Benachteiligung von Männern: Das wird man(n) ja wohl noch sagen dürfen

Feministischen Bewegungen wird gerne vorgeworfen, die Redefreiheit einzuschränken und dringendere Gesellschaftsprobleme zu ignorieren. Pures Ablenkungsmanöver oder zum Teil berechtigte Bedenken?

Wer kümmert sich in unserer Gesellschaft um benachteiligte Männer? (Copyright: Inzmam Khan/pexels)

Männer schneiden schlechter in der Schule ab als Frauen, sind häufiger drogenabhängig, weisen eine höhere Kriminalitätsrate auf, begehen häufiger Suizid. Wer sich solche Statistiken vor Augen führt, kann leicht den Eindruck gewinnen, dass nicht mehr das weibliche, sondern das männliche Geschlecht mittlerweile den Kürzeren zieht. Die Existenz von Frauenquoten, Frauenbeauftragten, Frauenhäusern und Frauenparkplätzen kann dieses Gefühl noch zusätzlich verstärken. Wenn etwas für ein bestimmtes Geschlecht getan wird, so scheint es, dann geht es immer nur um die Frauen.

„Wir fordern seit Jahrzehnten das Gleiche, aber es ändert sich einfach nichts zum Besseren.“ Im Gespräch mit der woxx spricht Claude Schroeder von der Ermüdung der Männerrechtsaktivisten bei der Association des hommes du Luxembourg (AHL). Die Organisation, die aus der früheren Hodilux (Hommes divorcés du Luxembourg) hervorging, wurde 2005 von Fernand Kartheiser gegründet mit dem Ziel, die Rechte von Männern zu stärken. Zunächst auf Aspekte rund um Scheidungsprozesse spezialisiert, weiterte die Organisation in den Folgejahren ihre Handlungsschwerpunkte aus. In den Augen von Schroeder sind die großen Baustellen heute immer noch die gleichen wie 2008, als die AHL ihre Öffentlichkeitsarbeit einstellte. Nach wie vor erhielten vor allem Mütter das Sorgerecht. Auch die Reform des Scheidungsgesetzes habe keine Gleichheit gebracht.

Danach gefragt, ob Männer in Luxemburg generell diskriminiert würden, antwortet Schroeder: „Es ist wichtig, die Rolle und Rechte von Frauen in der Gesellschaft zu verbessern, man sollte der Problematik allerdings nicht unnötig viel Gewicht verleihen. Im Vergleich zu anderen Ländern und Jahrhunderten, befindet sich Luxemburg auf einem guten Niveau.“ Parität sei in allen Bereichen wünschenswert, in manchen gebe es aber auch nachvollziehbare Gründe dafür, weshalb sie nicht erreicht werde. „Frauen mögen Fortschritt und konkrete Lösungen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb es nur wenige Politikerinnen gibt.“ Was die AHL ablehnt, ist eine gesetzlich verpflichtende Parität mittels einer Frauenquote. „Ich bin gegen einen aggressiven Feminismus, der sich für die Überlegenheit von Frauen ausspricht. Wenn Männer solche Initiativen ergreifen würden, sähe ich das genauso.“ Dass Frauen in Aufsichtsräten unterrepräsentiert sind, erklärt sich Schroeder dadurch, dass diese lange Zeit niedrigere Bildungsabschlüsse machten als Männer. Mittlerweile sei dies zum Glück dabei sich zu ändern. „Alles entwickelt sich zum Positiven.“

Einen realen Missstand sieht Schroeder dagegen in der zunehmenden Einschränkung der Redefreiheit. „Nur weil man einen Witz über Schwarze oder Frauen erzählt, heißt das nicht, dass man rassistisch oder sexistisch ist. Man muss doch auch noch leben dürfen.“ Manche Begrifflichkeiten sind jedoch auch der AHL ein Dorn im Auge: „Wenn ein Mann eine Frau tötet, wird es Femizid genannt, wenn er einen Mann tötet, ist es einfach nur Mord. Wieso diese Unterscheidung?“ Man dürfe nicht hingehen und Frauen idolisieren, genauso wie man das auch bei Männern nicht täte. Gendergerechte Sprache lehnt die AHL aus Prinzip ab. „Wieso muss man da hingehen und Wörter erfinden. ‚La chauffeuse’ – das ist doch Blödsinn. Es gibt wirklich wichtigere Probleme auf der Welt. Fragen Sie mal einen Obdachlosen, ob es ihn interessiert, ob man ‚un mendiant’ oder ‚une mendiante’ sagt.”

