Umweltschutz in den Wahlprogrammen: Von Fledermäusen und Bürokratiemonstern

So gut wie jede Partei will eine „nachhaltige“ Politik machen. Dennoch sind die Herangehensweisen an die Umweltpolitik sehr unterschiedlich.

Doch, die Natur braucht den Menschen! Wenn die ehemaligen Tagebaugebiete im Minettebecken nicht regelmäßig beweidet werden, verlieren wir die Lebensräume, die wir als schützenswert betrachten. (Foto: woxx/ja)

Der Zustand der natürlichen Umwelt in Luxemburg ist schlecht. Fast ist es schon eine jährliche Tradition, dass die Wald- und Naturverwaltung meldet, wie schlecht es den Luxemburger Wäldern geht. So geschah dies auch am vergangenen Mittwoch: Wieder wurde eine Verschlechterung des Zustands festgestellt, lediglich 14,5 Prozent der untersuchten Bäume waren in einem guten Zustand. Unter ihnen keine einzige Buche, immerhin die häufigste Baumart in Luxemburg (2022 waren noch 3,7 Prozent der Buchen in einem guten Zustand). Auch außerhalb des Waldes gab es in vorigen Jahren wenig hoffnungsvolle Meldungen: Nur 32 Prozent der natürlichen Habitate sind in Luxemburg in einem guten Zustand, nur 15 Prozent der geschützten Spezies haben einen guten Erhaltungszustand, ein Viertel der Arten ist vom Aussterben bedroht und 93 Prozent der Landesfläche gilt als stark fragmentiert. Das stellte 2020 die OECD fest, andere Organisationen – ob national oder international – haben ähnliche Zahlen geliefert. In den Wahlprogrammen kann man nun nachlesen, wie die Parteien mit dieser Biodiversitätskrise umgehen wollen und welche anderen Lösungen sie im Bereich Umweltschutz vorschlagen.

Die zwei größten Umwelt-NGOs, Mouvement écologique und Natur an Ëmwelt, haben beide Forderungskataloge veröffentlicht. Während der Mouvement sein Dokument bereits im Mai veröffentlichte, ging Natur an Ëmwelt erst diese Woche mit einer „Gebrauchsanleitung für die Koalitionsverhandlungen“ an die Öffentlichkeit. Die Botschaft ist jeweils klar: Die Zivilgesellschaft fordert einen stärken Einsatz für Umweltschutz und gibt der Politik eine Reihe an konkreten Maßnahmen mit auf den Weg, wie diese umzusetzen sind.

Mit Floskeln gegen das Artensterben

Wer Wahlprogramme liest, muss notgedrungen auch einige eher sinnentleerte Floskeln lesen. Gleich zwei Parteien haben sich dafür entschieden, ihr Kapitel zum Naturschutz sinngemäß mit dem Satz „Die Natur braucht den Menschen nicht, aber der Mensch braucht die Natur“ zu beginnen: Déi Gréng und Fokus. Das klingt nicht nur wie bei „Yogi-Tee“ abgeschrieben, sondern ist auch grundfalsch: Bestimmte geschützte Landschaften wie etwa Trockenrasen müssen durch den Menschen bewirtschaftet werden, um als solche erhalten zu bleiben. Würden in den ehemaligen Tagebaugebieten des Minettebeckens nicht jedes Jahr Schafe passieren, verschwänden die erhaltenswerten Orchideen und Schmetterlinge dort, weil die Landschaft sich zu einem Hochwald entwickeln würde.

