Die Stellungnahme der „Ligue des droits de l’homme“ zu den Gesetzesprojekten zum Strafvollzug fällt recht kritisch aus. Weder sei in ihnen eine grundlegende Reflexion der Funktion der Gefängnisstrukturen erkennbar noch sicherten sie den Häftlingen ihre Grundrechte.
1971 wurde an der Stanford University von dem Psychologen Philip Zimbardo ein psychologisches Experiment durchgeführt, bei dem es um das Verhalten unter den Feldbedingungen echten Gefängnislebens ging. 24 Freiwillige wurden teils als Gefängniswärter, teils als Gefangene definiert. Das ursprünglich auf zwei Wochen angelegte Experiment musste nach sechs Tagen abgebrochen werden, da die Situation zwischen Wärtern und Gefangenen außer Kontrolle geriet. Zimbargo meinte damals, dass in der Gefängnissituation „eine Reihe von Faktoren eingeflossen sind, von denen für sich genommen keiner sonderlich dramatisch war, die jedoch zusammen eine mächtige Kombination bildeten.“ Faktoren, wie Verlust der Individualität, Entmenschlichung, Diffusion von Verantwortung und starke Machtgefälle erzeugten eine Situation des „laissez-faire“. Dieses Experiment zeigte drastisch, dass Menschenrechte unter den Bedingungen des Strafvollzuges äußerst verletzlich sind.
Um die Rechte der Häftlinge im Strafvollzug ging es diese Woche auch bei einer Veranstaltung der „Ligue des droits de l’homme“ (ALOS-LDH), bei der die Stellungnahme der Organisation zu den Gesetzesprojekten „portant réforme de l’exécution des peines“ (6381) und „portant réforme de l’administration pénten-tiaire“ (6382) vorgestellt wurde. Für die Reformprojekte, die Justizminister François Biltgen Anfang des Jahres eingebracht und als „globale Reflexion zum Strafvollzug“ gepriesen hatte, war es höchste Zeit, denn schon lange steht Luxemburgs Strafvollzug in der Kritik – wegen der chronischen Überbelegung des geschlossen Vollzugs in Schrassig (CPL), aber auch allgemein wegen der Lebensbedingungen im Knast.
So stellte die Gefangenenhilfsorganisation „info-prison“ (die inzwischen Geschichte ist) – schon vor Jahren fest: „Das Gefängnis an sich ist gesundheitsschädlich – sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht … die sozialen Bindungen zur Außenwelt werden nahezu vollständig durchtrennt. Es gibt sehr viele Situationen, in denen man nicht adäquat auf fundamentale Einschnitte ins eigene Leben reagieren kann, weil man weggesperrt ist“ (siehe Woxx 923). Und: „Die Unterbringung im Gefängnis vermittelt den Leuten nicht das Gefühl, dass sie das als Chance für die Zeit nach der Inhaftierung nutzen können.“ Problematisch an der Gefängnisstruktur sei nicht nur, dass die Betroffenen in ihren Ausdrucksmöglichkeiten stark eingeschränkt werden, was das Aggressionspotenzial noch zusätzlich fördere – die Situation im Gefängnis beeinträchtige auch den Status der Individuen als Rechtssubjekte.
„Man müsste sich eingestehen, dass das Gefängnis keine Probleme löst. Die Leute werden für ein paar Jahre aus dem Verkehr gezogen, und wenn sie rauskommen, ist bei vielen die Situation sogar noch schlimmer“, folgerte Schmitz damals.