Bereitschaft zur Selbsthinterfragung

Was in Schroeders Ausführungen durchklingt, ist die Vorstellung, dass mehr Gendergerechtigkeit den Status quo negativ beeinflusst. Erkennbar ist auch das Bedürfnis nach einem gesellschaftlichen Wandel, der sich auf organische Weise vollzieht, ganz ohne Fremdeinwirkung. Dabei sind auch Männer durch Stereotype benachteiligt, die sich einfach nicht von selbst auflösen wollen. So sieht es jedenfalls Francis Spautz, Psychologe bei Infomann, einem Beratungsdienst für Jungen und Männer. Wie Spautz der woxx gegenüber erklärt, sei ein Beispiel dafür die Diskriminierung, die manche Väter in Scheidungsprozeduren empfinden. Die Vorstellung, dass Frauen von Natur aus gut in der Kindererziehung sind, komme daher, dass Männer ihnen historisch gesehen immer wieder eine gesellschaftliche Rolle außerhalb des Haushalts verwehrt hätten. Die Schuld für solche festgefahrenen Erwartungshaltungen bei Frauen zu suchen, sei deshalb verfehlt. „Wenn Männer, die sich benachteiligt fühlen, ernsthaft analysieren würden, wie diese Benachteiligung entstanden ist, würden sie wahrscheinlich in 95 Prozent der Fälle feststellen: Männer sind die Ursache, nicht Frauen“, so die Einschätzung des Psychologen. Viele Männer, so Spautz, setzten sich kaum damit auseinander, in welchem Maße die Entwicklung der Menschheitsgeschichte mit der Entwicklung der Männlichkeitsgeschichte verwoben ist.

Dass es Männern schwerfalle, ihre Privilegien wahrzunehmen, ist für Spautz historisch bedingt: „Frauen haben aufgrund ihrer Unterdrückung 50 Jahre Vorsprung, wenn es darum geht, ihre Position innerhalb der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Wer unter gesellschaftlichen Missständen leidet, wird eher aktiv.“ Männer dagegen hätten über Jahrhunderte hinweg ungestört in Machtpositionen vordringen können, ohne über strukturelle Unterdrückung nachdenken zu müssen. „Wenn Männer sich diskriminiert fühlen, entsteht deshalb häufig der Reflex, Komplexität zu reduzieren, nach simplen Erklärungsmustern zu suchen und die Gesellschaft in die Guten und die weniger Guten einzuteilen.“

Das Spektrum an empfundener Diskriminierung ist groß. Eine der wohl harmlosesten Ausprägungen davon sind Männer, die sich jährlich zum Weltfrauenkampftag am 8. März darüber beschweren, dass es nicht auch um sie geht. Das sollte laut Spautz aber nicht notwendigerweise negativ bewertet werden. „Natürlich sollen Männer sagen ‚Und was ist mit uns?’. Das kann aber nur konstruktiv sein, wenn es dabei nicht um bloße Polarisierung und Stimmungsmache geht, sondern die Bereitschaft für einen Dialog besteht.“ Wenn Männer das Gefühl hätten, dass ihre Belange innerhalb der Frauenrechtsbewegung zu kurz kommen, könne die Forderung nicht sein, dass Feminist*innen sich mehr für sie einsetzen müssten. Niemand werde daran gehindert, sich zu einer Interessengruppe zusammenzuschließen. „Wenn du denkst, dass deine Belange stärker thematisiert werden müssten, dann tu es doch einfach selbst.” Dass Männer in gewissen Bereichen Benachteiligung erfahren, stelle niemand in Zweifel. Die Männerforschung habe dies ausgiebig aufgearbeitet.

