Nehmen Politik und Wirtschaft die Forderungen der Klimaproteste wirklich zur Kenntnis? Auf der Konferenz in Madrid ist davon kaum etwas zu bemerken.
„Sie hat die Herzen vieler Jugendlicher und vieler Menschen in der ganzen Welt geöffnet.“ Die Aussage der chilenischen Präsidentin der COP25, Carolina Schmidt, über Greta Thunberg soll zeigen, dass die Aktivistin, am Mittwoch in Lissabon eingetroffen, in Madrid willkommen ist. Ist also die Zivilgesellschaft dabei, im „Eilmarsch durch die Institutionen“ Thunbergs Forderungen Gehör zu verschaffen?
Keineswegs! Dass die junge Frau große Medienaufmerksamkeit genießt, öffnet ihr natürlich viele Türen – eine gute Sache für den Klimaschutz. Doch viele, die nicht im Rampenlicht stehen, bekommen zu spüren, was Wirtschaft und Politik tatsächlich von den Protesten und ihren – wissenschaftlich legitimierten – radikalen Forderungen und Aktionen halten. So müssen sich fünf Aktivist*innen von „We don’t shut up“ vor Gericht verantworten, weil sie im November – nach dem Motto „We shut down!“ – die Kohlezufuhr des Kraftwerks Weisweiler bei Aachen für mehrere Stunden blockiert hatten. Der für die todbringenden Emissionen verantwortliche Konzern RWE war sich nicht zu schade, die Betreffenden auf über zwei Millionen Schadenersatz zu verklagen.
Doch auch vor Ort in Madrid ist die Zivilgesellschaft nicht immer willkommen. So wurden Aktivist*innen daran gehindert, die Newsletter „ECO“ des „Climate Action Network“ (CAN) zu verteilen. Das Netzwerk teilte über Twitter mit, ein solches Verbot sei neu – die offizielle Begründung lautet, man wolle die COP „paperless“ machen. Nicht ganz glaubwürdig, sieht man sich die Fotos des in den Hallen ausliegenden Werbemülls an, die die ECO-Newsletter am nächsten Tag veröffentlichte. Es dürften eher die kritischen Beiträge, wie der täglich an Länder oder Firmen verliehene „Fossil of the Day“-Preis sein, an denen sich die Klima-Diplomat*innen stören.
Meinten es die COP25-Organisator*innen ernst mit dem Klimaschutz, dann sollten sie sich eigentlich über kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft freuen. Eines der Hauptthemen sind die derzeit vorliegenden, völlig unzureichenden, nationalen CO2-Selbstverpflichtungen. Wie aber können die Klimaproteste Druck machen im Sinne einer Kurskorrektur hin zu höheren CO2-Einsparungen, wenn sie bei den Verhandlungen ausgeblendet werden?
Ein weiteres Hauptthema der COP sind die Marktmechanismen, die das Kosten-Nutzen-Verhältnis von CO2-Einsparungen optimieren sollen. In Madrid muss das Regelwerk dafür ausgearbeitet werden – trotz weit auseinander liegenden Verhandlungspositionen. Es ist zu befürchten, dass unter dem Druck, zu einem Ergebnis kommen zu müssen, faule Kompromisse gemacht werden. Immerhin haben die Erfahrungen mit den Kyoto-Marktmechanismen in den vergangenen 20 Jahren gezeigt, dass Missbrauch und schädliche Nebenwirkungen den Klimaschutz eher schwächen als stärken. Das Problem: Viele Länder versprechen sich von diesen Mechanismen Vorteile und die Wirtschaftslobbys sind davon begeistert.
Die „Klimarettung“, die sich ankündigt, arrangiert Politik und Wirtschaft gleichermaßen.
Man sieht, trotz Initiativen wie Fridays for Future agieren die Entscheidungsträger*innen auf den Klimakonferenzen immer noch wie zuvor. Auch wenn sie es öffentlich anders darstellen, sind für viele Politiker*innen die Wirtschaftslobbys die Freundinnen, wohingegen NGOs als Bedrohung oder gar als Feindinnen betrachtet werden. Denn die „Klimarettung“, die sich ankündigt, arrangiert Politik und Wirtschaft gleichermaßen: Flexible Marktmechanismen, die eine Anpassung der Selbstverpflichtungen nach oben verbilligen. Dass die versprochenen CO2-Einsparungen nur heiße Luft sind, zeigt sich, wie bei Kyoto, wohl erst mit fünf oder zehn Jahren Verspätung in vollem Unfang. Dann wäre es bereits zu spät, um einen Temperaturanstieg um zwei Grad und mehr zu vermeiden.
Darauf sollte sich die Zivilgesellschaft nicht einlassen, sondern klarmachen: So geht es nicht! Die Klimakonferenzen von 2019 und 2020 sind die letzte Chance für die Menschheit, sich an die Gesetze der Erdatmosphäre anzupassen. Sie sind auch die letzte Chance für die Entscheidungsträger*innen, sich an die Gesetze der globalen Zivilgesellschaft anzupassen.