Die neue Familienministerin ist wandlungsfähig. Corinne Cahen war Journalistin, Schuhverkäuferin, Unternehmerin und Präsidentin des Geschäftsverbandes. Was sie anpackt, nimmt sie ernst.
Die frischgebackene Familienministerin empfängt in ihrem neuen Büro im obersten Stockwerk der Avenue Emile Reuter. Ein Raum, der noch nicht so richtig „ihrer“ ist. Denn am Ende war dann doch alles recht schnell gegangen. Verschmitzt lächelnd wie ein junges Mädchen und zugleich staatstragend in ihrem königsblauem Jackett. Obwohl ihr die Müdigkeit und Aufregung der letzten Wochen doch ein wenig anzusehen ist, strahlt Corinne Cahen und macht einen energischen Eindruck. Wie fühlt sich das an, von heute auf morgen im Familienministerium zu sitzen? „Das Gefühl ändert sich. Es reicht wirklich von ?himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt‘.“ Irgendwie sei sie hier hineinkatapultiert worden und gespannt, auch auf kommende Veränderungen. „Im Gegensatz zu vielen anderen dachte ich lange nicht, dass ich in die Regierung kommen würde und hatte nur wenig Zeit, mich damit anzufreunden und auch mein altes Leben zu organisieren.“
Das alte Leben, der elterliche Betrieb, das Schuhgeschäft Léon in der Avenue de la Liberté und die Geschäftsführung zwei weiterer Filialen, das alles liegt nun hinter ihr. Bereits am Abend des 20. Oktober war klar, dass es nun wieder in eine andere Richtung geht. Mit 13.822 Stimmen wurde sie Fünftgewählte der DP-Liste im Zentrum. Als sie ihr Wahlresultat verblüfft registrierte, reagierte sie schnell und begann direkt damit, den Betrieb von 25 MitarbeiterInnen umzuorganisieren, Verantwortung abzugeben. „Es ändert sich gerade sehr viel und es ist super komisch, auf einmal im Regierungsrat zu sitzen“, gibt sie zu.
„Es ändert sich gerade sehr viel und es ist super komisch, auf einmal im Regierungsrat zu sitzen.“
Corinne Cahen kann keine Bilderbuchkarriere in der Politik vorweisen, hat aber mit Sicherheit einen der spannendsten Lebensläufe unter den neuen Gesichtern der Regierung. Bis vor kurzem war sie als Unternehmerin tätig und ab 2008 vier Jahre Vorsitzende des hauptstädtischen Geschäftsverbandes. Nicht nur durch den Kundenkontakt, auch und vor allem als eigenwillige RTL-Journalistin machte sich Cahen einen Namen. Noch bis vor wenigen Wochen publizierte sie auf ihrem Facebook-Profil ihr „Résumé vum Dag“, in dem sie mit spitzer Feder und ganz persönlich über politische Geschehnisse berichtete. Sie hatte Tausende Abonnenten. Das ist nun vorbei. Zumindest vorläufig. Mit einem Klick hat sie ihren politischen Account deaktiviert. „Ich muss jetzt Diplomatie lernen, Facebook wird mir fehlen“, gesteht Cahen ein. Das sei ein bisschen so, wie aufzuhören, zu rauchen. Ein Entzug.
Journalismus war für Cahen immer eine Leidenschaft. Schon in der Grundschule hat sie gewusst, dass sie Radio oder Fernsehen machen wollte. Also rief sie irgendwann während des Abiturs kurz entschlossen bei Jean Octave an: „Hallo, mein Name ist Corinne Cahen. Ich möchte Journalismus studieren, ich weiß aber nicht, wo ich hingehen soll.“ Der lud sie ein und die journalistische Karriere nahm ihren Lauf. An den Wochenenden und neben Schule und Studium arbeitete sie so viel sie konnte als Freelancerin.
1994 wechselte sie dann zu Eldoradio, wo sie ein Jahr arbeitete, bis die Korrespondenz für RTL Radio Luxemburg aus Frankreich frei wurde. Bis zum Ende ihres Journalistikstudiums in Straßburg und Paris berichtete sie als Luxemburg-Korrespondentin für RTL. Ihr Job bei der Nachrichtenagentur AFP führte sie nach Washington und Den Haag zum Sitz des Kriegsverbrechertribunals, von wo aus sie berichtete, und schließlich wieder zurück nach Luxemburg, wo sie kurzerhand begann, im Schuhgeschäft auszuhelfen und ab 2000 dessen Leitung übernahm. Zufall oder Unternehmergeist?
