LuxFilmFest: Songs of Repression

Der Dokumentarfilm „Songs of Repression“ zeigt die Gesichter hinter der haarsträubenden Geschichte der deutschen Colonia Dignidad in Chile.

Was früher eine Folterkammer war, ist heute eine Sauna mit Wandtapete. © Final Cut for Real

Das Paradies am Fuße Chiles ist hässlich. Hässlich, weil an diesem Ort über Jahrzehnte hinweg Menschen vom christlichen Prediger Paul Schäfer und seinen Anhänger*innen missbraucht und gequält wurden. Sonnenschein und blauer Himmel machen das Schicksal der Bewohner*innen der deutschen Villa Baviera, bekannt als Colonia Dignidad, auch nicht erträglicher. In „Songs of Repression“ treffen die Dokumentarfilmer*innen Estephan Wagner und Marianne Hougen-Moraga auf zerstörte Identitäten, denen ihre Traumata im Gesicht geschrieben stehen.

Schäfer flüchtete 1961 mit Mitgliedern seiner Kirchengemeinde und Waisenkindern nach Chile, weil ihm in Deutschland ein Prozess wegen Kindesmissbrauch drohte. In den chilenischen Anden gründeten sie eine Wohltätigkeitseinrichtung, die bald zur Sekte wurde. Prügel und sexualisierte Gewalt standen auf der Tagesordnung, wie die verbliebenen Bewohner*innen der Kolonie den Dokumentarfilmer*innen in intimen, oft kurzen und wirren Unterhaltungen erzählen. Immer wieder fängt die Kamera die bebenden Lippen, die zuckenden Augenlider, die nassen Augen der Opfer ein. Die Perspektive hat etwas voyeuristisches, aber nichts von Sensationsgier. Die Filmemacher*innen begegnen den Bewohner*innen mit Feingefühl und Respekt. Sie führen die beiden durch die Kolonie, zeigen ihnen Stellen auf, an denen Menschen gefoltert wurden. Manchmal schaukeln sie aber auch nur mit hängenden Beinen vor sich hin und lachen darüber, dass sie es „wie die Tiere“ mit Schäfer treiben mussten. Es ist ein verzweifeltes, unheimlich trauriges Lachen.

Die Dokumentarfilmer*innen bewerten nicht, dass aus der Villa Baviera inzwischen ein Reiseziel geworden ist. Nicht nur aus historischen Gründen. Die Tourist*innen suchen dort Ruhe, wo früher Menschen um ihr Leben geschrien haben. Die Absurdität dieser Umstände wird auf die Spitze getrieben, wenn einer der Bewohner, der als Heranwachsender mehrmals aus der Kolonie flüchten wollte und dafür gewaltsam bestraft wurde, in einen Keller einlädt: Im Folterkeller gibt es heute eine Sauna für Tourist*innen – mit kitschiger Wandtapete. Die Menschen, die geblieben sind, beteuern bis auf wenige Ausnahmen, dass sie mit ihrer Vergangenheit im Reinen sind. Auf die Sauna kommt es vielleicht auch nicht mehr an, könnte man meinen.

Doch Schäfers Machtmissbrauch hat tiefe Spuren im Leben seiner Opfer und Anhänger*innen hinterlassen. Eine Frau macht große Augen, wenn sie auf den Zusammenhang zwischen Sex und Liebe hingewiesen wird. „Das habe ich nicht gewusst“, sagt sie. Aufgrund sexuellen Missbrauchs scheut sie sich bis heute vor Berührungen. Zwar ist sie mit einem Mitglied der ehemaligen Kolonie verheiratet, doch haben sie nur zur Kinderzeugung miteinander geschlafen. Warum das Paar immer noch in Villa Baviera lebt, obwohl der Ehemann sich offen gegen die Machenschaften und das versöhnliche Getue der anderen Bewohner*innen auflehnt, bleibt unklar. Vielleicht, weil jahrelanger Missbrauch zu einem verinnerlichten Abhängigkeitsgefühl führt? Weil sie sich ein Leben woanders nicht vorstellen können, nachdem es ihnen über Jahre hinweg verboten war?

Die Dokumentation ist durch die Darstellung der Schicksale mehr ein Porträt von Gewaltmechanismen und ihren nachhaltigen Folgen als von der Kolonie selbst. Die Zuschauer*innen erhalten nur in kurz eingeblendeten Texten historische Eckdaten. So erfahren sie, dass Frauen, Männer und Kinder in getrennten Wohnhäusern untergebracht wurden oder dass Schäfer mit dem Diktator Augusto Pinochet kollaborierte. General Pinochet regierte Chile nach einem Militärputsch von 1973 bis 1990, wurde der Menschenrechtsverletzung, Folter und des Massenmords bezichtigt. In der Colonia Dignidad wurden seine politischen Gegner*innen gefoltert, getötet und in Massengräbern verscharrt. Die Doku verrät auch, dass Schäfer 2006 zu zwanzig Jahren Gefängnisstrafe wegen Kindesmissbrauch verurteilt wurde. Er starb 2010 in Haft an Herzversagen.

Eine schnelle Recherche im Netz liefert jedoch mehr Informationen zur Kolonie und Paul Schäfer selbst. Die Liste seiner Vergehen ist lang. Er wurde bereits vor seiner Flucht nach Chile des Kindesmissbrauchs und sadistischer Praktiken beschuldigt. Wie konnte es also sein, dass er mit seiner Gemeinde ein staatlich anerkanntes Kinder- und Jugendheim in Deutschland betrieb bevor er nach Chile flüchtete? Das ist nur eine der vielen offenen Fragen, die die Dokumentarfilmer*innen nicht ansprechen. Der Film bleibt auf der persönlichen Ebene, auf den Erfahrungsberichten hängen. Auf diesem Niveau funktioniert er auch, denn es lässt einen schaudern, wenn die Gesänge der alten Bewohner*innen erklingen: Trotz allen Geschehnissen singen sie heute noch lauthals die Lieder, die ihnen unter Prügel und menschenunwürdigen Lebensumständen eingetrichtert wurden. Auch im Altenheim, im Nachthemdchen, mit weißem Haar und grauem Gesicht. Das, was Wagner und Hougen-Moraga zeigen, geht unter die Haut, weil es sich in all seiner Hässlichkeit, Absurdität und Brutalität erschreckend nah anfühlt.

Songs of Repression läuft ab heute, dem 8. März, Online auf online.luxfilmfest.lu/film/songs-of-repression/ und um 19:15 Uhr im Ciné Utopia. Die Cinémathèque zeigt den Film am 12. März, um 16:30.


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