Ein Schild gegen die Menschlichkeit

An der griechisch-türkischen Außengrenze ist momentan die vorhersehbare Kapitulation der Europäischen Union vor Erdogan, Putin und Trump sowie vor ihren eigenen Werten zu beobachten. Das ist ein Resultat der schlecht gemanagten „Flüchtlings-Krise“ von 2015.

(©Twitter/Natascha Berthaud)

Es war abzusehen: Wer einem Autokraten wie Erdogan Geld gibt, um Flüchtlinge zurück zu halten, hätte wissen müssen, dass dieser irgendwann die Menschenmassen als Waffe einsetzen wird – zum Beispiel wenn er sich selbst im syrischen Konflikt an die Mauer gespielt hat. Dass die EU darauf nicht vorbereitet ist, sagt viel über ihren desolaten Zustand aus. Zwar versuchte Kommissionspräsidentin Von der Leyen den Eindruck von Kompetenz zu vermitteln, indem sie mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, nach Griechenland flog, doch ihre Botschaft ist katastrophal: Griechenland sei Europas Schild – twitterte in ihrem Namen ihre Kabinettchefin Natascha Berthaud. Daran ändern auch gestellte Bilder von EU-Politiker*innen, die ernst aus ihren Flugzeugfenstern starren nichts.

Denn was haben sie gesehen? Griechische Grenzbeamt*innen, die Flüchtlingskinder mit Tränengas traktieren? Rechtsextremist*innen, die Journalist*innen und Helfer*innen verprügeln und bedrohen? Familien auf Schlauchbooten, die mit Eisenstangen zurückgedrängt werden? Das Schild, von dem von der Leyen spricht ist eher das Brett vor ihrem Kopf. Der naheliegende Verdacht einer Fehlbesetzung für ihren Posten hat sich wieder mal bestätigt: Von der Leyens Diskurs ist auf einer Linie mit den Rechtspopulisten die seit 2015 Oberwasser haben. Von der Leyen will vor allem eines nicht: Eine europäische Merkel werden, die Grenzen im Namen der Menschlichkeit öffnet und danach dem Hass der europäischen Rechtspopulisten und der Häme in den eigenen Reihen ausgesetzt ist. Mit ihr wird es kein zweites „Wir schaffen das“ geben – obwohl das das einzig richtige Signal wäre.

Denn es würde den europäischen Werten, von denen immer geschwafelt wird, ein bisschen Konsistenz geben. Und darüber hinaus wäre die EU nicht mehr von der Türkei erpressbar. Aber das wird nicht geschehen. Unsere Menschlichkeit ist schon lange dem bürokratischen Zynismus eines untergehenden Kontinents anheimgefallen – man denke nur an das Versagen Europas in Syrien und Libyen.

Was jetzt in Europa passiert, ist das Resultat des Versagens der Juncker-Kommission, 2015 klare Fakten zu schaffen. Stattdessen wurde in Hinterzimmern so lange herumgedoktert bis jede*r sein Gesicht bewaren konnte – auch die schlimmsten Rechtspopulisten Europas, ob in Ungarn, Polen oder Italien. Und genau diese reiben sich angesichts der Grenzöffnung die Hände: Sie können jetzt wieder mit Angst Politik machen und regieren. Die vorherige Kommission hat mit diesen Politikern verhandelt und dabei übersehen, dass man mit einem Viktor Orban nicht verhandeln kann – man kann nur handeln. Und das schnell und ohne Kompromiss: Entweder Ungarn solidarisiert sich mit den Mitgliedstaaten, die Flüchtlinge aufnehmen und öffnet seine Grenzen oder die europäische Solidarität – in punkto Agrarsubventionen zum Beispiel – wird ebenfalls ausgesetzt. Mal sehen was für große Töne Orban spucken wird, wenn ihm seine Wähler*innenschaft aus der Landbevölkerung aufs Dach steigen wird. Dasselbe gilt für alle anderen Regierungen an denen Rechtspopulisten beteiligt sind, ob im Osten oder im Westen: Wer sich gegen die Menschlichkeit stellt, kann keine Solidarität mehr erwarten. Dies sollte eigentlich die Maxime der EU sein. Im Namen einer Realpolitik die jeden Anstand und jedes Augenmaß für Menschlichkeit verloren hat, wird sie sich jedoch niemals durchsetzen.  


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