Weil neue Radare einfach mal alle Fahrzeuge abfotografieren, läuten bei den Piraten die Alarmglocken. Der Datenschutz wird gewahrt bleiben, versichern die Grünen – zumindest in den kommenden paar Jahren.
„Es ist beeindruckend, wie sich die Einstellung der Leute verändert: zuerst verbohrt, werden sie am Ende einsichtig. Der Film dauert 90 Minuten, doch langweilig wird es nie – ich überlege, ihn gemeinsam mit der Sécurité routière zu zeigen. In Frankreich gab es seinerzeit – wie jetzt in Luxemburg – heftige Diskussionen bei der Einführung der Radarkontrollen.“ Der Verkehrsminister gerät ins Schwärmen über seinen Kinobesuch am vorherigen Abend. Befragt nach dem Sinn der umstrittenen Radarkontrollen, berichtet François Bausch von „Tout est permis“, einem Dokumentarfilm von Coline Serreau, der einen Blick in die Welt der „Stages de récupération des points“ wirft. Dabei handelt es sich um Kurse, bei denen VerkehrssünderInnen Führerscheinpunkte zurückgewinnen können. Punkte, die auch Luxemburger AutofahrerInnen künftig häufiger in den neuen Radarfallen verlieren dürften.
Verteidiger des harten Durchgreifens verweisen auf die Erfolge in Frankreich und in anderen Ländern. Ob angesichts der geretteten Menschenleben der Datenschutz bei Verkehrskontrollen von geringerer Bedeutung sei? „Ich sehe das keineswegs so“, versichert Bausch. Man habe den Gesetzestext, der den Rahmen für umfangreiche Radarkontrollen schaffen soll, der Staatsanwaltschaft und der Datenschutzkommission unterbreitet. „Falls noch Verbesserungsvorschläge kommen, integrieren wir die. Es gilt, die Risiken und Nutzen der Kontrollen gegeneinander abzuwägen.“
Gläserne Autofahrer
Wenn durch neue Maßnahmen Unfälle verhindert werden könnten, so sei das „prinzipiell nichts Schlechtes“, schreiben die Piraten in einer Pressemitteilung. Doch die Partei ist skeptisch, ob stationäre Radare wirklich zur Verkehrssicherheit beitragen, wenn ihre Standorte erst einmal bekannt sind. Besonders kritisch sehen sie die von der Regierung geplanten Abschnittskontrollradare (Section Control, radar tronçon), bei denen jedes Fahrzeug erfasst und dann seine Geschwindigkeit berechnet wird. Mit dieser „verdachtsunabhängigen, automatisierten Überwachung“ verrate insbesondere die grüne Partei die Wähler, denen der Datenschutz wichtig ist.
„Ich bin kein Freund der Radarkontrollen, aber wenn schon Kontrollen, dann bitte nicht ausgerechnet die schlimmste Form der Radarüberwachung „, sagt Sven Clement. Dass ausnahmslos alle Fahrzeuge fotografiert und ihre Nummernschilder erfasst werden, stellt in den Augen des Präsidenten der Piratenpartei eine Gefahr für den Datenschutz dar. Zum Beispiel könne man mit Hilfe eines Section-Control-Radars im Autobahntunnel bei Mersch feststellen, wie oft und wann Mitglieder des Bezirks Norden in die Parteizentrale nach Kopstal fahren. Dass die Datenschutzkommission den Gesetzestext begutachtet, beeindruckt Clement wenig: „Diese Kommission hatte auch kein Problem bei der Einführung der Vorratsdatenspeicherung, die dienen nur als Feigenblatt.“
Dass die Section-Control-Radare alle Fahrzeuge erfassen, ist technisch bedingt: Es werden nacheinander zwei Fotos geschossen; aus dem Zeitunterschied wird dann die mittlere Geschwindigkeit berechnet – zum Beipiel beim Durchfahren eines Tunnels. „Wenn Daten erst einmal vorhanden sind, ist es schwierig, ihre Nutzung einzugrenzen“, begründet Clement seine Besorgnis. So würden in der Schweiz alle Daten zu einem zentralen Server geleitet und dort ausgewertet – ob das dann nur zur Geschwindigkeitskontrolle benutzt wird, sei zweifelhaft.
Überfahren oder überwachen?
Die Grünen dagegen sehen keinen Widerspruch zwischen Radarkontrollen und Datenschutz. Selbst bei Section-Control-Radaren würden die Fotos nur gespeichert, wenn ein Geschwindigkeitsdelikt vorliegt, versichert Parteisprecherin Sam Tanson. Die Daten aller anderen Verkehrsteilnehmer würden „sofort“ wieder gelöscht. Tatsächlich wäre das machbar: In Norwegen sind die Radare so aufgebaut, dass die Verarbeitung rein lokal stattfindet und die nicht benötigten Daten unverzüglich gelöscht werden. Auch Frankreich hat sich, auf Druck der Datenschutzkommission, gegen eine Vernetzung entschieden – allerdings können die Daten bis zu 24 Stunden aufbewahrt werden.