„Das war kein Zufall. Das war Liebe. Ich bin ja eigentlich im Schuhgeschäft geboren, hätte ja auch gleich dahin arbeiten gehen können.“ Aber es war ihr wichtig, irgendwie aus dem Schatten der Eltern herauszukommen. Irgendwann war ihr Vater in dem Alter, wo es zu überlegen galt: Rente oder nicht? Verkaufen oder nicht? „Das Schuhgeschäft ist mein Leben“, räumt Cahen ein. Es sei ein richtiger Familienbetrieb. „Die Leute machen ihre Lehre bei uns im Schuhgeschäft und gehen bei uns in Rente. Das ist wie eine große Familie.“ Sie hätte das nicht nicht-machen können. „Ich glaub schon, dass ein bisschen Unternehmergeist dabei war, ich hab dann ja auch noch zwei Filialen aufgemacht, war gewähltes Mitglied der Handelskammer. Nee, nee, das macht viel Spaß.“
„Ich muss jetzt Diplomatie lernen, Facebook wird mir fehlen.“
Dann kamen die Jahre als Präsidentin des hauptstädtischen Geschäftsverbandes. Was hat sie da erreicht? „Viel!“ sagt Cahen selbstbewusst. „Wir hatten ein Programm und haben das voll durchgezogen.“ Man habe eine Maison Relais mitten in der Stadt aufgemacht, den Verband professionalisiert und dabei immer eng mit der Gemeinde zusammengearbeitet. „Unsere Beiträge sind natürlich auch angestiegen, aber wir haben den Leuten dafür auch was geboten: Public relations, Werbung und die Christbeleuchtung oder den City Shopping Info-Point.“
Ihr politisches Engagement bei den Blauen ist kein Zufall. Schon lange habe sie mit der DP sympathisiert. Aber ist Corinne Cahen deshalb eine Liberale? „Man soll leben und leben lassen. Ich bin der Meinung, dass der Staat den Leuten nicht zu viel vorschreiben sollte, was sie tun und lassen müssen.“ Aufgabe der Politik ist es ihrer Meinung nach, die Menschen als mündige Bürger zu behandeln. Zu viel staatliche Eingriffe und Vorschriften liefen dem entgegen. „Ich finde es im Jahr 2013 wirklich sehr ernüchternd, wenn die Politik mir vorschreibt, wie viele Monate ich stillen soll und dass ich, je nachdem wie lange ich das tue, mehr Geld bekomme. Das geht den Staat nichts an!“, sagt Cahen kategorisch. Gerade das Stillen sei Privatsache. „Das sind so Sachen, die mir wirklich gegen den Strich gehen“.
Und wenn ihr etwas wirklich gegen den Strich geht, handelt sie. Kaum als Abgeordnete im Amt, stellte sie auch schon zwei unbequeme parlamentarische Anfragen, in denen sie mit politisch brisanten Themen den Nagel auf den Kopf traf. Die eine betraf die Verteilung der Radiofrequenzen. Cahen wollte wissen, ob die Frequenz von DNR „in einer anderen Sprache als auf Luxemburgisch genutzt werden kann“, ob es eine rechtmäßige Ausschreibung der Frequenz gegeben habe und ob die „Vielfalt der Medienlandschaft im Großherzogtum“ überhaupt noch gewährleistet sei. Damit spielte sie recht direkt auf die Monopolstellung von RTL unter den privaten Radiostationen an.
