Mothering Sunday: Ein schöner Tag

„Mothering Sunday“ von Eva Husson ist ein Film, den man gefühlt so schon ein paar Mal gesehen hat. Doch eine ganz eigene Bildersprache und ein hervorragendes Darsteller*innenensemble lohnen den Kinobesuch.

Die australische Darstellerin Odessa Young (hier mit Josh O’Connor), brilliert in der Rolle der Hausangestellten, die durch wiederholte Schicksalsschläge zur Schriftstellerin wird. (© norskfilmdistribution)

„Once upon a time“, mit diesen Worten beginnt „Mothering Sunday“, als sei es ein Märchen. Schauplatz ist das ländliche England mit seinen Herrenhäusern, an einem außergewöhnlich warmen Sonntag im März 1924, am Muttertag. Drei wohlhabende Familien haben sich zu ihrem alljährlichen Lunch verabredet, die Hausangestellte Jane Fairchild (Odessa Young) hat frei. „It’s your day“, schärft ihr der Hausherr (Colin Firth) ein, „a gorgeous day“. Er wiederholt es so oft, bis jede*r ahnt, dass es natürlich kein schöner Tag werden wird. Es ist weniger ein Versprechen als eine Beschwörung. Unter den lichtdurchfluteten Bildern schimmert von Anfang an der Abgrund durch.

Jane hat keine Mutter, die sie besuchen könnte, ihren Allerweltsnamen gab man ihr im Waisenhaus. Und die wohlsituierten englischen Familien, die sich in Tweedanzügen und breitkrempigen Hüten versammeln, haben ihre Söhne auf französischen Schlachtfeldern verloren. „Once upon a time … before the boys were killed“, so endet der erste Satz des Films. Ein einziger Sohn ist geblieben, Paul (Josh O’Connor, bekannt als Prince Charles aus „The Crown“), und er wird sich bald mit der einzigen verbliebenen Tochter vermählen, die eigentlich seinen verstorbenen Bruder liebte. Paul seinerseits unterhält eine Affäre mit Jane und die beiden jungen Menschen nutzen die Abwesenheit der Erwachsenen, um einen letzten Tag gemeinsam zu verbringen.

Nacktheit gegen Schwermut

Quelle: Kinepolis

„Mothering Sunday“ ist die Verfilmung des 2016 erschienenen, gleichnamigen Romans von Graham Swift. Die französische Regisseurin Eva Husson kleidet die Geschichte in unfassbar schöne Bilder, die unbedingt für die große Leinwand bestimmt sind. Die Ästhetik ist jedoch kein Selbstzweck, sondern dient als Memento mori. So verbringen Young und O’Connor große Teile des Films unbekleidet, ihre Unbeschwertheit steht im Gegensatz zu der zugeknöpften Schwermut der Elterngeneration. Es gibt eine lange Szene in der Young nackt durch das fremde Haus streift, Husson und ihre ausgezeichnete Hauptdarstellerin lassen diese Einstellung jedoch nicht erotisch, sondern zutiefst unheimlich wirken.

Jede Einstellung ist sorgfältig durchkomponiert, jedes Detail klug gewählt. Obwohl die Geschichte dahinschleicht, der Rhythmus träge ist wie ein Sonntagnachmittag, erwartet man atemlos das Unvermeidliche. Dazu trägt auch der prägnante und allgegenwärtige Soundtrack der Pianistin, Cellistin und Sängerin Morgan Kibby (Mitglied der Band M83) bei: Die flirrenden Streicher wirken gleichsam nervös und melancholisch. Es ist die unruhige Erwartung, die verhindert, dass „Mothering Sunday“ zu einem Stillleben gerät.

Bis zu den Nebenrollen ist „Mothering Sunday“ ausgezeichnet besetzt. Colin Firth und Olivia Coleman verkörpern als „verwaistes“ Elternpaar zwei entgegengesetzte Facetten der Trauer: Hinter ihrer versteinerten Fassade brodelt die Wut, während er seine Sprachlosigkeit unter einem Schwall von gemurmelten Banalitäten begräbt. Einzig die Rahmenhandlung um die erwachsene Jane, die mittlerweile zur Schriftstellerin geworden ist, wirkt wie ein Fremdkörper, weil der Film plötzlich erklärt, anstatt anzudeuten, und Abkürzungen nimmt, statt sich Zeit für Umwege zu lassen. „Mothering Sunday“ entfaltet seine Wirkung langsam, wer jedoch zu Hussons Erzählweise Zugang findet, wird mit einem Filmerlebnis belohnt, das lange nachwirkt.

Im Ciné Utopia und auf iTunes. Alle Uhrzeiten finden Sie hier.

Bewertung der woxx : XX


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