Einige rechtsextreme Parteien der EU leugnen nicht länger den Klimawandel. Stattdessen versuchen sie nun, wirksame Maßnahmen hinauszuzögern. Kurz vor den Europawahlen kommt das vor allem in den ländlichen Regionen gut an.
Sie gelten als die Ernährer*innen der Nation. Seit Monaten gehen Landwirt*innen vermehrt auf die Straße, um gegen Freihandelsabkommen wie jenes zwischen der EU und dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt (Mercosur) zu demonstrieren. Ihr Protest richtet sich aber auch gegen Klimaschutzmaßnahmen, wie sie im „European Green Deal“ der Europäischen Union einbegriffen sind. Mit dabei: rechtspopulistische Parteien, die sich zunehmend auf die Seite der Landwirtschaft schlagen – wie beispielsweise die luxemburgische ADR, die seit Jahren die soziale Unzufriedenheit und Unsicherheit nutzt, um gegen klimafreundliche Maßnahmen Stimmung zu machen.
Überall in der EU übernimmt ein Teil der rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien einen neuen Diskurs in Sachen Klimapolitik: Anstatt die Klimakrise an sich zu leugnen, wird diese anerkannt. Einstmals eingefleischte Klimaleugner*innen nehmen nun stattdessen die einzelnen Klimaschutzmaßnahmen ins Visier. Gleichzeitig zeigen sich viele dieser Parteien besorgt um den Umweltschutz: Eine ambivalente Haltung, die ständig weiter zugespitzt wird und in ihrer Widersprüchlichkeit mühelos in die nationalistische Weltsicht dieser politischen Gruppen passt. Von Luxemburg und Frankreich über Spanien und Italien bis hin zu Ungarn und zur Tschechischen Republik: Die Strategie ermöglicht es den Parteien, bestimmte gesellschaftliche Gruppierungen zu polarisieren und gegen vermeintliche europäische Eliten Stimmung zu machen.
Kein akuter Handlungsbedarf
Wohl gibt es immer noch Politiker*innen und Parteien aus dem rechtsextremen Milieu, etwa der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die den durch Menschen verursachten Klimawandel nach wie vor leugnen. Insgesamt passen sich einige jedoch der neuen Rhetorik an, so auch der ADR-Parteivorsitzende Fred Keup. Ansonsten droht ein Verlust der Glaubwürdigkeit, nun da die Folgen der Klimakrise auch in Europa seit einigen Jahren spürbar sind und der Handlungsbedarf immer deutlicher wird. Wie die globale Erwärmung bekämpft und Emissionen reduziert werden sollen, wird jedoch permanent hinterfragt – aber nicht mit dem Ziel, eine effiziente Klimapolitik zu gestalten, sondern um umweltfreundliche Maßnahmen zu torpedieren. Für diese Strategie gibt es inzwischen sogar einen Namen: Europäische Forscher*innen der Universität Cambridge tauften sie in einer 2020 veröffentlichten Studie „climate delay discourse“ (auf Deutsch: Diskurs zur Klimaverzögerung).
Die Rhetorik im neuen Gewand sei „eine klügere Form der Leugnung“, sagt der Politologe David Vicente Torrico.
Laut der Politikwissenschaftlerin Mirjam Gruber, die unter anderem den Klimadiskurs der AfD und der VOX unter die Lupe genommen hat, war 2019 ein entscheidendes Jahr für diesen Diskurswandel: Das Engagement von zivilgesellschaftlichen Bewegungen wie „Fridays for Future“ führte auch zu einer zunehmenden Berichterstattung über den Klimawandel und seine Folgen in den Medien. Das Bewusstsein für die Problematik nahm zu. Seither argumentieren auch einige rechtsextreme Parteien subtiler. Die Rhetorik im neuen Gewand sei „eine klügere Form der Leugnung“, sagt der Politologe David Vicente Torrico im Gespräch mit der woxx. Klüger, weil die auf eine Verzögerung wirksamer Maßnahmen zielenden Argumente teils einen Funken Wahrheit enthalten und sich nicht so leicht als Desinformation entlarven lassen.
Wie man sich vor der Verantwortung drückt
Eine nähere Betrachtung der Aussagen von Parteien wie der hiesigen „Alternativ Demokratesch Reformpartei“ (ADR), der spanischen VOX oder den „Fratelli d’Italia“ zeigt: Es sind vor allem drei Argumentationsmuster, deren sich die drei Parteien bedienen und die im europäischen Parlament auch von der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) übernommen werden, wie eine von der woxx gemeinsam mit den Journalisten Michele Bertelli und Martin Vrab durchgeführte Recherche ergab.