Hierin soll nun eine Änderung eintreten: „Der aktuelle Minister hat uns einen Strafvollzug versprochen, der menschlicher ist, der mehr Möglichkeiten für die Integration der Gefangenen in die Gesellschaft bietet“, so Claude Weber von der Menschenrechtsliga, die sich seit einigen Jahren mit den Haftbedingungen im Gefängnis befasst. Es seien bereits einige Verbesserungen festzustellen. So wurde die Doppelrolle der Staatsanwaltschaft, die nach der bisherigen Gesetzgebung die Bestrafung forderte und zugleich für die Ausgestaltung der Strafen zuständig war, durch die Schaffung einer unabhängigen Instanz beseitigt. Auch die Schaffung einer neuen Strafvollzugsverwaltung ist geplant, und ein „Contrat volontaire d’intégration“ soll den Gefangenen eine bessere Integration ermöglichen. „Dennoch bleibt ein Unbehagen auf seiten der Menschenrechtsliga. Mit dem jetzigen Gesetzesentwurf geben wir uns nicht zufrieden“, betont Weber. Drei Gründe seien hierfür zu nennen:
Menschlichere Strafvollzug
Erstens basiere diese Reform nicht auf einer grundlegenden Reflexion über den Sinn der Strafe und die Funktion der Gefängnisstrukturen. Die Reform böte eigentlich die Gelegenheit, gesellschaftlich progressiv zu werden, d. h. über Alternativstrafen zum geschlossenen Strafvollzug nachzudenken und das Gefängnis als letzte Instanz zu behandeln. Stattdessen habe man, wegen der chronischen Überbelegung des geschlossen Vollzugs in Schrassig, auf Findel ein Gefängnis für Abschiebehäftlinge errichtet, und ein weiteres Gefängnis für Untersuchungshäftlinge werde bis Ende 2017 in Sassenheim seinen Betrieb aufnehmen. „Wenn mehr Zellen gebaut werden, dann werden auch wieder mehr Leute eingeperrt – das Angebot schafft die Nachfrage“, kritisiert die Menschenrechtsliga. Zudem seien die meisten Bewohner der Gefängnisse Drogenabhängige, denen auf diese Art eher wenig geholfen werde. Dabei sei eine breite Palette von Alternativmaßnahmen vorstellbar – etwa die Mediation, die elektronische Fußfessel – auch wenn diese allein nicht die oft dringend erforderliche Sozialarbeit leisten könne – oder eine Entschädigung der Opfer. „Letztere kann aber am wenigsten garantiert werden, wenn man die Täter wegsperrt“, betont Weber.
Zweitens werde in den beiden Gesetzesprojekten eine ganze Reihe von Grundrechten nicht genügend garantiert. Eine Gefängnisstrafe – „privation de liberté“ – bedeute vor allem, dass eine Person weggesperrt wird. Aber alle anderen Menschenrechte, die Grundrechte auf Gesundheit, Arbeit, Kommunikation, Bildung sowie die Bürgerrechte und politischen Rechte bestünden weiterhin. „Wenn der Staat die Entscheidung trifft, Menschen einzusperren, um auf einen sozialen Verstoß zu reagieren, dann muss er die Grundrechte trotzdem respektieren“, so Weber. Ein Gefangener müsse in seinen Rechten unterstützt werden, es genüge nicht, diese auf Papier scheinheilig zu garantieren.
Drittens sei es bedauerlich, dass in den Gesetzesprojekten eine ganze Reihe von großherzoglichen Regelungen vorgesehen sind. Das habe nämlich zur Folge, dass die vom Parlament gutgeheißenen Passagen der Gesetzesprojekte nachträglich abgeändert werden können. „Hier besteht also keine demokratische Kontrolle“, kritisiert Weber. „Deshalb sollten die Regelungen vor der parlamentarischen Abstimmung vorliegen.“
In ihrem Gutachten spricht sich die Menschenrechtsliga auch für eine obligatorische Weiterbildung der Gefängiswärter aus und plädiert dafür, ihnen Recht auf eine Supervision zuzugestehen.
Offene Fragen in puncto Sozial- und Zivilrechte
Insgesamt verweist die Ligue auf einen ganzen Strauß offener Fragen in puncto Sozial- und Zivilrechte. „Ganz wichtig ist uns die Frage der Frauen im Gefängnis. Die Frauen haben oft weniger Rechte als die Männer, da es sich nicht um so viele handelt“, erklärt Weber. Es gebe weniger Aktivitäten, an denen sie teilnehmen können, deshalb müsse auch die Gleichberechtigung im Gesetz verankert sein.