Eine breite öffentliche Debatte über Datenschutz bei Verkehrskontrollen hat es in keinem Land gegeben, und häufig übertönt der Beifall von Verkehrsopferverbänden jede Kritik seitens der Datenschützer. Dabei ist es eigentlich leichtsinnig, wenn Opferverbände und Verkehrspolitiker sich für Radarkontrolle einsetzen, ohne die datenschützerischen Konsequenzen zu berücksichtigen. Damit liefern sie nämlich auch jenen Kontrollgegnern Munition, denen es nicht um das Recht auf Privatsphäre, sondern um „freie Fahrt für freie Bürger“ geht. Gerade eine Partei wie die Grünen, die sich sowohl Verkehrssicherheit als auch Datenschutz auf ihre Fahne geschrieben hat, kann hier schnell ihre Glaubwürdigkeit einbüßen.
Als Verkehrsminister zeigt François Bausch wenig Verständnis für das bei Auto-Freaks beliebte Argument, Radare seien reine „machines à sous“, also Geldeinziehautomaten im Dienste der Regierung. „Die Kontrollen bringen tatsächlich einen finanziellen Gewinn, aber nicht durch die Bußgelder, deren Gesamtaufkommen lächerlich gering ist“, kontert Bausch. Es sei die Unfallverhinderung, die, abgesehen von der Minderung menschlichen Leids, volkswirtschaftlich betrachtet einen großen Kostenspareffekt habe. Die Section-Control-Radare ließen sich gezielt in gefährlichen Tunnels einsetzen, wo Tempo 90 häufig nicht eingehalten werde.
Missbrauch vorprogrammiert
Bausch geht es aber nicht vorrangig um Strafmaßnahmen, sondern um Sensibilisierung. Er verweist auf den Film, der veranschauliche, wie Autofahrer eine falsche Wahrnehmung ihrer Sicherheitssituation haben. In „Tout est permis“ zeigt man ihnen, was es für einen Unterschied macht, ob man einen Unfall mit 50, mit 70 oder mit 90 Stundenkilometer hat – und erzielt so einen Aha-Effekt. „Wir benötigen ein anderes Bewusstsein im Umgang mit dem Auto“, sagt der Minister. Im Herbst laufe eine große Sensibilisierungskampagne an, die auch den Sinn der Radarkontrollen erklären werde. Damit soll die Einführung der 20 stationären und sechs mobilen Radare vorbereitet werden. Bei denen wird es sich um klassische Modelle ohne Datenspeicherung handeln, unterstreicht Bausch. Die Section-Control-Radare sollen erst viel später zum Einsatz kommen.
Doch der demnächst vorliegende Gesetzestext schafft auch für sie eine legale Basis – Grund genug für Sven Clement, vor der polizeilichen Sammelwut zu warnen. Es sei schwierig zu kontrollieren, was tatsächlich mit den Daten geschieht. Er führt das Beispiel der deutschen Mautdaten an, die der deutsche CSU-Innenminister im November 2013 zur allgemeinen Verbrechensbekämpfung heranziehen wollte. Zwar unterstelle er der jetzigen Regierung keine solchen Absichten, so Clement, doch niemand könne wissen, was danach kommt. „Was, wenn Jean-Marie Halsdorf wieder Innenminister wird und Zugriff auf die Daten der Section-Control-Radare haben will?“, fragt der Pirat in Anspielung auf Halsdorfs uneingeschränkte Befürwortung der Videoüberwachung.
In der Tat, der Gesetzestext sieht nach Angaben des Verkehrsministers keine externe Kontrolle vor. Der Staat werde doch wohl seine eigenen Gesetze respektieren, so Bausch. Außerdem sei die Inspection générale de la Police dazu da, Fälle von Missbrauch aufzudecken. Vertrauen muss man auch seinen Zusicherungen bezüglich rein lokaler Aurfbewahrung und sofortiger Löschung der Daten – im Text sind keine derartigen Einschränkungen vorgesehen. Mit anderen Worten: die Umsetzung löblicher Absichten in Sachen Verkehrssicherheit öffnet eine Geheimtür für künftige finstere Absichten in Sachen Überwachungsstaat. Es sei denn, die ParlamentarierInnen oder die Datenschutzkommission bessern – wider Erwarten – noch nach.