WELT DER ANTIKE: Ansichten eines Fischs

Im Kulturhistorischen Museum vermittelt eine Sammlung altgriechischer Fischteller Einblicke in Kunsthandwerk und Zivilisation der Antike.

Was ist ein Fischteller? Beim Griechen an der Ecke kostet er 9 Euro 30 und bezeichnet ein Fischmenü, Kaffee und Nachtisch einbegriffen. Die Fischteller, die zurzeit im Kunsthistorischen Museum zu sehen sind, dürften ein Vielfaches davon wert sein, stammen sie doch aus dem antiken Griechenland. Und es ist nicht einmal sicher, dass sie zum Fisch essen benutzt wurden.

Unter dem Namen „Die Griechen und das Meer“ stellt das Museum mehrere Dutzend Exemplare aus. 28 Texttafeln informieren über die gezeigten Objekte und geben anhand der Fischteller eine Einführung in die Kulturgeschichte der Antike. Teller? Mit dem Tischgeschirr von Villeroy et Boch haben die guten Stücke wenig gemein: schwere Keramik mit einem Rand, dicker als die „cheesy crust“ einer bekannten Pizzakette, mit einem Standfuß drunter und einer Mulde in der Tellermitte. Auch die Bemalung ist alles andere als Vieux-Luxembourg-Stil. Drei, manchmal vier braunrote Fische auf dunklem Grund, mit weißen Farbtupfern verziert. Insgesamt sehen die Objekte aber ansprechend aus, die Darstellungen sind abwechlungsreich, und so schweift man gerne im Ausstellungsraum umher.

Als „rotfigurig“ wird der Stil dieser Teller bezeichnet, weil die Fischkörper die Farbe des gebrannten Tons haben, der Hintergrund und die Zeichnung der Flossen und Augen dagegen aufgemalt ist. Ein dreistufiges Brennverfahren lässt die bemalten Stellen schwarz werden, und danach werden die Motive noch mithilfe von Deckfarben verziert. Auf der Texttafel liest man weiter: „Der größte Exportschlager des alten Griechenland waren Gefäße aus Metall und Ton. In dieser Sparte des internationalen Handels galt ‚Made in Greece‘ offensichtlich als das Gütesiegel schlechthin.“

Doch obwohl der Handel, und insbesondere der Seehandel, die Grundlage des Wohlstands und der Expansion der alten Griechen bildete, war das Meer ihnen nicht ganz geheuer. „Zu groß erschienen ihnen die Gefahren der See“, heißt es im Begleittext. Daher mieden sie es, mit ihren Schiffen auf das offene Meer hinauszufahren und hielten sich stets in Küstennähe.“ Die mythischen Seeungeheuer sind auf den Tellern nicht abgebildet, dafür aber die freundlich gesinnten Delphine und die Hippokampen, friedliche Fabelwesen die wie geflügelte Seepferdchen aussehen.

Hervorzuheben ist der gut gemachte Begleittext, der auch auf französisch verfügbar ist, und einen knappen, aber gut gemachten Kinderteil einschließt.

Leider bleiben die Erläuterungen bei einigen interessanten Aspekten der griechischen Geschichte an der Oberfläche. So hätte man von dem gespaltenen Verhältnis der Griechen zu den Fischen – essbar oder nicht – und zum Meer – Segen oder Fluch – zu einer soziologischen Betrachtung überleiten können. Es gab insbesondere in Athen dramatische Machtkämpfe zwischen einer traditionellen Elite von Großgrundbesitzern, und neuen politischen Kräften, die die Interessen des Handels und des städtischen Proletariats vertraten. Während des peloponnesischen Krieges setzten sich letztere durch: Man ließ die feindlichen Armeen die Olivenhaine Attikas verwüsten und erbaute die „Langen Mauern“, um die Verbindung von Athen mit seinem Hafen zu sichern. Diese Strategie bedeutete eine Abwertung der traditionellen Landkrieger, der Hopliten die sich im Bürgertum rekrutierten, und eine Aufwertung der Galeerenflotten und damit des Proletariats der Seeleute und Ruderer.

Doch nachdem man viel über Keramik und einiges über die Griechen erfahren hat, möchte man wissen, wozu diese Teller eigentlich benutzt wurden. Mit lobenswerter Offenheit geben die Aussteller zu, dass die Wissenschaft hierauf keine Antwort hat. Mehrere Hypothesen werden erörtert, doch das Aquarium in der Mitte des Ausstellungsraums, in dem mehrere Teller liegen, vermittelt, welche Erklärung den Machern am besten gefallen hat: Beim „Kottabos“-Spiel im Rahmen von Symposien – das altgriechische Wort für Besäufnis – „schleuderten die Zecher den Weinsatz, der in ihren Trinkschalen verblieben war, nachdem sie sie geleert hatten, gegen Ziele unterschiedlicher Form. Die erwähnten ‚Oxybapha‘ waren Gefäße, die in einem größeren Becken schwammen. Traf man sie mit dem Weinrest, so sanken sie in die Tiefe. Wäre es wohl möglich, dass unsere Fischteller mit diesen ‚Oxybapha‘ gemeint sind?“ Fantasievolle Wissenschaftler haben festgestellt, dass diese Fischteller tatsächlich schwimmen. Und der nicht minder fantasievolle Verfasser des Begleittextes kommt ins Schwärmen: „Was für ein Schauspiel, wenn die mit Fischen bemalten Teller zu Boden glitten. Fast sah es aus, als schwämmen echte Fische im Wasser!“

Eine kleine, aber feine Ausstellung für alle, die sich für Fische, für die alten Griechen, oder sogar für beides interessieren.

Im Kunsthistorischen Museum (Musée national d’histoire et d’art), bis zum 8. Juni.


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