Faschistische Männer: Geboren durch Gewalt

Vor über 40 Jahren hat Klaus Theweleit mit seiner von den Geschlechterverhältnissen ausgehenden Faschismusanalyse Furore gemacht. Nun werden die „Männerphantasien“ neu herausgegeben. Die woxx sprach mit dem Autor über die Aktualität und Wirkung seines Werkes.

„Die sogenannte faschistische Ideologie im Sinne eines benennbaren Kanons von Regeln und Gedanken gibt es meiner Meinung 
nach nicht“: 
der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit. (Foto: privat)

woxx: Im Nachwort zur Wiederveröffentlichung Ihres Buches schreiben Sie, die neue Rechte in Deutschland töne in vieler Hinsicht ähnlich wie die in Ihrem Buch „Männerphantasien“ beschriebene Freikorps- und Nazi-Rechte der Weimarer Republik. Worin besteht die Ähnlichkeit?


Klaus Theweleit: Einer der Kerne des politisch rechten Verhaltens, das man als faschismusanfällig bezeichnen kann, besteht immer noch in der aggressiven Abwehr von Weiblichkeit. Eine neu belebte Antiweiblichkeit also, von der ich gedacht hätte, dass er nach der ökologischen Bewegung und der Frauenbewegung seit den 1970er-Jahren schwächer geworden sei. Nun in Form eines aufgeladenen Antifeminismus. Damit verbunden ist dann, weniger überraschend, auch die Ähnlichkeit im Gewaltverhalten.

Wieso spielt der Antifeminismus eine so zentrale Rolle?


Die Sorte Männlichkeit, wie sie in der politischen Rechten in Deutschland und anderen Ländern auftritt, verlangt nach hierarchischen Strukturen. Die Welt muss hierarchisch organisiert sein, es muss Herrschaft geben, es muss Unterordnung geben, und die muss durchgesetzt werden, und zwar von Männern. Wenn Frauen, oder Fremde, oder Menschen mit anderer Hautfarbe Rechte einfordern, stellt das für diese Art Körper eine Bedrohung dar. Diese muss beseitigt werden. Sie handeln, aus ihrer Sicht, immer in „Notwehr“; sind daher immer „im Recht“. Das ist ein Kennzeichen des Faschistischen. Dazu gehört, dass „die Frau“ prinzipiell Unrecht hat; außer, sie ordnet sich unter.

Sie sprechen von einer Art gestörter Körperlichkeit.


Ja, von einem „Fragmentkörper“, der von der Angst vor Körperauflösung bestimmt ist, der eine bestimmte Menge negativer Erfahrungen gespeichert hat und alles, was von außen herandrängt, als bedrohlich empfindet. Es gibt Menschen, die nicht fähig sind, andere menschliche Körper in zivilen gesellschaftlichen Beziehungen als gleich anzuerkennen. Sie behaupten, die „natürliche Ordnung“ sei gestört, wenn „die Unteren“ Gleichheit verlangen: Die Welt ist krank und sie sind die Heiler. Besonders stark ausgeprägt findet sich dieser Zug beim norwegischen Killer Anders Breivik, der 69 junge Sozialdemokraten tötet, um „sein Land zu heilen“.

Inwiefern werden solche Körper durch die Vernichtung anderer „heil“?


Solche Menschen sind – aus welchen Umständen auch immer – nicht in die Lage gekommen, ein positives Erleben der eigenen Körpergrenzen zu entwickeln. Sie wissen nicht genau, wo ihr Körper aufhört, wo die Außenwelt anfängt, alles dringt in sie ein, weil sie diese Stabilität nicht haben. Im Politischen äußert sich das so, dass die eigenen unsicheren Körpergrenzen mit den Grenzen des Landes gleichgesetzt werden; die dann selbstverständlich „sichere“ sein sollen. Wo die Grenzen des einzelnen nicht empfunden werden, müssen aus Schutz- und Machtbedürfnis die Landesgrenzen herhalten. Jeder Fremde, der unberechtigt die Landesgrenze überschreitet, fällt somit in den eigenen Körper ein.

„Im Kern von soldatischem, rechtem, faschistischem Verhalten steht die Angst vor Körperauflösung.“

Eine Ihrer Grundthesen ist, dass es überwiegend männliche Körper sind, die nicht leben können, ohne andere zum Verschwinden zu bringen. Worin besteht dieser Beseitigungszwang?