„Ich finde es im Jahr 2013 wirklich sehr ernüchternd, wenn die Politik mir vorschreibt, wie viele Monate ich stillen soll und dass ich, je nachdem wie lange ich das tue, mehr Geld bekomme. Das geht den Staat nichts an!“
Die zweite Anfrage betraf den antisemitischen Gehalt eines Luxemburger Volksliedes, das noch immer beim jährlichen „Miertchen“ in Vianden gesungen wird, um den Winter einzuläuten. Ausschlaggebend dafür war ein Video, das auf Facebook kursierte. Mehr noch als der Text habe sie gestört, dass in dem Video zu den Gesängen mit brennenden Fackeln gewedelt wird – und das am Jahrestag der nationalsozialistischen Pogromnacht. Das sei wirklich „ein Flash gewesen. Die laufen da in der Nacht mit Feuerballen hin und her und brüllen „Ho, ho, ho, der Jud, der liegt im Stroh“. Das hat sie so schockiert, dass sie daraufhin den Bürgermeister von Vianden befragt hat. „Ja, das ist ne Tradition und so ist es halt“, entgegnete der. „Eine relativ blöde Ausrede“, meint Cahen dazu. Mit Tradition kann man alles erklären, aber die Welt gehe weiter. Auch Traditionen sind ihrer Auffassung nach dazu da, um neue Traditionen zu schaffen. „Alles war irgendwann mal eine Tradition. Im zweiten Weltkrieg waren andere Dinge Tradition, von denen ich nicht mal sprechen möchte.“
Kaum als Abgeordnete im Amt, stellte sie auch schon zwei unbequeme parlamentarische Anfragen, in denen sie mit politisch brisanten Themen den Nagel auf den Kopf traf.
Mittlerweile hat selbst Viandens Bürgermeister Schaefer gegenüber dem Luxemburger Wort eingeräumt, dass das Lied nicht mehr tragbar sei und er verhindern will, dass es im nächsten Jahr gesungen wird. Cahen bekommt die aggressiven Reaktionen auf ihre parlamentarische Anfrage noch immer zu spüren. Sowohl über Facebook wie auf der Straße. „Sie müssten mal nach Vianden kommen. Sie kennen nichts“, rief ihr eine Passantin vor kurzem entgegen. Corinne Cahen hat ihren eigenen Kopf, ist aber so weltgewandt, dass sie wohl kaum auf dem diplomatischen Parkett ausrutschen und sich große Fehltritte leisten dürfte. Hört man ihre Aussagen zum Koalitionsvertrag, so scheint sie hundertprozentig hinter den Forderungen zu stehen.
Gerade im Bereich Familienpolitik hat sich Gambia viel vorgenommen: Reform des Scheidungsrechts, Durchsetzung der Homo-Ehe, Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, Reform der Regelung bei Schwangerschaftsabbrüchen. Aber was will Cahen in der Legislaturperiode als Familienministerin durchsetzen? Wo wird sie Schwerpunkte setzen? „Am Herzen liegt mir, dass es den Leuten gut geht und den Leuten geholfen wird, die es wirklich nötig haben.“ Solche Leute gebe es in Luxemburg und die dürfe man auf keinen Fall fallen lassen. Man müsse aber auch sehen, dass viel Geld an Leute verloren ginge, die es nicht so nötig hätten. Internalisierte DP-Rhetorik im Stile „Schluss mit der Gießkannenpolitik“, oder Anliegen, die ihr wirklich ernst sind? Corinne Cahen meint, was sie sagt, sie guckt einem geradewegs in die Augen und man nimmt ihr ihre Überzeugungen ab. Vor allem dann, wenn sie ausholt, um über Inklusion und Barrierefreiheit zu sprechen. „Es geht darum, die Welt für behinderte Menschen offener zu gestalten, damit sie sich auch freier bewegen können“, betont sie mit Nachdruck. Es ginge darum, Inklusion voranzutreiben.
„Alles war irgendwann mal eine Tradition. Im zweiten Weltkrieg waren andere Dinge Tradition, von denen ich nicht mal sprechen möchte.“
Man dürfe die Menschen nicht kategorisieren. „Eine Behinderung – was heißt das überhaupt? Einer hat vielleicht ein Bein verloren und ein anderer hat vielleicht psychische Probleme.“ Deshalb ist es ihr wichtig, dass Kinder schon früh mit AltersgenossInnen mit einer Behinderung zusammenkommen, wichtig auch, ein inklusives Schulsystem einzuführen. Sonst bleibe immer eine Angst im Umgang miteinander, und die dürfe gar nicht erst aufkommen. „Ich denke, da bleibt noch viel zu tun und dass das eines der Ziele sein wird.“ Die Umstrukturierung der Ministerien führte dazu, dass die Jugend nun dem Schul- und Bildungsministerium unterliegt. So wird der Eindruck verstärkt, das Familienministerium sei eher für die Belange von Minderheiten zuständig. „Pour les handicapés de la vie“ hieß es schon unter der Ägide ihrer konservativen Amtsvorgängerin Jacobs. Ist es also ein Nischenministerium? Eine Behauptung, die Cahen so nicht stehen lassen will. „Nein, es ist ja viel mehr. Zum Beispiel liegt ja auch die Kindergeldkasse beim Familienministerium. Wir haben hier im Hause auch die OLAI, die sich um die Integration von Ausländern kümmert.“ Da gebe es auch viel zu tun, was die Reorganisation angeht.
