USA: Erholen vom China-Schock

Die US-Regierung Joe Bidens verspricht eine „Außenpolitik für die ‚middle class‘“ und will verhindern, dass China den USA in Hightech-Branchen den Rang abläuft. Dabei geht es auch darum, Investitionen in sogenannte grüne Technologie so zu verkaufen, dass selbst Republikaner sie nicht ablehnen können.

Gutbezahlte Jobs für alle – bei sinkenden Lohnkosten, um gegenüber China und anderen konkurrenzfähig zu bleiben: US-Präsident Joe Biden versucht sich mit seiner Industriepolitik in der Quadratur des Kreises. (Foto: EPA-EFE/Michael Reynolds)

Am 9. August erließ Präsident Joe Biden ein Dekret zum Verbot von Investitionen aus den USA in die chinesische Hightech-Industrie. Betroffen sind unter anderem Firmen, die hochentwickelte Mikrochips, Künstliche Intelligenz und Quantencomputer herstellen. Diese Technologien hätten eine besondere Bedeutung für Militär- und Überwachungstechnologie, in den falschen Händen würden sie „eine außergewöhnliche Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten“ darstellen, heißt es im Dekret.

Seit knapp einem Jahr ergreift die US-Regierung Maßnahmen gegen die chinesische Computer- und Mikro-
chipindustrie. Hochentwickelte Mikro-
chips dürfen nicht mehr an chinesische Abnehmer verkauft werden und der Export der Technologien zu ihrer Herstellung und Weiterentwicklung ist mit Sanktionen belegt.

Auch der vor einem Jahr verabschiedete „Chips and Science Act“, der unter anderem Milliardenförderungen für die Forschung und Produktion von Mikrochips in den USA vorsah, wurde von der Regierung Biden als Maßnahme gegen China präsentiert. Das Gesetz werde „Kosten senken, Arbeitsplätze schaffen, Lieferketten stärken und China entgegenwirken“, versprach eine damalige Presseerklärung des Weißen Hauses bereits in der Überschrift.

Wenn Vertreter der US-Regierung ihre Hinwendung zu aktiver Indus-
triepolitik begründen, verweisen sie oft auf den aufsteigenden Konkurrenten: China, dessen Unternehmen sich anschicken, in zukünftigen Leitbranchen wie der Elektromobilität und der Solartechnologie zu Weltmarktführern aufzusteigen, China, das zu viele der für die USA wichtigen industriellen und Rohstofflieferketten kontrolliert, China, das gewaltige Summen investiert, um in strategisch wichtigen Forschungsbereichen führend zu werden, und schließlich China, dessen wirtschaftlicher Aufstieg die Deindustrialisierung in den USA und damit den sozialen Abstieg von Millionen von US-amerikanischen Industriearbeitern befördert hat – auch wenn die Regierung Biden das nicht so polternd nationalistisch formuliert wie Donald Trump.

Einer, der die Ziele dieser Industriepolitik deutlich herausstellt, ist der Nationale Sicherheitsberater Bidens, Jake Sullivan. Er bekleidete bereits unter Präsident Barack Obama verschiedene Regierungsposten. Doch dann gewann 2016 überraschend Donald Trump die Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton. Die Demokraten mussten darüber nachdenken, wie sie ihre Politik neu ausrichten sollten.

„Ich glaube, dass jeder Amerikaner, der hart arbeiten will, einen Arbeitsplatz kriegen können sollte, egal wo er lebt“, so US-Präsident Biden.

Sullivan wirkte an der Erarbeitung eines 2020 veröffentlichten Papiers des Think Tanks „Carnegie Endowment“ mit, das sich wie eine Blaupause der heutigen „Bidenomics“ liest. Zahlreiche Ökonomen führten dafür Hunderte Interviews und analysierten unter anderem die regionalen Ökonomien der Bundesstaaten Colorado, Nebraska und Ohio in „America’s heartland“, um Vorschläge zu erarbeiten, wie eine „US-Außenpolitik aussehen müsste, die für die middle class besser funktioniert“.

Von der Globalisierung hätten in den USA in den vergangenen Jahren die Wohlhabendsten am meisten profitiert, argumentieren die Autoren. Deshalb müsse die US-Regierung dafür sorgen, dass wieder mehr Industrie-
arbeitsplätze in den USA entstehen, was eine andere Handelspolitik sowie staatliche Investitionen und Subventionen erfordere. Dazu müssten „die Trennwände zwischen Innen- und Außenpolitik“ eingerissen werden.

