COP27: Zerrissene Zivilgesellschaft

Die Weltklimakonferenz ist in diesem Jahr nicht besonders NGO-freundlich. Bevor die ägyptischen COP in die Endphase geht, ein Überblick über die Trends innerhalb der Zivilgesellschaft.

Buntheit und Diskussionskultur – Trümpfe der Zivilgesellschaft für künftige Konflikte.
(Proteste in London 2014 – Flickr; peganum; CC BY-SA 2.0)

Aktivist*innen stürmen ein Gebäude, um die Demission des Wirtschaftsministers zu fordern. Nein, das ist nicht in den USA passiert, und auch nicht in Sri Lanka oder in Ägypten, sondern in Portugal. Das Sprengen einer Privatveranstaltung mit Minister in Lissabon war die wohl spektakulärste Aktion des vergangenen Samstags, dem internationalen Aktionstag für das Klima. Global betrachtet war dieser Aktionstag zur Halbzeit der Klimakonferenz, im Vergleich zu anderen Jahren, eher unspektakulär: Neben diversen, limitierten Protestaktionen rund um die Welt fand in der luxemburgischen Südmetropole Esch eine bescheidene Velorution-Fahrraddemo statt und vor Ort in Ägypten versammelten sich 500 Aktivist*innen auf engem Raum (1), ohne Interaktion mit der Bevölkerung des Gastgeberlandes.

Klimabewegung: radikal und zentrifugal

Einerseits hat die Zivilgesellschaft zunehmend Schwierigkeiten, mit traditionellen Protestformen etwas zu erreichen oder überhaupt auf diese zurückgreifen zu können. Andererseits wird die Dringlichkeit einer gesellschaftlichen Wende zur Nachhaltigkeit immer deutlicher. Das führt zu einer zunehmenden Radikalisierung der Klima- und Umweltbewegung, die sich mehr und mehr als Gegenpol zur politischen und wirtschaftlichen Macht definiert.

Zugleich stellt sich die Frage nach der Konvergenz der von der Zivilgesellschaft vertretenen Interessen. In den letzten 15 Jahren funktionierte die Klimabewegung weitgehend als Zusammenschluss von spezialisierten, auf jeweils einen Aspekt fokussierten Gruppen, die gemeinsam sensibilisierten und vermieden, einander in die Quere zu kommen. Doch wenn es darum geht, der Macht zu trotzen, um das Klima zu retten, werden die Unterschiede deutlicher werden. Schließlich reicht die NGO-Koalition von systemfreundlichen Klimaspezialistinnen wie Greenpeace bis zu antiimperialistischen Gruppen, für die das Recht auf Entwicklung im Vordergrund steht.

Die vergessene COP15 zur Biodiversitäts

Alle diese Komponenten sind natürlich wichtig: So wurzelt die Bewegung ja erst einmal im – manchmal technokratischen – Diskurs der Klimaforschung. Andererseits besteht mittlerweile ein grundsätzlicher Konsens darüber, dass der Klimawandel durch eine Just Transition gestoppt werden kann, bei der die sozialen Aspekte mitgedacht werden. Andere Schwerpunktsetzungen sind umstrittener, zum Beispiel die Frage des Fleischkonsums, die am Rande der COP27 aufgeworfen wurde. Sie kann mit Verzichtforderungen beantwortet werden, häufig in Verbindung mit wenig naturnahen technischen Lösungen, aber auch mit der Umstellung auf biodynamische Landwirtschaft, deren Effizienz in Sachen Klimaschutz und Welternährung aber nicht als gesichert gelten kann.

Das Thema Klimawandel wird seit einiger Zeit von der Wissenschaft nicht mehr getrennt von der Biodiversitätskrise betrachtet (woxx 1647: Double crise). Trotzdem bekommt die ab dem 7. Dezember in Montreal stattfindende COP15 der Convention on Biological Diversity (CBD) noch weniger Aufmerksamkeit als die Weltklimakonferenz. Vielleicht wird jene aber erfolgreicher sein als diese – viel geht die Rede davon, dass es für die Biodiversität einen „Pariser Moment“ geben soll, in Anspielung auf das Klimaübereinkommen, das 2015 in der französischen Hauptstadt ausgehandelt wurde.

