Die EU-Kommission will sowohl Investitionen in Kernenergie als auch in fossiles Gas als „nachhaltig“ labeln. Nun widerspricht ihre eigene Expert*innengruppe. Die Chance auf eine Wende ist dennoch klein.
„Es wurde versucht, die Wissenschaft zu unterdrücken, aber heute hat die Plattform ihr ein Megafon gegeben: Fossiles Gas verursacht enorme Emissionen und Kernkraft erzeugt hochradioaktive Abfälle, von denen wir immer noch nicht wissen, wie sie zu behandeln sind. Der Bericht der Plattform ist ein weiteres Warnsignal, dass weder fossiles Gas noch Kernkraft in die grüne Taxonomie der EU aufgenommen werden dürfen. Die Kommission muss auf die Wissenschaft hören und ihren Vorschlag, Gas und Kernenergie grünzuwaschen, aufgeben.“ So drückte es Sebastien Godinot, Senior Economist des WWF Europa und Mitglied der Plattform für nachhaltige Finanzen aus. Diese Plattform wurde von der EU-Kommission selbst eingesetzt, um sie in Sachen nachhaltige Finanzen zu beraten.
Auch im Bericht selbst liest sich scharfe Kritik an den Plänen der Kommission, fossiles Gas und Kernkraft als nachhaltig zu labeln: „Insgesamt ist die Plattform der Ansicht, dass der Entwurf nicht im Einklang mit der Taxonomie-Verordnung steht. Die meisten Mitglieder sehen ein ernsthaftes Risiko, dass der Rahmen der nachhaltigen Taxonomie damit untergraben wird. Darüber hinaus haben die Mitglieder der Plattform Zweifel daran, wie die Kriterien des Entwurfs in der Praxis funktionieren würden, und viele sind sehr besorgt über die daraus resultierenden Umweltauswirkungen.“ Das macht Hoffnung, dass es doch noch eine Wende bei grünen Investitionen geben könnte. Die Chancen dafür stehen allerdings eher schlecht.
Uranabbau pfui, Kernkraft hui?
Die Taxonomie soll Investor*innen und privaten Anleger*innen Orientierung geben, welche Investitionen wirklich nachhaltig sind. Nachdem bereits letztes Jahr ein Großteil der Bestimmungen in Kraft getreten war, wurde weiterhin darüber gestritten, ob Kernenergie und Erdgaskraft darin aufgenommen werden sollten. Am Silvesterabend veröffentlichte die Kommission ihren Vorschlag für den „delegierten Rechtsakt“, mit dem Kernkraft und Gaskraftwerke als nachhaltig gelabelt werden sollen. Eigentlich sollen die sogenannten „delegierten Rechtsakte“ nur für kleinere Änderungen an bestehenden EU-Verordnungen genutzt werden – die Kommission benutzt dieses Mittel nun jedoch, um große Veränderungen an der Taxonomie vorzunehmen.
„Ich bin sehr froh, dass die Experten uns nicht nur in der Substanz recht geben, sondern auch bei der Form“, sagt Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng) der woxx dazu. Die Expert*innen der Plattform sehen Unvereinbarkeiten zwischen der ursprünglichen Taxonomie und den Vorschlägen zu Gas und Atom. Es würden Prinzipien wie Technologieneutralität und Lebenszyklusanalyse der Investitionen nicht beachtet, außerdem gebe es die Gefahr eines sogenannten „lock-in“, also dass Gas- und Kernkraftwerke lange Zeit betrieben würden, wenn sie erst einmal gebaut seien.
Ein weiteres Problem, das die Plattform mit Kernenergie hat, ist das Brennmaterial: Der Abbau von Uran ist in der Taxonomie nämlich klar als nicht-nachhaltig beschrieben. Auch deswegen sei es abzulehnen, Investitionen in neue Kernkraftwerke nun als „grün“ zu labeln, so der Bericht der Expert*innen. Sie zeigen damit auf, dass der Vorschlag im Widerspruch zu den Grundsätzen der Taxonomie steht.
„Klarer Machtmissbrauch“
Turmes sieht im geplanten Vorgehen der Kommission einen klaren Rechtsbruch: „Für mich ist das ein klarer Machtmissbrauch, wenn die Kommission über den delegierten Rechtsakt versucht, Gas und Atom in die Taxonomie reinzuschmuggeln. Das ist ungefähr so, als würde die Luxemburger Regierung ein Gesetz über Bioäpfel mit einem großherzoglichen Reglement, das Pestizide erlaubt, verändern.“ Für den Energieminister ist dies politisch gesehen der wichtigste Punkt.
