Vorwürfe gegen EU-Grenzschutzagentur: Langsam wird es unbequem

Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) ermittelt gegen Frontex und soll sogar Büros der Geschäftsführung durchsucht haben. Auch Menschenrechtsverletzungen werden dem EU-Grenzschutz vorgeworfen. Bis kommenden Freitag muss die Agentur zudem Fragen des 
EU-Ombudsmans beantworten.

Besuch bei den Truppen: EU-Grenz-
schutzagenturdirektor Fabrice Leggeri (vierter von links) im August 2018 auf einem Frontex-Schiff im Hafen von Algeciras, Spanien. (Foto: EPA-EFE/A. Carrasco Ragel)

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. Am Montag berichtete das Nachrichtenportal „EUobserver“ darüber, wie die Behörde sich alljährlich mit einem großen Event selbst gefeiert und dafür zwischen 2015 und 2019 schlappe 2,1 Millionen Euro ausgegeben hat. Die rauschenden Feste waren aber offenbar nicht der Grund, weshalb nun das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) Ermittlungen gegen Frontex aufgenommen hat.

Bereits am 7. Dezember 2020 sollen Beamte des Olaf die Büros des Frontex-Geschäftsführers Fabrice Leggeri und seines Kabinettchefs Thibauld de La Haye Jousselin durchsucht haben. Die Aktion stehe im Zusammenhang mit Vorwürfen gegenüber Frontex, über illegale Zurückweisungen von Asylsuchenden entlang der EU-Außengrenze informiert oder gar daran beteiligt gewesen zu sein, berichtete die griechische Zeitung „ekathimerini“ vergangene Woche. Gegenüber verschiedenen Medien bestätigte der Olaf die Ermittlungen, schwieg sich über die Gründe dafür jedoch aus.

Der Druck auf Leggeri steigt. Bei einer Debatte des Europaparlaments zur humanitären Situation an den EU-Außengrenzen am vergangenen Dienstag wurden der nicht anwesende Frontex-Direktor und seine Organisation mehrmals scharf kritisiert. „Die EU ist manchmal selbst ein Teil des Problems“, sagte der luxemburgische DP-Abgeordnete Charles Goerens und betonte: „Frontex hat die Pflicht, das humanitäre Recht zu respektieren.“ Andere wurden noch deutlicher. Für Leggeri dürfe es eigentlich nur zwei Alternativen geben: „Entweder er tritt zurück oder wir werfen ihn raus!“, forderte die spanische Abgeordnete Sira Rego von der Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

Mit dieser Haltung ist Rego längst nicht mehr allein. Spätestens seit Leggeri am 1. Dezember, knapp eine Woche vor der mutmaßlichen Durchsuchung seines Büros, im Europaparlament Rede und Antwort stehen musste, haben viele Abgeordnete von seinen Manövern genug. Abermals hatte der Beamte sich darauf versteift, für eine Beteiligung von Frontex an den sogenannten Pushbacks gebe es keine Beweise. Die Fraktion der Sozialdemokraten forderte ihn darauf noch am selben Tag zum Rücktritt auf; man habe jedes Vertrauen in Leggeri verloren.

Anschuldigungen, bei Pushbacks mitzumischen, werden seit vielen Jahren immer wieder gegen Frontex laut. Vergangenen Oktober jedoch präsentierte ein journalistisches Netzwerk um das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ und die Online-Plattform „Bellingcat“ eine Recherche mit vielen Belegen, die den Druck auf die EU-Grenzschutzagentur erhöhte (die woxx hatte darüber in der Ausgabe 1607 berichtet). So sollen beispielsweise im April 2020 knapp zwei Dutzend Flüchtlinge, die bereits die griechische Insel Samos erreicht hatten, von der dortigen Küstenwache wieder auf einem Gummifloß ausgesetzt und in Richtung der türkischen Küste abgedrängt worden sein. Ein Frontex-Flugzeug habe all dies überwacht. Auch an der ungarischen Grenze zu Serbien sollen Beamte der EU-Agentur angesichts von Menschenrechtsverletzungen und Tausenden von Pushbacks systematisch „die Augen verschließen“, so das ungarische Helsinki-Komitee, eine NGO mit Sitz in Budapest, Anfang Januar auf detaillierte Dokumente gestützt.

Auf Berichte wie diese hin hatte der Ombudsman der Europäischen Union, Emily O‘Reilly, im November eine offizielle Untersuchung gegen Frontex eingeleitet; der Olaf zog offenbar nach. Ermittelt wird von der Betrugsbekämpfungsbehörde nicht allein wegen der Pushbacks, wie das Nachrichtenportal „politico“ von vier nicht namentlich genannten Beamten aus der Frontex-Zentrale in Warschau erfahren haben will. Angeblich stehen auch Vorwürfe wegen Belästigung und Fehlverhalten am Arbeitsplatz im Raum. Mehrere Beamte hätten die EU-Agentur aus diesem Grund in den vergangenen Monaten verlassen.