Wer sich bedroht fühlt, möchte das, was ihn bedroht, weg haben. Das ist nachvollziehbar. Je brüchiger ein solcher Körper ist, desto bedrohter fühlt er sich; desto mehr „muss weg“ aus seiner Umgebung und aus der Welt. Unabhängig davon, wie bedrohlich es tatsächlich sein mag. Die Begründungen dafür, warum da immer welche „weg müssen“, sind relativ beliebig. Es gibt Körper, die immer wollen, dass irgendwas um sie herum „weg“ sein soll. Wenn eine Partei wie die AfD in Deutschland propagiert, „die Fremden müssen weg, die haben hier nichts zu suchen“, dann ist damit indirekt eine Tötungsmöglichkeit ausgesprochen. Angstkörper, die in einer bestimmten Falle sitzen, sehen keine andere Lösungsmöglichkeit als Gewaltanwendung, da sie innere Formen der Konfliktbewältigung nicht entwickelt haben. Das ist ein vorwiegend Männern vorbehaltener Handlungsweg, da Männer historisch auf eine muskulär-motorische Bewältigungsform psychischer Probleme gedrillt sind; und darauf gedrillt, körperliche Überlegenheit mit psychischer Überlegenheit zu verwechseln. Im Kern von soldatischem, rechtem, faschistischem Verhalten steht die Angst vor Körperauflösung. Wer sich dafür interessiert, kann dann beim Einzelnen schauen, wie es dazu gekommen ist.

Es geht also um ein bestimmtes Körperregime, das sich auch in der Strukturiertheit des Tagesablaufs ausdrückt?


Alles, was die Körper entscheidend prägt, geht in die Strukturiertheit des Tagesablaufs ein. Jeder Industriebetrieb, jedes Verwaltungsbüro macht sich das zunutze. Wir leben nicht nach Gesetzesvorgaben des Gehirns.

Foto: Wikimedia/Schorle

Bei den soldatischen Männern, die Sie beschreiben, war der militärische Drill hierbei am wirksamsten?


Mir fiel bei der Arbeit an meinem Buch auf, dass die Lebensbeschreibungen der Soldaten und Freikorpsmänner, die die sozialistische Revolution in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg niedergeschlagen haben, immer das Loblied auf den Drill sangen. Dass man also im Militär durch Qualen neu geboren werde, was ja auch die offizielle wilhelminische Propaganda war. Die Marinesoldaten beim Rudern gingen beispielsweise oft bis zu dem Punkt, wo sie in Ohnmacht fielen, wo also eine Form der körperlichen Überdrehung und Berauschung entstand. Doch wenn sie das durchgestanden hatten, fühlten sie sich gestählt, heldenhaft unangreifbar. Bis 1945 wurde in Deutschland die Dominanz männlicher Motorik in der Gesellschaft durch militärischen Drill hergestellt.

Wird diese Selbstgeburt durch Gewalt auch als Gewalt erlebt?


Sie wird zunächst als Gewalt erlebt, aber diese wird bejaht. Die Autoritäten, die sie ausüben, werden geliebt, geschätzt und bewundert. Der Anspruch an den eigenen Körper ist es, das durchzustehen. In den Kadettenanstalten beispielsweise wurden die, die das nicht ausgehalten haben, von den anderen gequält. Mit diesem erworbenen Körperpanzer, diesem muskulären Ich, das ja kein psychisch von innen belebtes Ich ist, stehen sie dann „stark wie eine Eiche“ in der Gesellschaft und verlangen die Herrschaft im Staat.

Sie schreiben, der Faschismus sei keine Ideologie, sondern eine zerstörerische Art und Weise, die Realität herzustellen. Wie ist das zu verstehen?


Die sogenannte faschistische Ideologie im Sinne eines benennbaren Kanons von Regeln und Gedanken gibt es meiner Meinung nach nicht. Der Faschismus besteht im Kern aus der Gewalt, die Wirklichkeit so zuzurichten, dass die Angst vor Körperzerfall gebannt scheint. Dazu gehört die Notwendigkeit, die „unteren“ unten zu halten, also Fremde, Frauen, Andersfarbige, Leute anderen Glaubens und so weiter. Die Begründungen dafür sind austauschbar. Anders Breivik gibt vor, das Christentum retten zu wollen. Die Kämpfer des Islamischen Staats morden zur Rettung des Islam im Namen Allahs. Die Nazis ermordeten Juden zur Reinerhaltung der „höheren Rasse“. Getötet wird immer im Auftrag einer größeren Macht: des Christentums, für Allah, für die höhere Rasse, für den Führer und so weiter. Niemand von ihnen würde vor einem bürgerlich-weltlichen Gericht irgendeine Schuld zugeben. Die Vernetzung durch das Internet heute verhilft dabei zu einer körperlichen Stabilisierung, vergleichbar der, die früher durch den Drill erreicht worden ist.

Sie bezeichnen Ihr Buch auch als „Kulturgeschichte männlicher Gewaltausübung angesichts der Geschlechterverhältnisse“. Was hat das mit dem Faschismus zu tun?


