Schon gestreamt? Marriage Story

Mit „Marriage Story“ hat Noah Baumbach einen Film über das Ende einer Ehe geschaffen, der zugleich eine nuancierte Charakterstudie ist. Wie schon in „The Squid and the Whale“ offenbart der US-amerikanische Filmemacher auch hier wieder eine größere Anteilnahme für die männliche als für die weibliche Hauptfigur.

© Netflix

Nachdem „Marriage Story“ im August bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte, ist der Film von Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach seit dieser Woche nun endlich auch in Luxemburg zu sehen – auf Netflix. Das Drama, das von einem Paar erzählt, das sich inmitten eines Scheidungsprozesses befindet, wurde bisher in den höchsten Tönen gelobt. Worin sich viele Kritiker*innen einig zu sein scheinen, ist, dass der Film keine Partei ergreift und uns dazu ermutigt, gleichermaßen mit Charlie (Adam Driver) und Nicole (Scarlett Johansson) zu sympathisieren. Es gibt aber auch Aspekte, die gegen eine solche Einschätzung sprechen.

Was stimmt, ist, dass im Film ein nuanciertes Bild dieser beiden Figuren vermittelt wird; keine kann eindeutig einer bestimmten Schublade zugeordnet werden. Der Film vermittelt auf glaubwürdige Weise die Entwicklung von zwei Menschen, die sich einmal liebten hin zu solchen, die jeder Handlung und Aussage ihres Gegenübers mit Misstrauen oder gar Abneigung begegnen.

Den Grund für die Scheidung erfahren wir erstmals um die 30. Filmminute herum, als Nicole sich mit einer Scheidungsanwältin (Laura Dern) trifft. „It’s not as simple as saying‚ I’m not in love anymore’“, leitet Nicole ihre Schilderung der Geschehnisse ein. Unter Tränen beschreibt sie eine Beziehungsdynamik, die es ihr unmöglich machte, sich zu einem selbstbestimmten Menschen zu entwickeln. Vor Jahren gab sie den Wunsch nach einer Filmkarriere in Los Angeles auf, um der New Yorker Theatertruppe ihres Mannes beizutreten. Die Scheidung sieht sie, so erfahren wir, als notwendigen Schritt, um das Leben führen zu können, das sie sich für sich selbst wünscht.

Schnell wird deutlich, dass Nicole noch nie zuvor artikuliert hat, dass diese Dynamik sie einengt. Zumindest nicht Charlie gegenüber, der nicht in der Lage ist, seine dominante Position innerhalb der Ehe als solche zu erkennen. Nicoles Trennungswunsch kommt für ihn deshalb wie aus dem Nichts. Plötzlich erkennt er diesen Menschen, mit dem er so lange zusammen war und ein Kind großgezogen hat, nicht wieder.

Auch wenn abwechselnd aus Charlies und Nicoles Perspektive erzählt wird: Alles in allem bringt der Film ersterem größeres Verständnis entgegen. Er ist derjenige, der nach friedfertigen Lösungen sucht, sie diejenige, die die Trennung zu einem Rosenkrieg ausarten lässt. Genau wie er Nicoles Verhalten immer weniger nachvollziehen kann, so vermittelt auch der Film zunehmend weniger Einblicke in ihr Innenleben. In der zweiten Hälfte steht fast nur noch im Fokus, welche Strapazen die Scheidung für Charlie bedeutet.

Unausgeglichen ist die Darstellung ebenfalls, was die emotionalen Reaktionen betrifft. Charlie wirkt fast den ganzen Film über gefasst und vernünftig. Nicole dagegen wird sehr oft weinend gezeigt. Es wirkt so als sollten wir dazu veranlasst werden, Nicoles Entscheidung in Frage zu stellen. Wieso tut sie sich und Charlie diese Scheidung an, wenn sie doch so offensichtlich darunter leidet?

© Netflix

Recht spät im Film erfahren wir, dass Charlie nicht nur dominant ist, sondern ein regelrechter Narzisst – zumindest in den Augen Nicoles. Sie bereitet  sich dementsprechend auf eine Scheidung mit einem Narzissten vor, was viele ihrer Handlungen nachvollziehbarer werden lässt. Das einzige, was das Publikum jedoch von Charlies narzisstischer Ader mitbekommt, ist, dass er stark auf seine Arbeit fokussiert ist und ihn die Vorstellung, dass seine Ehefrau unabhängig von ihm Erfolg hat, eifersüchtig macht. Ansonsten wird er als liebevoller, geduldiger Vater dargestellt, der als einziger im Haushalt aufräumt und kocht. Genau wie Charlie während des Scheidungsprozesses sein Umfeld davon zu überzeugen versucht, dass er mindestens so gut für Sohn Henry (Ashy Robertson) sorgen kann wie Nicole es tut, so leistet auch Baumbach dem Publikum gegenüber unermüdlich Überzeugungsarbeit. Dadurch ist die Darstellungswiese aber alles andere als ausgeglichen, sehen wir doch wesentlich mehr Interaktionen zwischen Charlie und Henry als zwischen Nicole und Henry.

Es liegt auch an Adam Drivers Spiel, dass man ihm die Rolle des selbstverliebten, rücksichtslosen Regisseurs nie wirklich abkauft. Auch wenn man meinen könnte, das liege an der charismatischen Ausstrahlung Drivers, so hat er doch in der Serie „Girls“ (2012 – 2017) bewiesen, dass er durchaus in der Lage ist jemanden zu spielen, der die Menschen, die ihm am wichtigsten sind schlecht behandelt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ihn derart sympathisch darzustellen, muss also eindeutig auf die Regieanweisung Baumbachs zurückzuführen sein.

Zu guter Letzt fällt es auch deshalb leichter mit Charlie zu sympathisieren, weil dieser völlig auf sich alleine gestellt ist. Nicht nur, dass die Scheidung in Nicoles Heimatstadt Los Angeles abläuft; diese ist dort zudem von ihrer unterstützenden Familie – ihrer Mutter und ihrer Schwester – umgeben. Charlies einzige erwachsene Ansprechperson ist dagegen sein Anwalt.

Subtil, aber dennoch konsistent, wird die Figur Nicole unsympathischer und ihre Handlungen weniger nachvollziehbar dargestellt. Auch schon in seinem ersten Scheidungsfilm „The Squid and the Whale“ (2005), der aus der Perspektive des Teenagers Walt (Jesse Eisenberg) erzählt wird, hatte Baumbach mehr Mitgefühl für die männliche Hauptfigur gezeigt. Es beschleicht einen der Eindruck, dass Baumbach sich einerseits schwertut, mit Frauen zu sympathisieren, die sich von ihren Ehemännern emanzipieren. Andererseits aber auch wenig an männlichen Figuren interessiert zu sein scheint, die die Rolle, die sie beim Zerbrechen einer Ehe gespielt haben, selbstkritisch reflektieren.

 


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