Mr. President (4): Abgewählt und doch gewonnen

Im Jahr 2000 erhielt George W. Bush viel weniger Stimmen als Al Gore. Durch das US-Wahlsystems und umstrittene Gerichtsprozeduren wurde er trotzdem Präsident.

Stimmen im Wahlkollegium nach Bundesstaaten. (Zum Vergrößern anklicken – National Atlas of the United States; PD)

„Die älteste Demokratie der Welt“ und dann sowas! Am Tag nach der Wahl vom 7. November 2000 war völlig unklar, wer zum Präsidenten werden sollte. Drei Tage später wurde noch darüber gestritten und drei Wochen später immer noch. Ja, sogar heute, 20 Jahre später, kann man darüber diskutieren, ob George W. Bush sein Amt im Januar 2001 zu Recht angetreten hat. Und das Schlimmste für die anstehenden Wahlen befürchten, bei denen ähnliche Komplikationen auftreten könnten.

Das Problem war damals erst einmal technischer Natur: Bushs Vorsprung im alles entscheidenden Bundesstaat Florida war so gering, dass Nachzählen angesagt war. Doch dann konnte man sich nicht darüber einigen, was und wie schnell nachgezählt werden sollte. Als die Gerichte ins Spiel kamen, wurde es politisch – denn in den USA sind Nominierungen von Richter*innen oft politischer Natur (wie der jüngste Konflikt über die Berufung von Amy Coney Barrett an den Obersten Gerichtshof wieder einmal gezeigt hat).

Bushs Trick

Am Ende stoppte der Oberste Gerichtshof die Nachzählungen. Weil der schon damals über eine rechte Mehrheit verfügte, hatten viele Demokrat*innen das Gefühl, Bush sei mit einem Trick an die Macht gekommen. Das war umso schlimmer, als Bush junior, anders als sein Vater George H. W. Bush (siehe Teil 2 unserer Serie) stramm rechte Politik machte und die Gesellschaft polarisierte. Auch bei den jetzt anstehenden Wahlen ist Florida einer der wichtigsten Swing States, der den Ausschlag für den Wahlsieg geben kann.

Was die Sache seinerzeit nicht besser machte: Zum ersten Mal seit 112 Jahren gewann ein Kandidat, der weniger Stimmen erhalten hatte als sein Gegner: Für Al Gore hatten etwa eine halbe Million Bürger*innen mehr gestimmt als für George W. Bush. Ein geradezu antidemokratisches Ergebnis, befanden Kritiker*innen, insbesondere auf dieser Seite des Atlantik.

Gleiche Spielregeln für alle

Hier muss man relativieren. An erster Stelle gilt, dass diese Möglichkeit im System angelegt ist: statt auf eine Direktwahl greift es auf ein Wahlkollegium zurück, dessen Mitglieder für jeden Bundesstaat der einen oder der anderen Partei zugeteilt werden. Der beklagte „antidemokratische“ Effekt stellt sich auch in anderen Wahlsystemen ein, wenn sie auf Majorzverfahren zurückgreifen (man erinnere sich an Jacques Chirac, der 2002 mit weniger als 20 Prozent in der ersten Wahlrunde trotzdem französischer Präsident wurde).

Zwar hat 2016 mit Donald Trump ein weiteres Mal ein republikanischer Kandidat unter solchen Umständen die Wahl gewonnen, doch grundsätzlich könnten auch demokratische Kandidat*innen davon profitieren. Ja, gerade John F. Kennedys legendärer Wahlsieg von 1962 fiel seinerzeit nur auf der Ebene des Wahlkollegiums deutlich aus, beim „popular vote“ war er bestenfalls knapp überlegen – sofern es keine Fehler bei der Auszählung gab.

Schützenhilfe von der Green Party

Was des weiteren zu Gores Wahlniederlage beitrug war die Kandidatur eines „dritten Kandidaten“: Ralph Nader war von den amerikanischen Grünen nominiert und erhielt 2,74 Prozent der Stimmen auf nationaler Ebene. Der größte Teil seiner Wähler*innen hätten gewiss eher Al Gore als George W. Bush unterstützt. Nader habe also zur Wahl von Bush beigetragen, so die Kritik aus den demokratische Reihen. Konkret hätten diese Stimmen das Ergebnis in den beiden Swing States Florida und New Hampshire zugunsten von Gore verändert. Nachträglich kann man natürlich diese ungewollte Schützenhilfe für Bush bedauern, andererseits hatte Gore mit seinen damals lauen Positionen im Umweltbereich die Green Party erst dazu gebracht, unbedingt eine Kandidatur aufzustellen.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das US-Wahlsystem zwar alt und verstaubt, aber gut eingespielt ist – auch im Sinne, dass die Spielregeln wohlbekannt sind. Dass es über die Jahrzehnte meist nur behutsam reformiert wurde, kann man auch als demokratische Qualität werten. In Ländern, in denen die Wahlregeln alle paar Jahre verändert werden, steht immer der Verdacht im Raum, dass die jeweiligen Machtträger*innen das System zu ihrem Vorteil zurechtbiegen wollen. Mit anderen Worten: Dass George W. Bush die Wahlen gewann, ist historisch betrachtet weniger problematisch als das, was er aus diesem Sieg machte (mehr hierzu in Teil 5 der Serie).


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