsfreiheit stärken und Spambots von der Plattform löschen zu wollen.

Der reichste Mann der Welt änderte seine Meinung dann wieder und wollte Twitter nicht mehr kaufen. Das Angebot, das er hinterlegt hatte, war jedoch bindend. Bevor es im Oktober zu einem Gerichtstermin kommen sollte, beschloss Musk schließlich, Twitter dennoch zu kaufen. Am 27. Oktober wurde er der neue Eigentümer und CEO des fortan nicht mehr börsennotierten sozialen Netzwerkes. Das Hin-und-Her beim Kauf sollte ein Omen für die kommenden Wirren sein.

Comedy wird legal, niemand lacht

„Comedy is now legal on Twitter“, schrieb Musk am 28. Oktober. Damit wollte er wohl ausdrücken, dass sein Versprechen, die Meinungsfreiheit in dem Netzwerk zu stärken, nun eingelöst war. Der Milliardär hatte in der Vergangenheit immer wieder das vermeintlich strenge Vorgehen gegen Hassrede kritisiert. Schon bald musste Musk Kreide fressen. Sein nächster Schritt betraf die blauen Haken, mit denen in der Vergangenheit „offizielle“ Profile, etwa von Politiker*innen, Firmen, Medien oder Berühmtheiten, gekennzeichnet wurden.

Der Milliardär wollte nicht länger in einer Zweiklassengesellschaft leben und beschloss, dass nun alle Welt für acht Dollar im Monat einen blauen Haken an einem Twitter-Profil haben könnte. Zuerst war der Betrag auf 20 Dollar festgesetzt, doch in einem Versuch, den durch die Ankündigung verärgerten Horrorautor Stephen King auf der Plattform zu halten, senkte Musk den Preis auf 8 Dollar. Unter seinem Ankündigungstweet fragten mehrere Nutzer*innen, ob das nicht Tür und Tor für Schwindler*innen aufmache.

Und genau das geschah auch: Unzählige Accounts parodierten Elon Musk, ein falscher Nintendo-Account twitterte ein Bild von Super Mario, der den Betrachter*innen den Mittelfinger zeigt, und ein falscher Account des US-Pharmariesen Eli Lilly behauptete, das Insulin der Firma sei künftig kostenlos. Der Aktienkurs der echten Firma sank kurzzeitig stark ab. Mehrere Firmen kündigten an, bis auf Weiteres keine Anzeigen mehr auf Twitter zu schalten.

Neben Mastodon gibt es im Fediverse weitere Software, die als Alternativen zu kommerziellen Angeboten fungieren. (Grafik: CC BY-SA Per Axbom)

Entlassungswellen bei 
sozialen Netzwerken

Zudem entließ Musk tausende Mitarbeiter*innen, was andere dazu trieb, zu kündigen. Etwa die Hälfte der Angestellten setzte Musk vor die Tür. Auch viele Leiharbeiter*innen wurden gekündigt – sie waren vor allem bei der Moderation, also der Erkennung von Hassrede oder Bildmaterial, das Kindesmissbrauch dokumentiert („Pädopornografie“), eingesetzt worden. Die Entlassungen scheinen zum Teil auf persönliche Befindlichkeiten des Milliardärs zurückzuführen zu sein. So korrigierte ein Entwickler öffentlich eine Falschaussage Musks zu technischen Details der Plattform, was dieser mit einer Entlassung quittierte. Manchen Berichten zufolge lässt der neue Twitter-Chef systematisch nach Kritik suchen, sowohl extern als auch in internen Chats. Zuletzt stellte sich heraus, dass Musk eine Mail an alle noch verbliebenen Mitarbeiter*innen geschrieben hatte, in der er ankündigte, die Arbeit an „Twitter 2.0“ würde „hardcore“. Wer nicht zu langen, intensiven Arbeitstagen mit vielen Überstunden bereit sei, würde gekündigt.

Das Chaos bei Twitter führte dazu, dass eine Entlassungswelle beim Konkurrenten Facebook beinahe nicht besprochen wurde: Der Mutterkonzern Meta kündigte 11.000 Mitarbeiter*innen, was etwa 13 Prozent der Beschäftigten entspricht. Grund waren hier Sparmaßnahmen angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage, die nach der kapitalistischen Logik stets die Beschäftigten und nicht etwa die Eigentümer*innen treffen müssen.

Über die Art und Weise, wie diese Firmen mit den Daten ihrer Nutzer*innen umgehen, wird aktuell wenig gesprochen, aber auch das führt bei vielen eher zu Unbehagen. Und zu dem Wunsch, sich auf alternativen Plattformen zu vernetzen. Über das Fediverse und die bekannteste Twitter-Alternative Mastodon hat die woxx schon öfter berichtet, zuerst im Jahr 2017 (siehe woxx 1455, 1507, 1538 und 1683). Sie folgen einem Grundprinzip, des Internets: Dezentralisierung. Anders als bei Twitter und Facebook gibt es also nicht den einen Dienst, sondern ein ganzes Netzwerk von Servern, sogenannten Instanzen, die miteinander vernetzt sind. In den allermeisten Fällen verfolgen die Instanzen kein kommerzielles Ziel, sondern werden von Freiwilligen oder Vereinen angeboten. Außerdem ist die Software quelloffen, sodass nicht die ganze Entwicklungsarbeit von einigen wenigen abhängt.