Das neue Naturschutzgesetz von 2018, das bereits mehrmals angepasst wurde, wollen viele Parteien überarbeiten. Wenig erstaunlich kommt dieser Vorschlag von der CSV, die mit einem neuen Gesetzestext und Reglements für „mehr Transparenz und weniger Willkür“ sorgen will. Sie kritisiert Umweltschutzrichtlinien auch in ihrem Kapitel über den Wohnbau (siehe Kasten) und will Umweltschutz nur noch in der Grünzone. Auch die DP gibt vor, Umweltschutzgesetze würden den Wohnungsbau behindern und will die Gesetzestexte prüfen, um einen „ambitionierten, aber verhältnismäßigen Umweltschutz“ zu gewährleisten. Das liest sich auch bei Fokus so, wenngleich diese sich mehr auf Genehmigungen und Skandale beziehen. Die ADR will ebenfalls „nachbessern“ und damit verhindern, dass die Umweltverwaltung „die Bürger schikaniert“. Sie will die Genehmigungspflicht für Änderungen und Renovierungen bei historischen Gebäuden in der Grünzone komplett abschaffen – die Eigentumsrechte sind ihr wichtiger als der Naturschutz. Die LSAP will Umweltschutz mit Philosophie verbinden und nicht nur den Begriff „Grünzone“ neu definieren, sondern auch klären, was eine Konstruktion und ein Zaun ist. Interessanterweise betonen auch Déi Gréng, „administrative Hürden im Umweltbereich abbauen“ zu wollen. Das soll vor allem durch Digitalisierung passieren. Déi Lénk hingegen wollen das „illusorische“ Kompensationssystem völlig überarbeiten und strenger gestalten.

Zu den Punkten Artenschutz und Biodiversität fehlen in den meisten Wahlprogrammen Maßnahmen, die über reine Absichtserklärungen hinausgehen. Déi Gréng haben eine lange Liste mit Ideen, die sie umsetzen wollen, damit „Umweltschutz als Priorität für den ganzen Staat“ gilt. Darunter fallen zum Beispiel mehr Finanzmittel und Personal für die Umweltverwaltung, Bekämpfung von Umweltkriminalität und einfachere Umsiedlung von geschützten Arten. Wie einfach Letzteres umzusetzen ist, ist jedoch fraglich. Überhaupt müssen sowohl die Partei als auch ihre Wähler*innen sich fragen, warum Déi Gréng das alles in den letzten zehn Jahren nicht umsetzen konnten.

Naturschutz auf Zeit

Auch bei LSAP und Déi Lénk lassen sich weitere Umweltschutzmaßnahmen herauslesen: Die Sozialdemo-
krat*innen wollen Flussläufe schneller renaturieren, die Linke will die Natura2000-Zonen in Luxemburg vergrößern. Die Piratepartei fordert „weniger Beton, mehr heimische Natur“ und will so vor allem für mehr Grün innerhalb von Dörfern und Städten kämpfen. Wenig zum Naturschutz liest man bei KPL und Volt. Die proeuropäische Partei will europäische Natur2000-Naturschutzgebiete vernetzen, was zu einer Vergrößerung führen würde, die KPL will Bäche und Flüsse renaturieren und regelmäßige Umweltberichte zur Qualität von Luft, Boden und Gewässer. Beachtenswert sind mehrere systemische Aussagen von Déi Lénk, von denen die Priorisierung von Umweltschutz vor wirtschaftlichen Ressourcen exemplarisch ist.

Sowohl in den Programmen von DP und CSV, aber auch bei Déi Gréng findet sich ein Hinweis auf das Konzept „Natur auf Zeit“. Damit sind innerörtliche Brachflächen gemeint, die verwildert werden lassen, nach einiger Zeit jedoch wieder genutzt werden – zum Beispiel zum Hausbau, wenn die Grundstückspreise den Besitzer*innen hoch genug sind. Während CSV und DP explizit betonen, dass sie von einer Kompensationspflicht absehen würden, wenn sich diese Flächen im Bauperimeter befinden, nennen Déi Gréng dies „dynamische Ansätze des Naturschutzes“ und machen keine Angaben zu möglichen Kompensierungsmaßnahmen.