Beim Lesen der Texte, Erlebnisberichte und Tagebücher der erwähnten Freikorpsmänner fiel mir auf, dass im Zentrum all dieser Schriften eine bestimmte Haltung gegenüber Frauen steht, die nicht erst seit den 1920er-Jahren da ist, sondern historisch schon viel länger. In meinem Kopf hatte ich dazu die Feststellung von Walter Benjamin: Der Faschismus sei nicht das Produkt eines Jahrzehnts oder Jahrhunderts, sondern das Produkt aller Jahrhunderte. Er meint damit die Zeit seit Anbeginn aller männerdominierten Gesellschaften. Seit circa 12.000 Jahren herrscht in verschiedenen Formen das Patriarchat. Das wurde dann der erweiterte Stoff des Buches. In meiner Doktorarbeit ging es dann nicht nur um den Versuch, den historischen Moment der Entstehung des Nazi-Faschismus zu beschreiben, sondern auch um die Frage, was die Geschlechterverhältnisse damit zu tun haben, wenn Männer mit Lust Gewalttaten begehen, die darauf zielen, den Körper ihres Gegners regelrecht zu zerquetschen, zu blutigem Brei zu machen.

Inwiefern dienten Sie sich beim Schreiben des Buchs auch selbst als Studienobjekt?


Natürlich habe ich mich gefragt, was der eigene Vater, der seine Kinder straft, aber angeblich nur, um das Beste aus ihnen zu machen, mit solchen Verhaltensstrukturen zu tun hat. Unser Vater – wir waren sechs Kinder – war keineswegs ein Sadist, aber ein cholerischer Prügler. Man sollte was werden und so widmeten Leute wie er ihr ganzes Leben den Kindern, aber die Gewalt bekamen sie aus dem eigenen Verhalten nicht raus. Als junger Mann war es nötig zu erfahren, wieviel davon in meinem eigenen Körper steckt. Denn man ist davon ja nicht unberührt, Teile dieser Gewalt gehen in einen ein. Im Zusammenleben mit anderen kann man das bearbeiten. Als meine Frau und ich zusammenzogen und sie unser erstes Kind auf die Welt brachte, hatte ich da schon einiges gelernt. Man muss an der Gewalt in einem selber arbeiten.

Sie erwähnen in Ihrem Buch, nur wenige Historiker hätten Ihren Ansatz wirklich durchdacht und fruchtbar gemacht. Ist das auf eine psychologische Abwehrreaktion zurückzuführen oder eher auf das Festhalten am akademisch althergebrachten?


Das ist sicher beides, möglicherweise ist es sogar identisch. Es gibt eine akademisch-wissenschaftliche Haltung an den Universitäten, besonders unter Historikern, die sich als Erkenntnissubjekt betrachten gegenüber dem, was sie geschichtlich zu erkennen vorhaben: „Hier sind wir, sammeln die Dokumente und beschreiben die Haltungen der anderen“. Damit ist der eigene Körper aus dem Spiel. Wenn man aber vom Körper spricht, kommt man nicht umhin, den eigenen miteinzubeziehen, sonst produziert man Belangloses. Das schlägt sich in einer bestimmten Form von Grammatik nieder. Historiker dünken sich in der akademischen Deutungselite weit oben und denken nicht daran, die eigene Körperlichkeit mit denen, über die sie schreiben, in Verbindung zu bringen. Die Gefühle der Menschen kommen bei Historikern im Allgemeinen nicht vor. Dazu müssten sie eine andere Erzählweise entwickeln, jenseits der akademischen Korsettsprache, die ja auch nur eine Stütze des Körperpanzers der Akademiker ist. Wenn man in dieser Sprache schreibt, die ich auch ödipale Sprache nenne, dann sind ganz bestimmte Erkenntnisprozesse von vornherein ausgeschlossen. Man ist nicht in der Lage, wahrzunehmen, wie die Sprache sich ändern sollte im Umgang mit den verschiedenen Wahrnehmungen des Realen.

Klaus Theweleit ist Kulturtheoretiker und war bis 2008 Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Im Jahr 1977 in Erstauflage erschienen, wurde sein Buch „Männerphantasien“ viel diskutiert. Es gilt als eines der ersten Werke der Männerforschung und ist zugleich eine Faschismusanalyse anhand von Berichten der Männer, die in den „Freikorps“ in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg die sozialistischen Revolutionsversuche auf Geheiß der sozialdemokratischen Regierung niedergeschlagen hatten. Theweleit begreift in seinem Buch Faschismus und Nationalsozialismus nicht primär als politisch-ideologisches Herrschaftssystem, sondern als „Ausgeburt entfesselter Männergewalt“. Er setzte daher an den Geschlechterverhältnissen sowie an den Körperstrukturen der Männer an. Im Mittelpunkt steht der körperlich fragmentierte „soldatische Mann“. In dem Buch „Das Lachen der Täter“ hat Theweleit seine Thesen 2015 mit Blick auf die Kämpfer des Islamischen Staates und rechte Attentäter wie Anders Breivik aktualisiert. Der Verlag Matthes & Seitz hat nun eine mit einem neuen Nachwort des Autors versehene Neuausgabe der „Männerphantasien“ vorgelegt.


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