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Genau diese Unkenntnis männlicher Benachteiligung wird Femi-
nist*innen aber häufig vorgeworfen. Dabei ist es für viele feministische Organisationen eine Selbstverständlichkeit, auch die Anliegen von Männern zu berücksichtigen. So auch für Voix de Jeunes Femmes (VDJF), der Jugendgruppe des Conseil national des femmes du Luxembourg (CNFL). Im Gespräch mit der woxx nennt Lou Reckinger in diesem Zusammenhang Aspekte wie den Vaterschaftsurlaub, das gesellschaftliche Bild von Vätern, sowie psychische Gesundheit und Body Positivity bei Männern – alles Themen, die die VDJF beschäftigen.

Auch bezüglich sexualisierter Gewalt würden Männer in der feministischen Arbeit nicht vergessen. Wer MeToo als einen Diskurs verstehe, wo Frauen immer die Verteidigten und Männer immer die Beschuldigten seien, habe nicht richtig zugehört, so Reckinger. „Wir verwenden in unserer Arbeit die geschlechtsneutralen Begriffe ‘Opfer’ und ‘Täter’, denn auf beiden Seiten des Konflikts gibt es Männer und Frauen.“

Bei Bemühungen um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, gehe es ebenfalls um Männer. „Auch sie profitieren davon, wenn ihre Partnerin finanziell auf einem Level mit ihnen ist. In dem Moment bleibt nämlich nicht mehr die gesamte Verantwortung für das finanzielle Überleben der Familie an ihnen hängen.“

Win, win

Es sei normal ein gewisses Unwohlsein gegenüber gesellschaftlichem Wandel zu empfinden, so Reckinger. Viele Männer nähmen den Kampf um Geschlechtergerechtigkeit aber unberechtigterweise nur als Verlust mancher ihrer Privilegien wahr. Reckinger weist diesbezüglich auf den größeren Kontext hin: „Ja, sie verlieren etwas, aber dafür gewinnen sie umso mehr.“ Dass Männer sich ihres Geschlechts wegen diskriminiert fühlen, ist Reckinger zufolge auf zwei mögliche Ursachen zurückzuführen: „Entweder sie sind sich nicht bewusst, welche strukturelle Gewalt und Ungerechtigkeiten Frauen erleben, oder sie sind es sich sehr wohl bewusst und haben Angst, dass die Dynamik kippen könnte.“ In beiden Fällen würde das die Wichtigkeit des feministischen Kampfs umso deutlicher machen.

Wenn Männer sich von Feministinnen unterdrückt fühlen, ist die Position von Voix de Jeunes Femmes klar: „Es bringt nichts, Aktivisten zu sagen, sie müssten freundlich bleiben, ja niemanden angreifen und schon gar nicht irgendetwas Negatives sagen. Well behaved women seldomly made history.“ Manchmal sei es wichtig, ein starkes Statement zu setzen.

Gesellschaftlichen Fortschritt passiv abzuwarten, wertet auch Francis Spautz als wenig sinnvoll. „Das Unbewusste wird massiv unterschätzt. Es steuert den Menschen weitaus stärker als das Bewusste, die Vernunft“, so die Auffassung des Psychologen. Das sei zum Beispiel bei den Gemeindewahlen zu beobachten gewesen. Die Parteien hätten zwar die 40-Prozent-Quote an Kandidatinnen erreicht, bei Medienauftritten und Podiumsdiskussionen seien dennoch größtenteils Kandidaten männlichen Geschlechts anzutreffen gewesen. „Da wird eine unbewusste Ungleichbehandlung auf einmal sehr manifest.“

Spautz zufolge braucht Luxemburg dringend eine Männerbewegung. Dabei gehe es nicht darum, sich von einer angenommenen Frauendomination zu befreien: Die Bekämpfung von Ausbeutung jeder Art müsse im Fokus stehen. „Dafür müssen Männer sich erst einmal bewusst weden, wie unterschiedliche Formen von Ausbeutung zusammenhängen und welche Rolle männliches Dominanz- und Konkurrenzverhalten darin spielt.“ Durch die Klimakrise vergrößere sich diese Herausforderung zunehmend. „Jetzt geht es um Umverteilung und Solidarität. Und das wirft Männer völlig aus der Bahn. Sie haben im Laufe ihrer Sozialisierung nie gelernt zuzuhören, sich in andere hineinzuversetzen und Rücksicht zu nehmen.“


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