Die Abschlusserklärung des Ratstreffens zur Migrationspolitik zeigt erneut: Die EU macht den Laden dicht und arbeitet an ihrer Auflösung.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat vor kurzem ausgesprochen, was mit der Flüchtlingspolitik der EU auf dem Spiel steht: „Es geht nicht nur um Schengen, es geht nicht nur um Menschlichkeit. Es geht auch um den Fortbestand der Europäischen Union.“ Nähme man ihn beim Wort, dann wäre die Veröffentlichung der „Schlussfolgerungen“ des EU-Ratstreffens zur Flüchtlingspolitik am Donnerstag vergangener Woche eigentlich ein guter Zeitpunkt gewesen, um zu erklären: Die europäische Idee ist endgültig tot.
Dabei steht das so genannte „umfassende Migrationskonzept“, über das sich die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten verständigt haben, in der Tradition der bereits bestehenden repressiven Praxis der EU. Die vage vorgeschlagenen Erweiterungen, wie etwa EU-interne oder externe Flüchtlingscamps, waren angesichts mangelnder Kandidatenländer bereits kurz nach dem Treffen nichts mehr als unrealistische Gipfelgeschichte. Dank der erfolglos versuchten Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU wisse man ja, was aus Ideen wie der freiwilligen Schaffung von Zentren für Asylsuchende werden dürfte, so auch die Asti nicht ohne Hohn an die Adresse der „leaders de cette désunion“.
Doch trotz ihres vorwiegend propagandistischen Gehalts hat diese Rats-erklärung das Zeug zum Totenschein. Zum einen, weil nun aktenkundig ist, dass man den Regionalisten und Nationalisten, die die EU zerstört sehen wollen, nichts entgegenzusetzen hat, nichts entgegensetzen will. Es gehört zum Irrsinn der Diskussion über die Vorschläge vom vergangenen Wochenende, dass Politiker*innen wie Merkel, Macron und Juncker noch immer erfolgreich den Anschein erwecken, als stemmten vor allem sie sich den migrationspolitischen Forderungen etwa der Visegrád-Staaten und Italiens entgegen.
Als Xavier Bettel am Rande des Gipfels klarstellte, wer sich die Staats- und Regierungschefs der Visegrád-Länder anschaue, treffe „auf einen von der polnischen PiS-Partei, einen Christdemokraten, einen Sozialisten und einen Liberalen“, könne hinsichtlich deren Flüchtlingspolitik also nicht einfach von „der Rechten“ sprechen, hat er hingegen eine Wahrheit ausgeplaudert, die nicht nur die von ihm gemeinten Politiker betrifft.
So hat der EU-Rechtsprofessor Steve Peers bereits im Mai 2016 darauf hingewiesen, dass die von der Europäischen Kommission seit Jahren vorbereitete Reform des Dublin-Systems einer „Orbánisierung des Europäischen Flüchtlingsrechts“ gleichkäme, weil sie die Kernelemente der ungarischen Politik übernehme: „die Abweisung im Wesentlichen aller Asylsuchenden an den Außengrenzen, einhergehend mit ihrer möglichst rohen Behandlung, um so das Schengen-System der offenen Binnengrenzen zu erhalten“.
Diese Ratserklärung hat das Zeug zum Totenschein.
Zum anderen signalisieren die vergangene Woche von den versammelten Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Schlussfolgerungen aufs Neue, dass man das Treiben von Autokraten und Regimes nach dem Vorbild der Türkei und Libyens quasi bedingungslos zu legitimieren bereit ist, solange sie migrationspolitisch kooperieren und für die EU die Drecksarbeit machen. Nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die betroffenen Gesellschaften zahlen für diese schmutzigen Deals einen sehr hohen Preis.
Die Europäische Union demons-triert, wie politikunfähig sie innen- wie außenpolitisch in Wirklichkeit ist. Probleme werden nicht angegangen, sondern durchgereicht, bis sie irgendwann bei den Mitgliedsstaaten ankommen, die das letzte Glied in der Kette bilden, ob austeritäts- und damit sozialpolitisch, oder hinsichtlich der Flüchtlingssituation. Die EU basiert nicht auf Solidarität, sondern scheint nichts weiter als ein von seinen stärksten Mitgliedern dominierter Interessenverband zu sein, dem mit der Zuspitzung der inneren Widersprüche der Laden nun Stück für Stück um die Ohren fliegt.
Den 28. Juni 2018 wird man daher im Gedächtnis behalten: Als den Tag, an dem die Europäische Union in eine kritische Phase ihrer Selbstzerstörung eingetreten ist.