Ungarns EU-Ratspräsidentschaft: Krawall mit Ansage

Ungarns Präsident will den EU-Ratsvorsitz seines Landes zu Orbán-Festspielen machen. Luxemburgs Regierung möchte darin mehr als nur eine Statistenrolle, nämlich einen „Dialog“.

Verkauft sich als „Friedensstifter“: Ungarns Präsident Viktor Orbán (rechts) zu Besuch bei seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. (Bild: Wikimedia Commons CC BY 4.0 Kremlin.ru)

Er wird sich ins Fäustchen gelacht haben: Mit dem Besuch bei seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin hat der ungarische Präsident Viktor Orbán in der EU einmal mehr für (schlechte) Stimmung in der Bude gesorgt. Sein Trip war just in der ersten Juliwoche erfolgt, als sein Land gerade turnusmäßig für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen hatte. Die Visite ließ sich daher recht mühelos als erste offizielle Mission inszenieren, obwohl Orbán ganz auf eigene Karte als selbsternannter „Friedensstifter“ nach Moskau gefahren war. Die EU-Kommission und die Regierungschefs mehrerer Mitgliedsstaaten schäumten und forderten Konsequenzen ein.

Die sind diese Woche auch erfolgt: In einer Resolution, die hauptsächlich der „Notwendigkeit der anhaltenden Unterstützung der EU für die Ukraine“ gewidmet war, verurteilte das EU-Parlament Orbáns Besuch. Dieser stelle „einen eklatanten Verstoß gegen die Verträge und die gemeinsame Außenpolitik der EU, insbesondere den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“ dar, so das Parlament und forderte weitere Konsequenzen.

Solche hatte die am gestrigen Donnerstag wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits am vorangegangenen Montag angekündigt. Kommissionssprecher Eric Mamer ließ auf X (vormals Twitter) wissen, die Kommission werde bei den informellen Ratssitzungen, die Ungarn im Laufe der kommenden sechs Monate ausrichtet, nicht anwesend sein. Man werde sich durch hohe Beamte vertreten lassen. Auch der traditionelle „Antrittsbesuch“ des Kollegiums aller 27 EU-Kommissar*innen in Budapest finde nicht statt. Bereits zuvor hatten mehrere Länder, darunter Polen sowie die nordischen und die baltischen Mitgliedsstaaten angekündigt, allen informellen Treffen in der ungarischen Hauptstadt fernzubleiben.

Dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell blieb es vorbehalten, den Anlass zu liefern, der deutlich machte, dass man innerhalb der EU im Umgang mit Orbán gleichwohl gespalten ist. Er nämlich hatte sich überlegt, ein bereits geplantes informelles Treffen der EU-Außenminister Ende August in Budapest zu sabotieren, indem er diese zur selben Zeit zu einem formellen Treffen nach Brüssel bestellt. Das jedoch gefiel nicht allen gut. Unter anderem Deutschland, Italien und die Niederlande hatten Vorbehalte. Als Borrell am Dienstag daher zurückzurudern begann, gaben einige der Kritiker*innen zu verstehen, eine Kehrtwende mache den Schaden nur umso größer.

Bettel allein in Budapest?

Anders Außenminister Xavier Bettel (DP). Auf „Radio 100,7“ ließ er trotzig wissen, er mache sich in jedem Fall auf den Weg nach Budapest: „Wenn ich allein bin, dann werde ich zwar kein Treffen haben. Aber ich finde die Vermeidung des Dialogs das Schlechteste“. Orbán könne sein Treffen schließlich auch verschieben. „Überlegen wir uns dann also über sechs Monate hinweg Ausreden, um nicht nach Budapest fahren zu müssen?“ Premierminister Luc Frieden äußerte sich gegenüber dem selben Sender ganz ähnlich: „Ich halte von Boykotten generell ganz wenig.“ Man müsse miteinander reden, einander seine Meinung sagen. An derlei Rhetorik wird sich Viktor Orbán gerne schadlos halten; schließlich hat auch er ein solches Vokabular benutzt, um seinen Besuch bei Putin zu legitimieren.

Gleichwohl bleibt fraglich, weshalb sich die EU-Kommission, allen voran Borell und von der Leyen, von Orbán derart unvorbereitet in ein solches Kommunikationsdesaster führen ließ. Mit seiner gezielten Provokation gleich zu Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft ist es ihm gelungen, von der Leyen auf eine Weise aus der Reserve zu locken, die sie als aktivistisch oder gar von ihrer angestrebten Wiederwahl motiviert erscheinen lässt. „Beruhen jetzt alle Entscheidungen der Kommission auf politischen Erwägungen?“, feixte János Bóka, der ungarische Minister für europäische Angelegenheiten, auf X.

Dabei wurde der Umgang mit der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft schon vor einem Jahr heiß diskutiert (siehe „Orbán als Gesicht Europas“ in woxx 1739) und war dem EU-Parlament bereits damals eine Resolution wert. Es sei von „bewussten und systematischen Bemühungen“ der ungarischen Regierung auszugehen, die Grundwerte der Europäischen Union zu untergraben. Es kann ein langes halbes Jahr werden, während dem Ungarn den Vorsitz innehat. Orbán wird es zu nutzen wissen.


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