Weiter enthält das neue Gesetzesprojekt die Regelung, dass die Gefangenen vom Arbeitsrecht – das nicht nur ein Mindestgehalt, sondern auch Ansprüche wie die Gesundheits- und Rentenversicherung, das Recht auf bezahlten Urlaub etc. garantiert – ausgenommen sind. „Es kann nicht sein, dass die Menschen drinnen unter anderen Bedingungen arbeiten als draußen“, kritisiert Tom Oswald. „Wir glauben auch, dass man die Häftlinge nicht zur Arbeit zwingen kann, schon gar nicht unter ungerechten Bedingungen.“ Es gehe nicht an, dass ein Teil des Arbeitslohns der Häftlinge für die Unterbringungskosten abgezweigt wird – schließlich hätten sich die Gefangenen ihre Wohnsituation nicht selbst ausgesucht. Außerdem arbeite nur ein Teil der Gefangenen, und nur dieser werde zu den Zahlungen herangezogen. Schon 2010 (woxx: 1085) hatte Paula Gomes, die Vorsitzende von „défi-job“, einer Vereinigung, die den Gefangenen bei der beruflichen Resozialisierung hilft, moniert, dass für die rund 600 Strafgefangenen in Schrassig nur rund 50 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und es auch im Schulbereich nur eine ungenügende Zahl von Ausbildungsplätzen gibt. Die Gefängnisse hätten auch unter der Finanzkrise zu leiden – es gebe zu wenig Unternehmen, die Bestellungen aufgeben. Und schließlich: „Raus aus dem Gefängnis wollen alle – aber ein Ziel vor Augen haben in Luxemburg nur die wenigsten“, monierte die „défi-job“-Verantwortliche damals.
Ein weiterer Problempunkt, auf den die Ligue hinweist, sind die Bürgerrechte. Das Grundrecht auf eine Adresse im Strafvollzug sei nicht garantiert. „Wie sieht es dann mit den Wahlen aus, wenn sie keine Anschrift haben?“, fragt Oswald. Wichtig sei auch das Recht, eigene Interessen zu vertreten, und zwar nicht nur mit dem Mittel einer Gefangenendelegation, sondern als Asbl. Die Korrespondenzmöglichkeiten dürften nicht eingeschränkt werden – auch nicht durch Disziplinarsanktionen. Auch das Internet müsse, mit den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, zur Benutzung frei sein. Und der Gefangene müsse das Recht haben, seine privaten Dokumente unzugänglich für das Gefängnispersonal wegzuschließen.
Desgleichen verweist die Ligue auf die Notwendigkeit eines gesicherten Zugangs zum Recht. Jeder in der Gesellschaft, der nicht die Mittel hat, sich zu verteidigen, hat das Recht auf eine juristische Assistenz. „Dieses Recht haben Häftlinge nicht. Wir möchten, dass im Gesetz eine kostenlose Rechtsberatung festgeschrieben wird“, betont Oswald. Wünschenswert sei auch eine klare Skala der Disziplinarsanktionen im Gefängnis. Um Willkür bei diesen zu vermeiden, müsste es zudem die Möglichkeit geben, Beschwerden vorzubringen, über die dann auch schnell befunden werden sollte. Auch auf die Kontrolle der Gefängnisverwaltung gingen die Gesetzesvorschläge nur unzureichend ein. „Es fehlt an Kontrollmechanismen, wie etwa eine regelmäßige Berichterstattung der Verwaltung. Wir plädieren auch für die Einführung eines Berufsethik-Kodex, damit das Personal immer weiß, was erlaubt ist und was nicht“, so die Vertreter der Menschenrechtsliga, die die beiden Gesetzestexte aufgrund der vielen Ungereimtheiten als ziemliches Flickwerk bezeichnen.
In Zukunft muss unbedingt auch den vorbeugenden Maßnahmen größere Aufmerksamkeit gewidmet werden – von diesen handeln die beiden Gesetzestexte aber kaum. Die verschiedenen Ministerien müssten zusammenarbeiten und präventive Maßnahmen ergreifen, damit Jugendliche und Erwachsene vor Straffälligkeit bewahrt bleiben. Ohne die Schaffung gesellschaftlicher Strukturen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, wie sie etwa die „écoles de la deuxième chance“ darstellen, die jungen Schulabbrechern eine zweite Chance geben, ohne sinnvolle Programme zur Integration auch von älteren Menschen, die aus der Bahn geraten sind, und ohne eine grundlegende Änderung der rigiden Bestrafung von Beschaffungsdelikten wird eine Strafvollzugsreform wenig erbringen.