Ein Rundtischgespräch zum Stand des Rifkin-Prozesses zeigt die Stärken und Schwächen der Wachstumsdebatte in Luxemburg.
Waren sie mit dem Fahrrad gekommen, statt das Auto oder den Bus zu nehmen? Schon lange vor Beginn der Veranstaltung zum Rifkin-Prozess warteten die Mouvement-écologique-Mitglieder vor dem Eingang des Großen Theaters, während viele TeilnehmerInnen noch im Stau standen. Einige AktivistInnen hielten Plakate – „Qualitatives Wachstum – eine Seifenblase!“ las man auf einem –, während andere Flyer verteilten oder große und kleine Seifenblasen in die kalte Novemberluft bliesen.
Am Anfang des Rundtischgesprächs am Donnerstagmorgen konnte man meinen, Étienne Schneider sei ein Wachstumsskeptiker. „Scheiße, was hab‘ ich eigentlich vom Wachstum?“, so beschrieb der Wirtschaftsminister die Reaktion vieler LuxemburgerInnen angesichts von Folgen wie Verkehrskollaps und Immobilienwucher. Vor der Krise habe man diese akzeptiert, weil auch der Lebensstandard stieg, so Schneider, die Frage sei deshalb: „Wie kann man die neuen Technologien so einsetzen, dass die Leute etwas davon haben?“
Der Mouvement meint natürlich etwas ganz anderes: Laut Flyer will er das „Trugbild des qualitativen Wachstums“ ersetzen durch „ein reell zukunftsorientiertes Zukunftsbild, (…), das verstärkt auf reellen Wohlstand statt auf materielles Wachstum setzt“. Auch Nachhaltigkeitsminister François Bausch verdächtigte seinen Regierungskollegen, „zweigleisig“ fahren zu wollen – also das qualitative Wachstum zu fördern. ohne das quantitative aufzugeben – und warnte vor den Folgen für den Staatshaushalt und die Umwelt.
Bürobau statt Landesplanung
Doch der Wirtschaftsminister und die Wirtschaftsvertreter scheinen wirklich an das Paradigma des qualitativen Wachstums zu glauben. Für das derzeitige, nicht nachhaltige Wachstumsmodell liefere Rifkin eine Exit-Strategie, so Carlo Thelen: die Produktivität zu steigern, wodurch man weniger Arbeitskräfte benötige und weniger Ressourcen verbrauche. Dass hierbei eher taktisch als strategisch gedacht wird, zeigte unter anderem der im Verlauf der Veranstaltung diskutierte Vorschlag, Bürogebäude nahe der Grenze zu errichten, um die GrenzpendlerInnen aus dem Stadtverkehr herauszuhalten. Damit hofft man wohl, die wirklichen Probleme wie Wohnungsbau und Landesplanung nicht angehen zu müssen – bis die Seifenblase platzt.
Die Veranstaltung war dennoch interessant, nicht zuletzt aufgrund der Teilnahme von zwölf SchülerInnen, deren Vorschläge von den Regierungsmitgliedern kommentiert wurden. Außerdem erfuhr man aus dem Mund vom Präsidenten der Salariatskammer, Jean-Claude Reding, dass die Vorbehalte der Gewerkschaften gegenüber dem Rifkin-Prozess ausgeräumt seien. Was aber nichts am allgemeinen Eindruck änderte: Es sind die Arbeitgeber, die die Denkrichtung vorgeben. Sie haben das qualitative Wachstum in den Vordergrund gestellt – und setzen damit auf Technologie und Effizienz – ohne die von Jeremy Rifkin angedachten großen gesellschaftlichen Veränderungen in die Diskussion aufzunehmen.