Tripartite, Klima, Krise: Tanz um den Index

Gewerkschaften haben ihre Gründe, die sie nicht immer gut kommunizieren. Dem OGBL geht es – leider – nicht ums Klima, auch nicht um „die Reichen“, aber – zu Recht – um den Index.

Pixabay/OpenClipart-Vectors

Ist eine Einigung in der Tripartite daran gescheitert, dass der OGBL, der ehemalige Lëtzebuerger Arbechterverband, sich zu sehr für „die Reichen“ eingesetzt hat? Allein die Tatsache, dass man eine solche Frage stellen muss, zeigt, wer die parallel zu den Verhandlungen geführte Propagandaschlacht gewonnen hat: die Regierung. Es ist ihr gelungen, die Diskussion über die soziale Reichweite der Kompensationsmaßnahmen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen. Der OGBL habe als einzige Gewerkschaft die Verhandlungen abgebrochen, weil die Regierung keine Steuerkredite für Jahreseinkommen bis zu 135.000 Euro auszahlen wollte, sondern „nur“ bis zu 100.000 – als Kompensation für die ausfallende August-Indextranche. So geht das Narrativ, das sogar von Qualitätsmedien wie Radio 100,7 recht unkritisch übernommen wurde.

Die Hälfte der Erwerbstätigen in Luxemburg verdient weniger als 50.000 Euro im Jahr.

Daran ist der OGBL weitgehend selber schuld. Gegen die emotionale Intelligenz des Xavier Bettel funktioniert die klassische Gewerkschaftsmanier, Medien zu beschweigen, nicht – und schon gar nicht, wenn man sich überrumpeln lässt und, wie die Präsidentin Nora Back, missverständliche Statements abgibt. Die Verhandlungen durch offizielle Erklärungen und Leaks beeinflussen, daran kommt im Zeitalter der sozialen Medien auch die größte Gewerkschaft nicht vorbei. Auch der Versuch, Journalist*innen für dumm zu verkaufen, funktioniert nicht gut, wenn ihnen die Gegenseite Informationen zukommen lässt. Zu leugnen, dass die Gewerkschaften Kompensationen sogar bis zu 160.000 Euro Jahresgehalt ins Spiel gebracht hatten, war keine kluge Idee.

Seit der Unterzeichnung des „Solidaritätspakets“ ohne den OGBL versucht die Präsidentin, den Schaden wiedergutzumachen. Nicht ohne Erfolg: Abgesehen von ein paar Ausrutschern versteht auch sie sich auf emotionale Kommunikation – und glänzt zusätzlich mit Sachkenntnis. Und: zum Teil hat sie die Fakten auf ihrer Seite. Das in der Mainstream-Presse oft als fairer Kompromiss dargestellte Abkommen hat zahlreiche Schwächen – über den Schönheitsfehler hinaus, mit den Stimmen der wirtschaftsfreundlichen CSV angenommen worden zu sein. Zu ihnen gehört die recht großzügige Kompensation der ausgefallenen Indextranche für die obere Mittelschicht. Zur Erinnerung: Die Hälfte der Erwerbstätigen in Luxemburg verdient weniger als 50.000 Euro im Jahr und nicht einmal im öffentlichen oder im Finanzsektor liegt der Medianlohn über 100.000 Euro. Dass hohe Löhne durch den Indexmechanismus proportional steigen, liegt in der Logik der automatischen Lohnanpassung, doch wenn diese in Krisenzeiten „moduliert“ wird, ist eine starke Degressivität bei Kompensationsmaßnahmen wünschenswert.

Laut Darstellung des OGBL habe man eigentlich nicht über eine Index-„Manipulation“ verhandeln wollen, stattdessen sei man für selektive Entlastungen für Niedrigverdiener*innen und besonders betroffene Betriebe eingetreten. Das Paket stelle bestenfalls einen kompensierten Kaufkraftverlust auf der einen, ein Geschenk für die Unternehmen auf der anderen Seite dar – mit Steuergeldern finanziert. Dass die Gewerkschaft am Index festhalten will und die staatliche Finanzierung kritisiert, ist nachvollziehbar, überzeugt aber nicht angesichts der schweren Krise, die noch mehr eine wirtschaftliche als eine soziale ist.

Dass der Vorschlag des OGBL, statt über den Index zu verhandeln, einfach die Verteuerung der fossilen Brennstoffe zu kompensieren, klimapolitisches Gift ist, muss nicht weiter ausgeführt werden. Mit einer solchen defensiven Haltung ist die Gewerkschaft dabei, sich innerhalb des grün-linken Lagers ins Abseits zu manövrieren. In einem aber hat sie recht, und es ist wohl der entscheidende Punkt: Die im Abkommen vorgesehene Aussetzung künftiger Indextranchen im 12-Monats-Rhythmus. Gewiss, der Statec sieht derzeit keine Tranche vor Juni 2024. Doch je nachdem wie sich die internationale Lage und die Energiemärkte weiterentwickeln, sind diese Prognosen Makulatur. Bei galoppierender Inflation im Wahljahr 2023 könnte die Gewerkschaft dann nachträglich den Sprung vom Pranger auf den Sockel des Index-Heldendenkmals schaffen.


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