Erstens: den anderen die Schuld in die Schuhe schieben. Politiker*innen zeigen mit dem Finger auf größere Länder wie China oder Indien (beides beliebte Sündenböcke), deren Emissionen die europäischer Staaten zwar übertrumpfen, historische und koloniale Zusammenhänge werden dabei jedoch geflissentlich ignoriert. Demnach trügen andere die alleinige Verantwortung für den Klimawandel und dessen Bekämpfung. In ihrem Programm zu den Parlamentswahlen vom vergangenen Oktober schreibt die ADR etwa, „anstatt Leute hierzulande zu belästigen“, solle die Regierung Druck auf „Energiezentralen“ im Ausland machen.
Zweitens: Wenn rechte Parteien klimafreundliche Maßnahmen vertreten, dann nur solche, die keine grundsätzlichen Veränderungen mit sich bringen. Parteien wie ADR oder VOX schlagen vor, fossile Brennstoffe als Übergangsenergien weiterhin zu nutzen, bis die Investition in neue Technologien praktikable Alternativen hervorbringt. Obschon diese Rhetorik den Anschein erweckt, man sei dem klimafreundlichen Fortschritt nicht abgewandt, bringt sie tatsächlich wenig Konkretes und lenkt ab von den Maßnahmen, die schon verfügbar und für eine systemische Wende notwendig sind.
Geht es um einen solchen fundamentalen Kurswechsel, kommt ein drittes Argument ins Spiel, das sich leicht auf die nationale Ebene anpassen lässt: Hierzulande heißt es beispielsweise, der Finanzplatz werde unter den klimafreundlichen Maßnahmen leiden und die Lebensqualität eingeschränkt. Darüber hinaus seien erneuerbare Energien nicht effizient genug und zu teuer.
Vor allem die französische Partei „Rassemblement national“ hat sich mit ihrer Vorliebe für Atomkraft diese Rhetorik, bei der nur die Nachteile bestimmter Maßnahmen hervorgehoben und positive Folgen ignoriert werden, zu eigen gemacht: „Der Ausbau von Windkraftwerken werde von Brüssel vorgeschrieben“, rekapituliert Catherine Fieschi, Expertin für Populismus am Robert Schuman Center des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz, das Argument, „wohingegen die Kernkraft Teil des französischen Nationalstolzes sei.“ So soll nach rechten Parteien Klimapolitik betrieben und die Diskussionen zum Sujet geführt werden: Es geht um eine Ökologie, die den Fokus auf nationale Grenzen setzt. Die ADR, die einen vergleichbaren Ansatz verfolgt, nennt dies in ihrem Wahlprogramm „vernünftige“ Klimapolitik, die auf „Angstmacherei“ verzichtet.
So soll nach rechten Parteien Klimapolitik betrieben und die Diskussionen zum Sujet geführt werden: Es geht um eine Ökologie, die den Fokus auf nationale Grenzen setzt.
Auch andernorts wird seit einigen Jahren ein auf nostalgische Gefühle und nationalistische Stimmungen gestützter angeblicher Umweltschutz gefördert. Vor allem die Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und die ebenfalls rechte ungarische Partei Jobbik tun sich hierbei hervor. Orbán, der im Jahre 2020 einen Klimaplan zum „Schutz der Schöpfung und der Natur“ vorstellte, beteuert: „Ungarn ist ein Klimachampion“. Dabei beschränkt sich der Klimaschutz dieser Parteien immer nur auf das eigene Land, EU-weite Maßnahmen werden diskreditiert und ihrer Umsetzung Steine in den Weg gelegt.
Immer wieder tauchen also die gleichen Argumente in rechtsextremen Kreisen auf. Dabei steht bei allen eins im Mittelpunkt: Klimapolitik dürfe nicht auf Kosten der Wirtschaft erfolgen. Es handelt sich allem voran um eine neoliberale und populistische Rhetorik, die erfolgreich an die vermeintlichen Verlierer*innen einer grünen Wende appelliert. Die Rechte kommt damit vor allem im ländlichen Raum gut an, sagt der Kommunikationswissenschaftler Jose Moreno, der die Klimapolitik der VOX analysiert hat. Das Hervorheben der ökonomischen Folgen ermögliche es diesen Parteien, „viele Menschen anzusprechen, die beispielsweise beim Thema Mobilität keine Alternative zu ihren alten, wenig umweltschonenden Autos haben“, weil das Geld für ein neues fehlt. Im europäischen Parlament argumentiert so die rechtspopulistische Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der auch die ADR angehört, gegen Maßnahmen des „Fit-für-55“-Pakets, ein im Juli 2021 vorgestelltes Klimaschutzpaket der Europäischen Kommission, in dem die EU das Ziel einer Senkung von 55 Prozent aller EU-Emissionen bis 2030 festgelegt hat.