Um den delegierten Rechtsakt über Gas- und Kernkraft noch zu Fall zu bringen, gäbe es theoretisch drei Möglichkeiten. Der Rat, der aus den Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten besteht, benötigt eine sogenannte „verstärkte qualifizierte Mehrheit“, um den Vorschlag abzulehnen. Dazu werden 72 Prozent der Mitgliedstaaten, also wenigstens 20 benötigt, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU vertreten. Das ist jedoch eher unrealistisch, denn bisher haben sich nur einige wenige Länder gegen die Aufnahme von Gas und Atom in die Taxonomie gewehrt, neben Luxemburg lediglich Österreich, Deutschland, Portugal und Dänemark. „Diese Prozedur ist so, weil es bei delegierten Rechtsakten eigentlich nur darum gehen soll, technische Details festzulegen, und dies dann nicht von einzelnen Regierungen verhindert werden soll“, erklärt Turmes.
Außerdem könnte das Europäische Parlament ihn mit einer Mehrheit von mindestens 353 Abgeordneten ablehnen. Einige EU-Parlamentarier*innen haben offene Briefe an die Kommission geschrieben, weil ihnen die Zeitspanne, um die delegierten Rechtsakte zu begutachten, zu kurz war. Die EU-Nachrichtenseite Euractiv zitierte eine Quelle aus dem Parlament, die mutmaßte, über den progressiveren Umweltausschuss könne Gegenwind entstehen. Allerdings gilt es als unrealistisch, dass eine Mehrheit im Plenum gegen den Vorschlag der Kommission stimmt. Das liegt auch daran, dass über Gas und Kernkraft gemeinsam abgestimmt wird: Wer für eine der beiden Energieformen ist, muss auch die andere akzeptieren.
Champagner in die Limonade
Eine weitere Möglichkeit der Ablehnung wäre denkbar, wenn sich die Kommissionsmitglieder gegen den Vorschlag der Präsidentin Ursula von der Leyen stellen würden. „Die 27 Kommissare müssen sich entscheiden, ob sie diesen Machtmissbrauch mittragen wollen. Das ist ja keine Einzelentscheidung von Frau von der Leyen, sondern das entscheidet die ganze Kommission“, sagt Turmes. Auf die Nachfrage der woxx hin, ob er bereits mit Nicolas Schmit, dem luxemburgischen Kommissar, darüber gesprochen hat, antwortet der Minister, dass der Kommissar über die Position der Regierung informiert sei.
Wird der delegierte Rechtsakt angenommen – wonach alles aussieht –, bleibt Luxemburg nur, dagegen zu klagen. Das würde wohl gemeinsam mit Österreich passieren, denn die deutsche Regierung hat sich bisher nicht einigen können, ob sie eine solche Klage mittragen würde. Turmes sieht gute Chancen, dass eine Klage die delegierten Rechtsakte zu Fall bringen könnte, das hätten ihm auch EU-Rechtsexpert*innen bestätigt. An Auswirkungen auf den Finanzplatz Luxemburg, der sich gerne damit schmückt, besonders viele nachhaltige Fonds anzubieten, will Turmes nicht denken: „Da sind wir noch nicht. Und wenn das kommt, gibt es ja auch andere Finanzplätze, die so etwas nicht wollen.“
Ohnehin sieht es so aus, als sei die EU-Kommission nicht gewillt, schnell aus Gas als Energieträger auszusteigen. Mitte Dezember veröffentlichte sie einen Vorschlag, um den Gasmarkt zu dekarbonisieren – der allerdings scharf kritisiert wurde, weil noch lange an dem fossilen Energieträger festgehalten werden soll. Um das Ganze etwas „nachhaltiger“ zu gestalten, soll auch Wasserstoff ins Erdgasnetz gemischt werden. Turmes hält das für „ökologischen und ökonomischen Unsinn“: „Wer gerne Champagner trinkt, mischt den ja auch nicht mit Limonade. So wäre es auch, wenn man wertvollen Wasserstoff ins Gasnetz einspeist, das ist völlig kontraproduktiv. Die Kommission ist der fossilen Gaslobby auf den Leim gegangen, genau wie bei der Taxonomie.“
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