Und es stellen sich Fragen wie die, wie man die Leute empfängt, die hier ankommen. „Wir sind dafür zuständig, die Menschen zu empfangen und auch so zu beherbergen, dass es menschenwürdig ist“, meint Cahen. Das Aufgabengebiet des Familienministeriums sei also breit gefächert. Aber welche Maßnahmen wird sie konkret in den nächsten Jahren treffen? Wird Luxemburg eine offenere Flüchtlingspolitik betreiben? Und was versteht sie unter dem viel gedeuteten DP-Schlagwort der „sozialen Selektivität“. Wird künftig im Bereich der Familienzulagen gespart werden?
„Was macht es für einen Sinn, wenn sie quer über das Land eine „Mammerent“ verteilen, die bestimmt verschiedene Leute brauchen und andere, sozial besser gestellte Frauen überhaupt nicht? Das ist das, was wir unter sozialer Selektivität verstehen. Die, die es brauchen, sollen natürlich etwas kriegen. Vielleicht sogar ein bisschen mehr“ – andere würden noch nicht einmal merken, ob sie ein paar Hundert Euro mehr oder weniger auf dem Konto hätten. Da müsse man jetzt umdenken und eine andere Methode finden.
Klare Vorstellungen hat Cahen in Bezug auf die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention – aus ihrer Sicht eine der prioritären Aufgaben der neuen Regierung. So spricht sie sich klar für eine Aufstockung des Personals aus. Man müsse in vielen Bereichen erst den Rahmen schaffen, „sich die Mittel geben“. Ist in einer Schulklasse ein Kind im Rollstuhl, erfordere das natürlich mehr Organisation. Die Gebäude seien teilweise sehr alt. Da müsse besser organisiert und das Betreuungsangebot ausgebaut werden. Ein Kind einfach in der Ecke abzustellen, während die anderen Kinder turnten oder schwimmen gingen, kommt nicht in Frage.
Und ihre Zukunftsvision für Gambia? „Die große Herausforderung ist, unsere Gesellschaft zu modernisieren, unser Zusammenleben zu modernisieren. Ausländer besser zu integrieren in unserem Land – denn die machen wirklich einen großen Teil unseres Landes aus und natürlich auch die Finanzen wieder mehr oder weniger in ein Gleichgewicht zu bekommen.“ Das klingt dann doch schon nach Politiker-Jargon. Keine Frage, Corinne Cahen kann. Wo sie hinkommt, nimmt sie die Dinge in die Hand.
„Am Herzen liegt mir, dass es den Leuten gut geht und dass den Leuten geholfen wird, die es wirklich nötig haben.“
Hat sie alles erreicht, was sie wollte? Die Familienministerin schüttelt energisch den Kopf und lacht. Ambitionen habe sie nie gehabt. Sondern immer das gemacht, was gerade kam. Dass sie mit dem Resultat gewählt würde, das sie erzielte, damit hat sie nicht gerechnet. Im besten Fall werde sie Siebte oder Achte und könnte dann eventuell nachrücken ins Parlament – das war ihre Prognose. „Ich bin im Moment überrumpelt von dem, was geschehen ist. Es ist, als ob es mir nicht geschehen ist und meine Ambitionen sind immer noch, Zeit zu haben für meine Kinder. Die sind noch klein.“
Und die weiteren politischen Ambitionen? Cahen lacht: „Großherzogin! Nein, ich hab das schon öfter gesagt: ich habe keinen Plan gehabt.“ Sie habe mit in die Wahlen gehen wollen. Seit 1999 hätten alle Parteien mal bei ihr angeklopft. Doch sie sagte ab, denn ihr Mann war bis vor wenigen Jahren politischer Journalist. Über ihr neues Amt sagt sie: „Ich hab mich hier nicht gesehen und muss mich damit erstmal zurechtfinden.“ Noch sei alles sehr neu. Bei dem, was jetzt kommt, ist für sie das Wichtigste, dass sie etwas bewirken kann: „Wenn man gerne etwas macht, macht man es auch gut. – Schauen wir mal, was kommt.“