Ab nächsten Samstag bis zum drauffolgenden Sonntag finden die diesjährigen „Journées européennes du patrimoine“ statt (siehe auch Agenda-Seiten). Für die woxx die Gelegenheit sich mit der für Denkmalpflege zuständigen Ministerin Sam Tanson (Déi Gréng) über die von ihr verantwortete Gesetzesreform bezüglich des Denkmalschutzes auszutauschen.
woxx: Die Reform des Denkmalschutzgesetzes Anfang der 2000er-Jahre wurde über drei Legislaturen erfolglos diskutiert. Ist dieses Scheitern eine Ursache dafür, dass es jetzt zu einem regelrechten Paradigmenwechsel gekommen ist?
Sam Tanson: Es handelt sich sicherlich um eine neue Herangehensweise für Luxemburg, aber den Ansatz, gibt es im Ausland schon vielfach. Ich bin ja nicht ins Ministerium gekommen und habe gesagt:„Jetzt schreiben wir einen Text.“ Der neue Gesetzesentwurf ist schon ganz lange in Ausarbeitung. Er musste eigentlich nur noch überarbeitet und mit den betroffenen Ressorts fertig verhandelt werden, damit er auf den Instanzenweg kommen konnte. Der Paradigmenwechsel ist für mich allerdings sehr wichtig, weil er einfach einem zeitgenössischen Denkmalschutz entspricht. Es geht darum, der Entwicklung nicht länger hinterherzulaufen und durch ein Inventar, das Gemeinde für Gemeinde durchgeführt wird, festzulegen, was aus nationaler Sicht als schützenswert zu betrachten ist und auf dieser Basis die „Unterschutzstellungsprozedur“ in die Wege zu leiten.
Es kommt auch zu einer Integration ganz unterschiedlicher Bereiche des Denkmalschutzes. Warum bleiben dann aber trotzdem die unterschiedlichen Verwaltungen bestehen?
Das sind schon jetzt eigentlich keine Verwaltungen mehr, wir sprechen von „instituts culturels“. Es gab natürlich Diskussionen darüber, ein einziges Denkmalinstitut zu schaffen, wo dann sowohl der archäologische und der architektonische Denkmalschutz mit dem für mobile und immaterielle Güter unter einem Dach gewesen wäre. Aber wir haben den Centre national de recherche archéologique und den Service des sites et monuments nationaux (SSMN), bei denen es nur sehr selten Überschneidungen gibt in der Arbeit, die sie verrichten. Wir hätten ein doch sehr großes, recht künstliches Gebilde geschaffen, um zwei sehr unterschiedliche Arbeitsfelder mit ganz unterschiedlichen Prozeduren zusammenzuführen.
„Der Paradigmenwechsel ist für mich allerdings sehr wichtig, weil er einfach einem zeitgenössischen Denk malschutz entspricht.“
Wie in allen vier erwähnten Bereichen soll auch im Fall der Baudenkmäler ein nationales Inventar entstehen. Welche Rolle kommt dann den auf kommunaler Ebene in den Plan d‘aménagement généraux (PAG) festgehaltenen Schutzzonen zu?
Es gibt immer noch zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Im Rahmen der kommunalen Autonomie gehört der Denkmalschutz zu den Kompetenzen der Gemeinden. Im Rahmen des PAG analysieren die Kommunen, welche Häuser in ihrem Sinne schützenswert sind. Natürlich spielt auch hier schon jetzt der SSMN eine Rolle, weil er seine eigenen Erhebungen macht und den Gemeinden mitteilt, was aus dieser Sicht schützenswert ist. In der Übergangszeit sieht das Gesetzesvorhaben eine Art Sicherheitsnetz vor, das auf die kommunalen zones protégées aufbaut. Weil es ja relativ lange dauern wird, bis das nationale Inventar für alle Gemeinden erstellt worden ist, müssen bis dahin Bauarbeiten oder Veränderungen an Gebäuden, die in den kommunalen Schutzzonen liegen, auch dem (dann in Institut national du patrimoine architectural umgetauften) SSMN vorgelegt werden.
Aber weshalb besteht eigentlich ein Unterschied in dem Schutz, den die Gemeinden gewähren, und dem, der auf nationaler Ebene gilt?
Auf nationaler Ebene gilt eine andere Betrachtungsweise. Die Gemeinden orientieren sich eher an urbanistischen Kriterien und betrachten dabei auch, was um die zu bewertenden Gebäude bereits passiert ist. Der nationale Denkmalschutz betrachtet jedes Gebäude einzeln und wendet darauf seinen Kriterienkatalog an. Lediglich in Bezug auf die Subventionierung interveniert der Staat sowohl bei national als auch bei kommunal geschützten Gebäuden – sofern es sich nicht ausschließlich um den sogenannten „gabarit“, also das Beibehalten des äußeren Volumens handelt.
