Blaue Flecken, Schürfwunden – nicht für alle ging die große Schülerdemo vor der US-Botschaft glimpflich zu Ende. KritikerInnen werfen der Polizei vor, unverhältnismäßig auf einzelne Unruhestifter reagiert zu haben.
„War is not a game“, „United for Peace“, „Kee Krich“ – das sind einige der Sprüche, die mit großen, bunten Buchstaben auf die Plakate geschrieben standen, die SchülerInnen aus nahezu allen Lyzeen Luxemburgs am vergangenen Donnerstag vor sich hertrugen. Zehntausende waren es, die allein in der Hauptstadt vor der US-Botschaft gegen den Krieg im Irak und für eine friedliche Lösung des Irakkonfliktes demonstrierten. Und dabei sind die Tausende, die in Esch, Ettelbrück und anderswo ebenfalls auf die Straße gingen, noch nicht mitgezählt.
„Die Jugendlichen waren extrem motiviert“, beschreibt Luc Ramponi von „Jugend fir Fridden a Gerechtegkeet“ die Stimmung am Tag des „Walkouts“. Es war innerhalb dieser Jugendorganisation, wo die Idee einer landesweiten Großdemo sämtlicher Schulen zum Kriegsbeginn ihren Anfang nahm. Da verschiedene Mitglieder der „Jugend“ zugleich VertreterInnen der nationalen Schülerkonferenz sind, wurde die Aktion dort diskutiert – und schließlich beschlossen.“Die Sache hat eine ungeheure Eigendynamik entwickelt“, erzählt Paul Hallé, ebenfalls aktiv bei „Jugend fir Fridden a Gerechtegkeet“. Wie ein Lauffeuer breitete sich die Idee in den Schülerkomitees der jeweiligen Schulen aus und wurde dort zumeist mit überwältigender Mehrheit aufgenommen.
„Viele von uns waren bei Kriegsausbruch niedergeschlagen“, erinnert sich Marion Gessner.“ Mit der Aktion wollten wir zeigen, dass uns der Krieg nicht egal ist, dass wir für eine friedliche Lösung des Irakkonfliktes sind. “ Gessner ist Vorsitzende des Schülerkomitees der katholischen Privatschule „Fieldgen“, von der sich rund 1.100 SchülerInnenan dem „Walkout“ beteiligten. Deren Leiterin Danièle Faltz hatte, wie viele andere Schuldirektionen im ganzen Land, grünes Licht für den Marsch gegeben, allerdings nicht ohne den jungen AktivistInnen ein paar mahnende Worte mit auf den Weg zu geben: „Versucht, Frieden im Herzen zu haben.“
Ein Motto, das die meisten ernst nahmen – bis auf wenige Ausnahmen. Vereinzelte jugendliche Randalierer warfen Flaschen, die Antwort der Polizei folgte prompt: Mit Schlagstöcken bewaffnet, knüppelten und drängten Polizisten die DemonstrantInnen zurück. „Die SchülerInnen haben versucht, in den Sicherheitsbereich der US-Botschaft zu gelangen“, heißt es seitens der Polizei, die Beamten hätten unverhältnismäßig und teilweise ohne Grund ihre Knüppel eingesetzt, klagt die Gegenseite. Ein 13-jähriger Junge wurde am Kopf getroffen, obwohl „er nichts getan hat“, wie eine Lehrerin, die den Vorfall selbst beobachtet haben will, beteuert. Nun wird überlegt, ob gegen den verantwortlichen Beamten Klage erhoben werden soll.
Enge und Chaos
Wie die Rangeleien vor der Botschaft tatsächlich begannen, ist im Nachhinein wohl kaum noch zu klären. AugenzeugInnen berichten aber übereinstimmend von einer „schrecklichen Enge“ und von „minutenlangem Chaos“ vor der Botschaft, eine Situation, an der die Polizei möglicherweise nicht ganz unschuldig ist. Polizisten seien noch am Morgen darüber informiert worden, dass tausende DemonstrantInnen im Anmarsch seien, sagen die OrganisatorInnen und Janine Frisch, Lehrerin am Lycée Technique du Centre. Woher sie das denn wissen wolle, sei die unwirsche Antwort der Beamten gewesen. Wohl wegen dieser Fehleinschätzung wurden zunächst rund um die Botschaft weder Absperrungen geräumt, noch den Jugendlichen ein geeigneter Platz zugewiesen. „Die Polizei hat zu wenig mit uns zusammengearbeitet“, kritisiert Luc Ramponi von der „Jugend“ gegenüber der woxx. Mit einem Zugang zur Botschaft von wenigen Metern für unzählige SchülerInnen „braucht man sich nicht zu wundern, wenn einzelne Leute aggressiv werden“.