Was Maßnahmen zum Schutz der Wälder angeht, so sind sich die Parteien im Großen und Ganzen einig: auf natürliche Regeneration setzen, Monokulturen verhindern, die Jagd zum Schutz der Wälder begleiten. LSAP und Piratepartei wollen sich zusätzlich dafür einsetzen, dass nicht zu viele Waldwege entstehen. So gut wie alle Parteien betonen, sich für die nationale oder regionale Holzwirtschaft einsetzen zu wollen. Volt hingegen fordert mehr Agroforstwirtschaft und „urbane Forstwirtschaft“ – damit sind vermutlich Mikrowälder nach dem Vorbild des japanischen Ökologen Akira Miyawaki gemeint. Déi Gréng wollen sogar die „Urwälder der Zukunft schaffen“: Darunter versteht die Partei, Wälder der Natur zu überlassen, damit diese sich „unberührt“ entwickeln können – gemeint ist selbstverständlich lediglich, dass diese Wälder nicht bewirtschaftet werden; unberührte Wildnis zu schaffen, ist unmöglich.

CC BY-SA 3.0 Czech Academy of Science (Pavlína Jáchimová)

Die Piratepartei, die sich gerne mit Tierschutzthemen brüstet, ist allerdings eher skeptisch, was die Jagd angeht, und fordert eine Reform des Jagdgesetzes „im Sinne des Tierschutzes“ und größere Jagdlose. Außerdem gibt sich die Partei skeptisch, dass die Wildschweinpopulation in Luxemburg zu groß sei, und fordert „stressfreie Fallen“ und Sterilisierungen als Alternative zur Jagd. Besonders die beiden letzten Forderungen sind in der Praxis vermutlich nur schwer umsetzbar. Insgesamt gilt die Wildschweinpopulation als schwer zu begrenzen, da jedes Jahr über 67 Prozent der Exemplare geschossen werden müssten, um den Bestand stabil zu halten, wie die damalige Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) im Januar 2021 auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärte.

Im Bereich der Abfallwirtschaft ist in manchen Wahlprogrammen Erstaunliches zu lesen: Die ADR, die Déi Gréng als ihr größtes Feindbild auserkoren hat, will sich für Repaircafés und die „grüne“ Idee der Umbenennung von Recyclingzentren zu Ressourcenzentren stark machen. Überhaupt sind so ziemlich alle Parteien, die die Abfallwirtschaft erwähnen, sehr von der Kreislaufwirtschaft angetan. Déi Gréng haben in diesem Bereich sehr viele Punkte, während DP und LSAP eher allgemeine Maßnahmen nennen. Besonderheiten sind die „Online-Abfallberatung“ der DP und die Bekämpfung der geplanten Obsoleszenz bei Déi Lénk. Die Piratepartei sticht dadurch hervor, dass sie sich beinahe ganz auf den Slogan „Abfall gehört in die Mülltonne, nicht in die Natur“ beschränkt und mehr Aufklärungskampagnen gegen Littering fordert.

Abfall und Abwasser

Lange Zeit musste Luxemburg EU-Strafen zahlen, weil im Land nicht genügend Kläranlagen vorhanden waren. Obwohl dieser Missstand mittlerweile beseitigt ist, ist die Qualität der Gewässer in Luxemburg immer noch nicht sehr hoch. Was auch daran liegt, dass viele Kläranlagen nur über eine mechanische Stufe verfügen oder nicht auf dem neusten Stand der Technik sind. In der letzten Legislaturperiode hat sich der Gewässerschutz vor allem auf den Schutz von Trinkwasserreserven konzentriert, während die notwendigen Maßnahmen zur Renaturierung von Flüssen und Bächen eher schleppend vorankamen. Kein Wunder also, dass die meisten Parteien sich für den Bau von mehr und leistungsstärkeren Kläranlagen einsetzen wollen, wobei die CSV auf ihre historische Position zu dem Thema setzt und es einfach ignoriert. LSAP, DP, Déi Gréng und Piratepartei betonen, dass die neuen Kläranlagen auch Mikroplastik, Medikamentenrückstände und andere Verschmutzungen herausfiltern müssten. Während Déi Lénk nicht über Kläranlagen spricht, will die Partei den Eintrag von Pestiziden, Plastik und Kunstdünger ins Wasser durch Verbote verringern.