Wie ist es dann zu erklären, dass beispielsweise auf Limpertsberg sich die Gemeinde gegen den Erhalt von bestimmten Häusern ausspricht, der nationale Denkmalschutz aber dafür ist?
Auf nationaler Ebene versuchen wir durch Inventarisierung festzuhalten, was schützenswert ist. Im Falle Limpertsberg hatte der SSMN im Rahmen der Ausarbeitung des PAG darauf hingewiesen, dass neben den von der Gemeinde ausgewiesenen Häusern, auch noch andere Gebäude im Begriff waren, als schützenswert erfasst zu werden. Die Verantwortlichen aus Luxemburg-Stadt hatten damals darauf verzichtet, diese zusätzlichen Gebäude zu schützen, um den Eigner*innen nicht eine zusätzliche Rekursmöglichkeit vorzuenthalten. Wir haben im ganzen Land ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Sensibilitäten auf kommunalem Niveau. In der aktuellen heißen Phase der Ausarbeitung vieler PAG lässt sich das daran messen, inwiefern die Anzahl der Gebäude, die wir in einer Gemeinde als schützenswert vorschlagen, von jener abweicht, welche die Gemeinde zurückbehält. Umgekehrt kann es Situationen geben, wo es vielleicht kein nationales Interesse für den Erhalt gibt, aber es durchaus im Sinne einer Kommune sein kann, zum Beispiel aus Gründen einer gewissen Homogenität, eine Gebäudegruppe zu erhalten.
Bleibt es während der Übergangsfrist bei der alten Prozedur, wonach das Ministerium jede Klassifizierungsprozedur einzeln durchziehen muss?
Leider muss, während der zehnjährigen Übergangsperiode, bei den Gemeinden, für die das nationale Inventar noch nicht fertig erstellt wurde, eine ähnliche Prozedur wie heute verfolgt werden. Aber es gibt das erwähnte Sicherheitsnetz, also trotzdem eine verbesserte Rechtssicherheit. Vieles in der Diskussion um den Denkmalschutz dreht sich immer wieder um diese Frage der Rechtssicherheit: Ob im archäologischen oder im architektonischen Bereich – die Eigentümer*innen wollen wissen, was sie denn eigentlich mit ihrem Stück Land oder ihrem Haus wirklich anfangen dürfen.
Der Text verweist auf die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht Einspruch zu erheben. An gleicher Stelle wird auch die „indemnité représentative“ erwähnt. Wofür genau kann diese Entschädigung eingeklagt werden?
Es besteht ja bereits heute die Möglichkeit, eine Entschädigung zu erhalten. Der Text sieht vor, dass Staat und Eigentümer*innen deren Höhe verhandeln können. Besteht Uneinigkeit über die Höhe, kann dies vor Gericht angefochten werden. Für die Größenordnungen, die zur Anwendung kommen können, müssen wir erste Erfahrungswerte sammeln.
Also ändert sich nichts im Vergleich zur aktuellen Situation, das Damoklesschwert einer zu hohen Entschädigung bleibt bestehen?
Die Jurisprudenz geht in die Richtung, dass nur bei Vorhaben, wo bereits eine Baugenehmigung vergeben worden ist, ein Anspruch auf Entschädigung für entgangene plus-values besteht. Das gilt nicht für hypothetische Bauvorhaben, die in der Zukunft angesiedelt sind. Es gibt ja mehre Etappen: Erst gilt es, die Klassifizierung anzufechten. Wird die vom Gericht als nicht berechtigt eingestuft, stellt sich die Frage nach der Entschädigung im Prinzip nicht mehr. Wird der Klassifizierung aber stattgegeben, dann erst muss die Frage nach der Entschädigung gegebenenfalls ebenfalls gerichtlich geklärt werden.
Verstärkt denn die neue Herangehensweise, dann wirklich die Position des Denkmalschutzes?
Was mir am wichtigsten erscheint – neben der Sicherheit für die Betroffenen – ist die Kohärenz, mit der wir vorgehen. Wir benutzen wissenschaftliche Kriterien, entwickeln eine Methode, bilden unsere Leute entsprechend aus, damit wir in einer uniformen Art und Weise an den verschiedensten Orten handeln können. Wir können Vergleiche anstellen und das Ganze systematisieren. Bislang hing es ja oft davon ab, dass jemand gezielt einen Antrag stellte, bevor etwas passierte. Wir sind der Situation immer wieder hinterhergelaufen, was weder gut für uns, noch für Eigentümer*innen, noch für die Verantwortlichen in den Gemeinden war.