Bild: EU 2015/ EC – Audiovisual Service / Angelos Tzortzinis

„Aktiv widersetzt“

Frontex-Chef Leggeri bestreitet nach wie vor jede Beteiligung seiner Behörde an den illegalen Zurückweisungen. Dennoch sah er sich vergangenen Herbst auf Druck der zuständigen EU-Kommissarin Ylva Johansson genötigt, einer internen Untersuchung zuzustimmen. Man wolle die Vorwürfe genau prüfen, so Leggeri im November, begleitet von einem Versprechen: „Ich bin entschlossen, das Büro des Grundrechtsbeauftragten zu stärken und dessen Budget schrittweise zu erhöhen.“

Nach Informationen von „ekathimerini“ hat der ranghöchste Frontex-Beamte in der Vergangenheit jedoch exakt das Gegenteil getan. Laut einer Person, die mit den internen Vorgängen in der Behörde vertraut sei, habe sich Leggeri der vorgesehenen Neueinstellung von 40 Mitarbeiter*innen für das genannte Büro „aktiv widersetzt“, zitiert das Blatt aus einem Dokument. Noch 2020 habe er auf entsprechende Nachfragen aus seinem Team geantwortet, deren Rekrutierung habe „keine Priorität“. Den an Einsätzen vor Ort beteiligten Kräften habe er zu verstehen gegeben, dass „die Meldung von Pushbacks, an denen Frontex-Personal beteiligt ist, weder für Beliebtheit noch für Beförderung“ innerhalb der Agentur hilfreich sei. Das passt ins Bild, denn auch der „Spiegel“ hatte im Oktober vom Korpsgeist innerhalb der Grenzschutztruppe berichtet: Nationale Sicherheitskräfte für beobachtete Rechtsverstöße zu melden, sei unter den Frontex-Beamten „verpönt“.

Angesichts all dessen wurde am Dienstag im Plenum erneut die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission gefordert. Der deutsche Abgeordnete Erik Marquardt von der Fraktion der Grünen hält eine solche für wichtiger als die auf Leggeri fokussierte Personaldiskussion. „Es ist es ja nicht primär die Verfehlung einer einzelnen Person, die wir beobachten, sondern es handelt sich um ein systematisches Problem“, sagte Marquardt gegenüber der woxx: „Frontex agiert nicht losgelöst von der Politik, sondern setzt im Grunde einen politischen Willen an den EU-Außengrenzen um, den viele Mitgliedsstaaten auch recht offen artikulieren.“ Zögerlichkeit, wie sie beispielsweise innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion (S&D) hinsichtlich der Bildung eines Untersuchungsausschusses besteht, versteht er daher nicht. Er hofft jedoch, dass viele der Abgeordneten rasch überzeugt werden können.

„Außer Kontrolle“

Seine holländische Fraktionskollegin Tineke Strik ist skeptischer. „Ich glaube nicht, dass so etwas schnell zustande kommt“, sagte sie dem „EUObserver“ mit Blick auf das geforderte Gremium. Diskussionen werde es nicht zuletzt darüber geben, wie umfassend das Mandat eines solchen Ausschusses gestaltet ist, ob dieser sich also nur auf Frontex fokussiert oder auch das Handeln der Europäischen Kommission sowie der Mitgliedsstaaten miteinbezieht. Mindestens ein Viertel der Abgeordneten muss für die Bildung des Ausschusses votieren.

Die spanische Abgeordnete Sira Rego wiederholte am Dienstag den von verschiedener Seite gemachten Vorwurf, Frontex sei als EU-Agentur „außer Kontrolle“ geraten. Für Erik Marquardt stellt sich mit dem geforderten Ausschuss daher letztlich die Frage, wie ernst das Parlament sich selber nimmt: „Es geht darum, dass man die Ermittlungen nicht einfach nur anderen überlässt, also etwa dem Olaf und dem Ombudsman.“ Immerhin seien dank der Olaf-Untersuchung nun vielleicht Abgeordnete zu erreichen, „die die Kritik an Frontex bislang als Menschenrechtsoptimismus oder so etwas abgetan haben“. Letztlich sei jedoch auch der Olaf darauf angewiesen, „dass es politische Entscheidungsträger gibt, die aus den Ermittlungsergebnissen dann auch die entsprechenden Konsequenzen ziehen“.

Von den genannten Institutionen abgesehen, liegt das Augenmerk bislang auf der Frontex-internen Untersuchung. Ende November wurde vom Verwaltungsrat der Agentur eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die eine etwaige Beteilung von Frontex-Beamten an Pushbacks und anderen Grundrechtsverstößen untersuchen soll. Die Übergabe eines ersten Berichts hierzu an den Verwaltungsrat war für dessen Sitzung an diesem Donnerstag geplant, dem Redaktionsschluss dieser Zeitung. Im Frontex-Verwaltungsrat sitzen neben zwei Vertreter*innen der EU-Kommission auch Repräsentant*innen der Grenzschutzbehörden aller Mitgliedsstaaten. Für Luxemburg übernimmt der Leiter der Flughafenpolizei, Christian Steichen, dieses Amt.

Eine von Ombudsman Emily O’Reilly im November an Frontex übergebene Liste von Fragen muss die EU-Agentur bis Freitag kommender Woche (29. Januar) beantworten, wie die Pressestelle der EU-Bürger*innenbeauftragten auf Anfrage der woxx zum Stand der Untersuchung mitteilte: „Der Ombudsman wird die Antworten dann analysieren, bevor über die nächsten Schritte entschieden wird.“ Der Fragekatalog richte sich unter anderem auf den Beschwerdemechanismus für Flüchtlinge und Migrant*innen gegenüber Frontex sowie auf die Rolle des Menschenrechtsbeauftragten der Organisation. Die eigene Arbeit sehe man von den nun aufgenommenen Ermittlungen des Olaf nicht tangiert.

Die kostspieligen Jahresfeiern, so ließ Frontex übrigens verlauten, seien für die Zukunft nicht mehr vorgesehen.


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