Neben Mastodon, das ähnlich wie Twitter funktioniert, gibt es noch weitere Softwares: Peertube für Videos, Pixelfed für Fotos, Friendica für Vernetzung wie bei Facebook, Funkwhale für Musik, Bookwyrm für Buchempfehlungen – und viele mehr. Durch das Chaos bei Twitter ist vor allem Mastodon vielen als Alternative ins Auge gefallen. Die Zahl der Nutzer*innen ist sprunghaft angestiegen, auf über eine Million. Rund eine halbe Million Neuzugänge wurden laut Mastodon-Hauptentwickler Eugen Rochko in der Woche nach Musks Twitter-Übernahme verzeichnet.

Für viele Instanzen-Betreiber*in-
nen bedeutete das Stress. Viele Server erreichten ihre Kapazitäten und die Hardware musste angepasst werden. Auch das soziale Gefüge veränderte sich: Die ungeschriebenen Regeln, die es in jedem sozialen Netzwerk gibt, waren den migrierten Twitter-Nutzer*innen unbekannt. So sorgte die Funktion, Posts mit Inhaltswarnungen versehen zu können, für Unverständnis und Diskussionen.

CC-BY Garrett Heath

Aufbruchstimmung im Fediverse

Es entstanden aber auch neue Instanzen, die oft mit Interessens- oder Forschungsgebieten übereinstimmen. Obwohl sich Mastodon-Instanzen untereinander vernetzen können und es für die einzelnen Nutzer*innen in der Regel keinen Unterschied macht, auf welcher sie sich befinden, gibt es Gründe, die dafür sprechen, sich die Instanz gezielt auszusuchen. Neben eigenen Moderationsregeln, die mehr oder weniger streng sein können, gibt es auch die Möglichkeit, die „lokale Timeline“ anzusehen: Es werden die Posts aller Nutzer*innen einer Instanz angezeigt. Das kann besonders für Aktivist*innen oder Forscher*innen interessant sein, die auf ihrem Spezialgebiet auf dem Laufenden bleiben wollen.

Spezielle Instanzen können aber auch ein Garant für die Echtheit eines Accounts sein. So betreibt die Europäische Kommission seit einiger Zeit eigene Instanzen von Mastodon und Peertube, die Beamt*innen und EU-Organisationen vorbehalten sind. Auch in Deutschland gibt es eine staatliche Mastodon-Instanz, die vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) betrieben wird. Diese Server sind nicht für Privatpersonen offen. Dadurch kann man sich darauf verlassen, dass ein Account von dieser Instanz tatsächlich von einer offiziellen Institution gefüttert wird. Deutschland und die EU haben damit Luxemburg etwas voraus: Hierzulande gibt es noch keine offizielle Präsenz im Fediverse.

Aus dem Digitalisierungsministerium heißt es auf Nachfrage der woxx, es gebe noch keine offizielle Stellungnahme zu dem Thema. Man verfolge das Thema und wäge die Vor- und Nachteile ab. Ändere sich etwas, würden wir es ganz sicher über die üblichen Kanäle erfahren. Das Fediverse existiert seit 2016 – eigentlich wäre schon länger Zeit gewesen, sich Gedanken über eine staatliche Präsenz dort zu machen. Bei anderen Gebieten ist das durchaus der Fall: Am 16. November stellte Digitalisierungsminister Marc Hansen (DP) im Rahmen der Luxembourg Internet Days einen staatlichen Messengerdienst vor: „Luxchat“ soll zuerst innerhalb des öffentlichen Sektors verwendet werden, um später dann auch für die Öffentlichkeit nutzbar zu sein.

Wer eine Luxemburger Mastodon-Instanz sucht, hat die Qual der Wahl, denn es gibt schon mindestens zwei: zesummen.online und mastodon.opencloud.lu. „Meine Instanz wird nicht beworben, die meisten neuen Nutzer kommen durch Mundpropaganda. In den letzten zwei Wochen waren es ungefähr 60 neue Registrierungen, vor allem aus Luxemburg, Italien und Deutschland“, erklärte Paolo Vecchi der woxx. Der Präsident des Luxemburger Hackerspace Syn2cat betreibt die opencloud-Mastodon-Instanz und stellt über opencloud.lu auch andere quelloffene Software zur Verfügung. „Meine Firma Omnis Cloud trägt die Kosten für diese Plattformen, denn ich will eine Vorbildfunktion erfüllen und zeigen, was man mit diesen Open Source-Plattformen, die viele nicht kennen, erreichen kann.“

Für ihn sei die legale Situation kein Problem, so Vecchi, denn er kenne sich gut mit der Datenschutz-Grundverordnung aus und Mastodon sei eine Plattform, die anders als kommerzielle Anbieter nicht darauf ausgerichtet sei, die Daten ihrer Nutzer*innen zu verkaufen. Bisher sei auch die Moderation noch kein Problem gewesen, da die Community recht klein sei.

Vecchi ist jedoch der Meinung, der Staat müsse – ähnlich wie mit dem neuen Luxchat-Dienst – den Bürger*innen eine Mastodon-Instanz anbieten: „Ich plane nicht, den Dienst kostenpflichtig zu machen, aber es wäre großartig, wenn das Digitalisierungsministerium erkennen würde, dass es eine Vorbildfunktion hat. Es sollte die Dienste, die ich seit einigen Jahren kostenlos anbiete, einrichten und frei von Werbetracker und ohne kommerzielle Logik den Bürgern zur Verfügung stellen.“


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