Wenn die EU-Migrationspolitik so kommt, wie am Wochenende besprochen, bedeutet das abermals eine scharfe Zäsur. Derweil nimmt die Repression gegen humanitäre Flüchtlingshelfer*innen zu, wie das Beispiel von Helena Maleno Garzón zeigt.
Trug die EU-Migrationspolitik schon bislang in vielerlei Hinsicht inhumane Züge, so wurde beim Ratstreffen am vergangenen Wochenende in Brüssel klar, dass es nunmehr darum geht, die EU-Außengrenzen endgültig abzuschotten, und zwar um quasi jeden Preis.
Abgesehen von solchen Absichtserklärungen war allerdings auch schon nahezu Schluss mit der Einigkeit, meint Maximilian Pichl, der die Resultate des Treffens in der kommenden Ausgabe der woxx einordnet und analysiert. Während sich die europäische Rechte mit ihrem Ziel der Abschottung durchgesetzt habe, zeige sich zugleich, wie uneins die Regierungen bei der Reform des europäischen Asylsystems seien, so der Wissenschaftler und Journalist: „Bereits seit dem Frühjahr 2016 liegt ein Vorschlag der EU-Kommission vor, auch das Europäische Parlament hat mittlerweile eigene Konzepte erarbeitet. Im Rat gibt es hingegen bislang keine Einigung über die neue Asylverfahrensverordnung und die Dublin-IV-Verordnung. Dabei geht es gerade bei diesen Rechtsverordnungen um die konkrete Zukunft des europäischen Asylrechts.“
So scheint es nicht zuletzt eine propagandistische Wirkung zu sein, die mit dem Abschlussdokument des Gipfels beabsichtigt wurde. „Das größte Aufsehen erregte der fünfte Punkt“, so Pichl: „Demzufolge will die EU die Möglichkeit von ‚regionalen Ausschiffungsplattformen‘ auch in außereuropäischen Drittstaaten prüfen. Aus Seenot gerettete Flüchtlinge sollen zukünftig nicht mehr nach Europa gebracht werden, sondern in (nord-)afrikanische Staaten.“ Die Afrikanische Union indes hat anlässlich ihres 31. Staatengipfel, der zufällig am selben Wochenende stattfand, bereits klargemacht, dass man von der Idee überhaupt nichts hält, und auch Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten, die sich explizit dazu geäußert haben, winken ab.
Keine neue Balkanroute
Unsere Berliner Partnerzeitung Jungle World wird der Migrationspolitik der Europäischen Union einen Schwerpunkt widmen. Neben dem Text von Pichl enthält die heute erschienene Ausgabe unter anderem zwei sehr lesenswerten Interviews.
Der albanische Sozialwissenschaftler Artan Sadiku gibt Auskunft darüber, dass die vom österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz behauptete Existenz einer „neuen Balkanroute“ über Albanien eine interessierte Behauptung sei: „Es gibt keine neue Balkan-Route. Die Situation ist überhaupt nicht vergleichbar mit 2015 und 2016. Es gibt kleine Gruppen von Menschen, die es mit Hilfe von Schmugglern über die Grenzen schaffen, aber die Zahlen sind gering. Sebastian Kurz versucht, die Flüchtlingsfrage für sich zu nutzen, wobei er sich als Anführer der Europäischen Union inszeniert und als Politiker, der einen besonders guten Draht zu den Ländern des westlichen Balkans hat.“
Wie Sadiku berichtet, klappt diese Instrumentalisierung bislang aber nur bedingt. So habe der stellvertretende albanische Innenminister Julian Hodaj in einem Interview gesagt, sein Land habe bereits zu Zeiten des Kosovo-Kriegs bewiesen, dass es bis zu 600 000 Flüchtlinge aufnehmen könne, was ungefähr der Anzahl von Menschen entspricht, die seit Anfang 2016 insgesamt nach Europa gekommen sind. „Flüchtlinge waren in Albanien und den albanischen Medien bis vor kurzem kein großes Thema“, so der albanische Wissenschaftler: „Nur in der Auslandsberichtserstattung wurde allgemein über die Situation berichtet, allerdings ohne große Emotionen bei der albanischen Bevölkerung auszulösen. Erst als der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz die Idee forcierte, Asylzentren in Albanien einzurichten, wurde es zum Thema.
Repression gegen humanitäre Helfer*innen
Im zweiten Interview kommt die spanische Flüchtlingshelferin Helena Maleno Garzón zu Wort, die wie der Kapitän des Flüchtlings-Rettungsschiffs „Lifeline“, Claus-Peter Reisch, für ihr Engagement kriminalisiert wird. Maleno arbeitet für die Organisationen „Caminando Fronteras/Walking Borders“ und „Women’s Link Worldwide“ im nordmarokkanischen Tanger.
Im November 2017 wurde die Aktivistin vor Gericht geladen, unter anderem, weil sie Seenotrufe von Flüchtlingsbooten an die Küstenwache Spaniens und die Marine Marokkos weitergeleitet hat. Angeklagt wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“, „Schlepperei“ und „Menschenhandels“, droht ihr nun eine lebenslange Haftstrafe. „Mein Fall ist politisch und die Verfolgung geht vom EU-Mitglied Spanien aus, da das Verfahren in Marokko auf Anschuldigungen aus Spanien zurückgeht“, so die spanische Migrationsforscherin und Journalistin. „Selbst die Vereinten Nationen haben sich eingeschaltet und nachgefragt, wie es dazu komme, dass gegen mich, eine von den UN anerkannte Menschenrechtlerin, ein Verfahren anläuft. Die spanische Polizei will mich in Haft sehen.“
Malenos Fall lässt sich ihren Worten zufolge durchaus in eine Strategie zur Kriminalisierung von Flüchtlingshelfern einordnen. Dennoch ist sie nicht ohne Mut: „Das vor kurzem ad acta gelegte Verfahren gegen die Feuerwehrleute aus Andalusien, die auf Lesbos als Flüchtlingshelfer vor Gericht standen, gibt mir Hoffnung“, sagt die Aktivistin. „Auch die Solidarität mit der Arbeit der Seenotretter der NGO ‚Proactiva Open Arms‘ zeigt, dass es Widerstand gibt gegen das, was die EU-Staaten mit unseren Fällen erreichen wollen: Exempel zu statuieren und Flüchtlingshelfern Angst zu machen.“ Optimistisch fügt sie hinzu: „Aber dieser Schuss geht nach hinten los, wie die Welle der Solidarität auch in meinem Fall zeigt.“
Moreno will gar ein „Umdenken in Sachen Migration“ erkennen: „Was Länder wie Spanien als erfolgreiches Modell der Grenzsicherung exportieren wollen, wird nicht mehr ungefragt hingenommen. Denn der Grenzschutz soll dabei über allem stehen, über grundlegenden Menschenrechten. Todesfälle werden dann einfach hingenommen. Das geht einher mit einer Entmenschlichung von Migranten. Über 20 Jahre leben wir bereits damit. Dabei geht es darum, das Recht auf Leben zu wahren, und dieses über den Grenzschutz als oberste Priorität zu stellen.“