Das Gesetz sieht Subventionen bis zu 50 Prozent vor für Arbeiten, die dem Erhalt der Denkmäler dienen. Kann es nicht Fälle geben, wo wenig bemittelte Eigentümer*innen überfordert werden und die andere Hälfte der Kosten nicht tragen können?
Wir werden Eigentümer*innen ja nur dann zu Arbeiten zwingen, wenn die Gefahr besteht, dass ansonsten ein geschützter Bestand verloren geht. Es ist wichtig, dass wir uns das Recht nehmen zu intervenieren, wenn Gebäude bewusst dem Verfall preisgegeben werden. Es ist meistens weniger eine Frage des Nicht-Könnens als des Nicht-Wollens.
„Es kann nicht sein, dass wir durch die aktuelle Situation wertvolles Kulturerbe verlieren.“
Im Zusammenhang mit den Maßnahmen auf Limpertsberg wurde von mancher Seite moniert, die Kulturministerin torpediere durch den Baustopp die Politik der Wohnungsbauministerin, weil ja neue und vor allem mehr Wohnungen an Ort und Stelle entstehen sollten. Was halten Sie von dieser Kritik?
Das sehe ich ganz anders. Zum Beispiel in Differdingen, wo die Gemeinde verhindern konnte, dass Einfamilienhäuser durch Residenzen ersetzt wurden. Das hat vielleicht insgesamt weniger Wohnungen gebracht, dafür wurden aber solche erhalten, die für die dort Lebenden weiterhin erschwinglich sind. Es gibt sicherlich einen Bedarf an mehr Wohnraum, aber es gibt noch sehr viele nicht genutzte, bebaubare Flächen oder Gebäude, die wir abreißen können, ohne dass wir dadurch unser Kulturerbe infrage stellen müssen. Es gibt auch die Möglichkeit im Einklang mit denkmalpflegerischen Kriterien aufzurüsten, also ein Stockwerk auf eine bestehende Bausubstanz zu errichten. Auch aus ökologischer Sicht ist es wichtig festzuhalten, dass zur Schaffung von Wohnraum nicht unbedingt abgerissen werden muss. Ein ähnliches Beispiel bietet Hamm, wo eine ganze Siedlung mit kleinen Häusern, die es in der Form in der Hauptstadt sonst nicht gibt, geschützt werden konnte. So blieb ein Bestand erhalten, bei dem die Preise nicht ins Unendliche wachsen. Es wird ja viel gebaut, wenn wir um uns herum schauen. Was aber fehlt, ist erschwinglicher Wohnraum. Wichtig ist, dass wir die Lebensqualität in unseren Ortschaften erhalten, und dazu gehört auch der Erhalt der Bestände, die unsere Vorfahren bereits bewohnt haben. Der Fonds du logement in Zusammenarbeit mit dem SSMN, zeigt ja, dass sich beides sehr gut verknüpfen lässt. Aktuell ist das Schloss von Eisenborn im Gespräch, wo ein schöner, alter Bestand sozialem Wohnungsbau verfügbar gemacht wird.
Gibt es aber nicht Parteien oder Interessengruppen, die die Prioritäten anders setzen und mit der Wohnungsfrage den Druck auf den Denkmalschutz gerade während dieser Übergangsphase enorm erhöhen werden?
Natürlich ist jetzt, wo wir der Entwicklung hinterherlaufen, jede Situation delikat. Ich verstehe auch, dass Menschen, die jetzt von diesen Unklarheiten betroffen sind, nicht sehr erfreut darüber sind. Ich muss versuchen, unterschiedliche Interessen zusammenzubringen. Es kann nicht sein, dass wir durch die aktuelle Situation wertvolles Kulturerbe verlieren; aber ich muss auch in Betracht ziehen, dass es Betroffene gibt, die bestimmte Planungen gemacht haben und sich jetzt mit Entscheidungen konfrontiert sehen, die nicht einfach sind.
Zur Person
Sam Tanson (Déi Gréng) ist seit Dezember 2018 Ministerin für Kultur und für Wohnungsbau. Seit wenigen Wochen zeichnet sie interimistisch auch für die Justiz verantwortlich. Im Juli präsentierte sie in großen Zügen das erste von ihr verantwortet Gesetzesvorhaben, das zu einem Paradigmenwechsel in Sachen Denkmalpflge führen soll. Vorletzte Woche wurde der Text des Projet de loi der Chamber unterbreitet.