Und es gibt noch mehr Kritik an der Polizei. Eine spontane Brückenbesetzung am vergangenen Freitag endete für zehn KriegsgegnerInnen mit einer erkennungsdienstlichen Behandlung – und mit blauen Flecken. „Wir meinen, dass wir normal vorgegangen sind“, verwahrt sich Polizeisprecher Vic Reuter gegen Stimmen, die den Beamten „brutales Vorgehen“ vorwerfen. Es seien immer dieselben Rädelsführer, die provozierten.
Doch Augenzeugenberichten zufolge haben auch in dieser Situation Kommunikationsprobleme der Polizei zur Eskalation geführt. Die Polizei habe zunächst den Jugendlichen eine Frist bis 18.30 Uhr zugestanden, bevor sie den Platz räumen wollten. Entgegen der Absprache hätten Beamte aber schon gegen 18 Uhr mit dem Räumen begonnen. Dabei soll ein Beamter einen dunkelhäutigen Demonstranten mit „houre Neger“ beschimpft haben. „Das habe ich selbst mitbekommen“, sagt Joël Delvaux. Der OGBL-Gewerkschafter war zufällig in die Demo geraten und hatte sich spontan den Anti-Kriegs-Protesten angeschlossen.
„Darüber habe ich keine Kenntnis“, erklärt hingegen Vic Reuter auf Nachfrage der woxx, „wir zögern Zugriffe bis zuletzt hinaus.“ Der Polizeisprecher, der selbst bei den Vorfällen nicht zugegen war, sagt, er könne es sich „nicht vorstellen, dass ein Einsatzleiter es überhaupt zulässt, dass zur Hauptverkehrszeit eine Brücke blockiert wird“.
Eine Version, die in den nächsten Tagen wohl noch eingehend überprüft werden dürfte – eine parlamentarische Dringlichkeitsanfrage des Abgeordneten Serge Urbany (déi Lénk) an den Innenminister Michel Wolter zum fragwürdigen Polizeieinsatz liegt bereits vor.
Und weiter geht’s
Die jungen KriegsgegnerInnen wollen sich trotz der jüngsten Repressalien nicht „einschüchtern lassen“. In einer Pressemitteilung kündigte die nationale Schülerkonferenz weitere Aktionen an – dieses Mal außerhalb der Schulzeit, um SkeptikerInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese hatten moniert, dass viele SchülerInnen nur deshalb mitgelaufen seien, um nicht in die Schule gehen zu müssen.
In der Tat bahnt sich in vielen Schulen schon jetzt eine gewisse Aktionsflaute an. „Der Protest war echt“, sagt Jutta Ruhmann. Die Ethik-Lehrerin am Lycée Aline Mayrisch hat mit ihren Klassen viel und kontrovers über den Irakkonflikt diskutiert und dabei ein großes Diskussionsbedürfnis festgestellt. Vom anfänglichen großen Engagement sei inzwischen aber nicht mehr viel zu spüren.
„Wir protestieren weiter, bis der Krieg beendet ist und unsere Forderungen erfüllt sind“, sagt Michel Erpelding von der Nationalen Schülerkonferenz kämpferisch. Premierminister Jean-Claude Juncker sollte den unrechtmäßigen Krieg besser als völkerrechtswidrig verurteilen statt „pathetische Gefühlsäußerungen“ von sich zu geben, kritisierte der Schülersprecher gemeinsam mit Vertretern der „Jugend“ im Gespräch mit der woxx. Bis das passiert, dürfte aber noch viel Zeit für Aktionen bleiben.
Ines Kurschat
Siehe auch Kommentar in der woxx Nr. 686 Seite 8.