Die Gunst der Stunde nutzen
Das Argument der hohen Kosten für Industrie, Wirtschaft und Bevölkerung mag für manche auch deshalb überzeugend wirken, weil ja tatsächlich nicht alle Sektoren und soziale Schichten gleichermaßen betroffen sind – sowohl von der Klimakrise als auch von einigen Klimamaßnahmen. Das Ergebnis ist ein wachsender Unmut in Teilen der Bevölkerung, selbst wenn diese die Notwendigkeit einiger Maßnahmen durchaus erkennen. Im Oktober 2018 beispielsweise begannen die Proteste der Gilets jaunes auch als Reaktion auf eine Klimamaßnahme: die Erhöhung der Benzin- und Dieselpreise durch die CO2-Besteuerung. Diese war ohne Rücksicht auf ihre sozialen Auswirkungen eingeführt worden.
Laut Catherine Fieschi waren die Proteste ein „Weckruf für viele traditionelle Parteien“. Sowohl die extreme Rechte als auch konservativere Parteien zogen daraus ihre Schlüsse: Erstere sahen darin Potenzial, um gegen die EU und deren Maßnahmen Stimmung zu machen, während die konservative Rechte einknickte und begann, sich zunehmend umso kritischer gegenüber Klimaschutzmaßnahmen zu äußern. Hätte es den Ukraine-Krieg und den daraus resultierenden zusätzlichen Druck, alternative Energiequellen zu finden, nicht gegeben, wären klimafreundliche Maßnahmen wohl noch zögerlicher umgesetzt worden, meint die Expertin. Ein weiteres Problem sei, dass die linken Parteien zu lange auf Argumente vertraut hätten, die bei den Menschen nicht ankommen: „Wir dachten, wenn das Leugnen nicht länger möglich ist, würden sich alle darüber einig, was zu tun ist“, sagt dazu William Lamb, Forscher und Mitverfasser der Cambridge-Studie. Dies sei ein Fehler gewesen. „Sie werden immer wieder Wege finden, die notwendige Klimapolitik in Frage zu stellen.“
„Sie“, das sind nicht nur die Rechten. Konservative Parteien, etwa die hiesige CSV (woxx 1770: „Krampf ums Klima“) oder Frankreichs liberale Partei „Renaissance“, die damit beschäftigt ist, eine Politik à la Le Pen zu betreiben, folgen ähnlichen Strategien. So nähern sich extrem rechte, rechte und konservative Parteien in ihrem Abstimmungsverhalten über Klimaschutzmaßnahmen im EU-Parlament einander an. Mit konkreten Folgen: Anfang Februar wurde die EU-Verordnung zum Einsatz von Pflanzenschutzmittel nach massivem Druck rechter und konservativer Parteien zurückgezogen.
Teils werden sowohl von rechten als auch von konservativen Parteien wie der EVP ähnliche Aussagen über technologische Lösungen formuliert, die in ein hinauszögerndes Argumentationsmuster fallen. Das Problem reicht also bis in die politische Mitte und gefährdet die Klimaziele der Europäischen Union. „Das EU-Parlament wird sicherlich ein weniger freundlicher Ort für die Umweltpolitik werden“, sagt Catherine Fieschi. „Wenn Roberta Metsola [Präsidentin des EU-Parlaments; Anm. d. Red.], jetzt schon sagt, sie sei beunruhigt darüber, dass die grüne Wende vielleicht zu schnell vonstatten gehe, dann befinden wir uns bereits in einer großen Verzögerungstaktik, und das an der Spitze des Parlaments.“
Die Frage sei demnach, ob andere Parteien überzeugende Argumente finden, um der Rechten die Stirn bieten zu können, oder ob letztere große Teile der Wählerschaft mit ihrer vermeintlich volksnahen Herangehensweise für sich gewinnen kann. Eine effiziente Antwort gegen die Klimakrise haben rechtspopulistische und konservative Parteien indessen nicht aufzuweisen.