Im Süden: Indigene Völker und Regierungen

Neu ist bei der diesjährigen COP die Aufmerksamkeit für die zivilen und politischen Menschenrechte – sie ist eine Reaktion auf den extrem repressiven Charakter der Militärdiktatur im Gastgeberland (woxx 1706: Genau hinschauen!). Solche Regimes behindern, in einer ganz anderen Größenordnung als die westlichen Demokratien, den zivilgesellschaftlichen Einsatz für Klima und Umwelt und ersetzen ihn durch regierungsnahe Pseudo-NGOs. Das aber behindert globale Lösungsansätze der Klimakrise, die eine Weltzivilgesellschaft benötigen, zu der auch lokale Gruppen gehören, die frei kritisieren und agieren können.

Bisher war die internationale Klimabewegung vor allem mit dieser Dimension konfrontiert, weil indigene Organisationen seit Langem als Partnerinnen fungieren – und bei der Verteidigung ihrer Rechte mit Wirtschafts- und staatlichen Interessen kollidieren. Die indigenen Völker werden aufgrund ihres praktischen Wissens im schonenden Umgang mit der Natur, aber auch aufgrund ihrer radikal anderen Denkweise als wichtiges Element von Klimaschutzstrategien angesehen. Ihre Sonderrolle bei den COPs wird immer wieder von offizieller Seite betont, aber oft, auch jetzt in Ägypten, nicht wirklich respektiert.

Instrumentalisierung des globalen Südens

Dennoch erschöpfen sich die Interessen der Menschen im globalen Süden nicht im Selbstverständnis der indigenen Völker. Die Klimabewegung muss auch die Unterentwicklung aufgrund der neokolonialen Globalisierung in ihre Überlegungen einbeziehen – umso mehr, als der Anspruch auf Entwicklung von den Regierungsvertreter*innen des Südens häufig für klimapolitisch problematische Absichten herbeizitiert wird. So gab es im Vorfeld der COP Diskussionen, inwiefern afrikanische Staaten angesichts der Weltlage ein Recht auf den Ausbau ihrer Infrastrukturen für Gewinnung und Transport fossiler Energieträger haben – wo doch der reiche Norden, insbesondere die USA, das Gleiche tut.

Es gibt auch positive Ansätze, wie das im Rahmen des G20 angekündigte Just Energy Transition Partnership (JETP) für Indonesien. Laut einer Pressemitteilung von 350.org können solche Projekte zum Ausstieg aus fossilen Energien ein Modell für die internationale Klimafinanz darstellen. Allerdings unterstreicht die NGO, dass Transparenz und Mitwirkung der Zivilgesellschaft für den Erfolg der JETP unabdingbar sind. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob solche selektiven Projekte wirklich als Modell funktionieren, oder eher als Feigenblatt für die Inaktion in anderen Teilen der Welt.

Wie komplex die Interessenskonflikte und -konvergenzen sind, zeigt die jüngste Positionierung einer anderen wichtigen Komponente der Klimabewegung: In der Diskussion über Loss and Damage haben die kleinen Inselstaaten sich dafür ausgesprochen, China für Kompensationszahlungen heranzuziehen (2). Auch wenn China in der Vergangenheit die Positionen der ärmeren Länder unterstützt hat, so hat die Forderung der Inselstaaten, arithmetisch betrachtet, ihre Berechtigung. Allerdings spielen sie damit auch den USA in die Hände, die mit dem Finger auf China zeigen, um vom eigenen Klimaversagen abzulenken. Das aber fällt dann schon unter die Geopolitik, das Thema eines weiteren woxx-online-Beitrags.

(1) Was auf Fotos wie eine Art Zwinger aussah, war eine Fläche innerhalb der UN-Zone, wo erstmalig in der COP-Geschichte eine offiziell genehmigte Demo stattfand – um die Aktivist*innen nicht der Repression der ägyptischen Sicherheitskräfte auszusetzen.
(2) Hierbei handelte es sich, wie später erklärt wurde, um einen Alleingang des Premierministers von Antigua und Barbuda, und nicht um die offizielle Position der AOSIS-Staaten.
ANMERKUNG: Die Passage zum brandaktuellen JETP für Indonesien wurde nach der ersten Veröffentlichung des Beitrags hinzugefügt. Nachtträglich wurden auch die Beschreibung der Demo in Sharm el Sheikh und der Position der Inselstaaten präzisiert und ergänzt.

 


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