Im April hielt Sullivan beim Think Tank „Brookings Institution“ einen vielbeachteten Vortrag über den „neuen Washingtoner Konsens“ der Regierung Biden. Die Dogmen des Steuersenkens und Deregulierens, des Privatisierens statt öffentlichen Handelns und des Freihandels als Selbstzweck“ seien überholt, sagte er. Nötig sei eine „moderne Industrie- und Innovationsstrategie“, um „in unsere eigenen ökonomischen und technologischen Stärken zu investieren“, sowie eine Rückkehr zu staatlicher Investitionspolitik, um Kapital für „öffentliche Güter wie Klima und Gesundheit“ zu mobilisieren.

Auch China erwähnte Sullivan mehr als ein Dutzend Mal. Aktive Industriepolitik sei unter anderem deshalb nötig, weil China sie seit Jahren so emsig betreibe. China subventioniere nicht nur seine Stahlindustrie, sondern auch „Schlüsselindustrien der Zukunft“. Die USA hätten dagegen „nicht nur Industrieproduktion verloren – wir haben unsere Konkurrenzfähigkeit in wesentlichen Technologien, die die Zukunft bestimmen werden, untergraben“.

Zudem habe „der sogenannte China-Schock Teile unserer heimischen fertigenden Industrie besonders hart getroffen – mit schweren und lang-
anhaltenden Folgen“, sagte Sullivan. Als „China-Schock“ bezeichnen Ökonomen den Niedergang bestimmter Industriebranchen in den USA nach Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WHO) im Jahr 2001. In diesem Zeitraum profitierten zwar zahlreiche US-Unternehmen enorm von der Integration Chinas in die Weltwirtschaft, aber in bestimmten Regionen der USA, beispielsweise im Mittleren Westen, schlossen Fabriken und die Arbeitslosigkeit stieg an.

Der Grund dafür war nicht nur die Verlagerung von Produktion nach China – wie vor allem Trump es später dargestellt hat –, sondern auch der generelle Trend zur Verlagerung von Produktion in andere Weltregionen, die Automatisierung und die zunehmende Konzentration von Wirtschaftsbranchen in bestimmten Regionen, besonders in einigen Großstädten.

Deshalb sei es ein Ziel der „Biden-
omics“, dafür zu sorgen, dass Industrieinvestitionen in solche Regionen gelenkt werden, die unter Deindustrialisierung gelitten haben. „Ich glaube, dass jeder Amerikaner, der hart arbeiten will, einen Arbeitsplatz kriegen können sollte, egal wo er lebt – sei es im heartland oder in Kleinstädten“, sagte Joe Biden in einer Rede in Wisconsin Mitte August. Jeder solle „seine Wurzeln dort behalten können, wo er aufgewachsen ist. Das ist der amerikanische Traum. Das sind die ‚Bidenomics‘.“

Dahinter steht auch politische Taktik. Die britische Tageszeitung „Financial Times“ hat ausgerechnet, dass in den vergangenen zwölf Monaten über 18-mal so viel Industrieinvestitionen in Bezirken angekündigt wurden, in denen Republikaner üblicherweise Wahlen gewinnen, als in demokratisch dominierten. Sind die entsprechenden Fabriken erst einmal gebaut, so das politische Kalkül der Demokraten, werden die Republikaner kaum noch gegen die Förderungen von Fabriken in ihren Wahlbezirken Stimmung machen können.

Und Joe Biden kann durch das Land reisen und mit seiner Industriepolitik Wahlkampf machen. „All die Abgeordneten im Kongress, die dagegen gestimmt haben, merken auf einmal, wie großartig sie ist“, spottete er bei einem Auftritt in South Carolina im Juli über die Republikaner. Auch Investitionen in sogenannte grüne Technologie und Elektroautos lassen sich besser an republikanische Wähler verkaufen, wenn man das mit dem Hinweis tut, es gehe darum, die technologische Vormacht der USA über China zu verteidigen.

Paul Simon ist Redakteur der in Berlin erscheinenden Wochenzeitung Jungle World.

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