Die DP will hingegen dafür sorgen, dass „landesweit alle Wasserläufe im Rahmen des Machbaren renaturiert werden“, und Wehre zurückbauen. Auch bei diesem Thema scheint große Einigkeit zu herrschen. Sogar die ADR kann sich mittlerweile fast mit dem Gedanken anfreunden: Warnte sie vor zehn Jahren in ihrem Wahlprogramm noch vor „Naturfetischismus […] wie er z.B. bei der Verwandlung von Flusstälern in Sumpflandschaften zum Vorschein kommt“, so ist sie heute für Renaturierung dort, wo sie Sinn ergibt. Hochwasserschutz will die rechte Partei jedoch lieber durch Rückhaltebecken und andere Eingriffe in die Natur realisiert sehen.

Gerade im Naturschutz sind die ideologischen Linien in den Wahlprogrammen deutlich sichtbar, auch wenn keine Partei sich gegen Umweltpolitik ausspricht. CSV, Fokus, ADR und zum Teil auch die DP sehen Naturschutz als eine lästige Pflicht, denn Natur dient vor allem als Kulisse für Wahlkampfspots. Besonders bei CSV und ADR ist häufig zu lesen, dass man „pragmatisch“ und „unideologisch“ an den Naturschutz herangehen würde: Was im Klartext ja heißt, dass nicht einmal der völlig unzureichende Status quo nach zehn Jahren grüner Regierungsbeteiligung aufrechterhalten würde. Man darf jedoch durchaus die Frage stellen, wie viele von diesen Aussagen reines Aufplustern und Bildung eines politischen Feindbildes sind, denn immerhin müsste sich auch eine theoretische CSV-ADR-Regierung an europäische Naturschutzrichtlinien halten.

Kein System Change

LSAP und DP sitzen als Koalitionspartnerinnen von Déi Gréng irgendwo zwischen den Stühlen: Sie schmücken sich zwar teilweise mit den Errungenschaften der Umweltministerinnen, sind in anderen Bereichen jedoch auch skeptisch. Wer auf eine LSAP gehofft hatte, die mit Spitzenkandidatin Paulette Lenert auf einmal auf Ökosozialismus setzt, wird enttäuscht werden. Eine Ökosozialistin ist Sam Tanson allerdings auch nicht. So gerne die rechten Parteien Déi Gréng auch als völlig abgedrehte Ökos zeichnen, die Vorschläge der Partei – detailliert beschrieben und gut ausgearbeitet – gehen nicht einmal besonders weit. Die Ansätze von Déi Lénk und KPL gehen eher in Richtung „System Change“, der auch immer wieder von Forscher*innen gefordert wird.

Luc und die Fledermäuse

Am 20. Juni verkündete CSV-Spitzenkandidat und ehemaliger Minister Luc Frieden auf Radio 100,7 „Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir wohnen oder wollen wir jede Fledermaus schützen?“ Der Autor dieses Artikels fragte im Anschluss auf das Interview auf Twitter nach, welche der in Luxemburg heimischen Fledermausarten Frieden für nicht schützenswert halte. Die Kolleg*innen von Reporter konfrontierten Elisabeth Margue mit der gleichen Frage: Die gab an, keine Fledermausarten zu kennen. Wir haben die CSV noch einmal schriftlich mit der Frage konfrontiert, erhielten bis Redaktionsschluss jedoch keine Antwort. Luxemburg hat sich mit EU-Verträgen verpflichtet, Fledermäuse zu schützen, so heißt es in einer 2019 erschienenen Broschüre der Naturverwaltung: „Alle 18 einheimischen Fledermausarten sind nach Anhang IV der Habitatschutzdirektive (93/42/CEE) streng zu schützen, für fünf Arten sind sogar gezielt Schutzgebiete auszuweisen.“ Wer so baut, dass auch Fledermäuse Unterkunft finden können, kann dafür staatliche Zuschüsse bekommen.


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