Ungleichheiten im Schulsystem: Ablenkung und Totschlagargumente

Die Schüler*innenpopulation wird zunehmend heterogener, die Ungleichheiten wachsen. Wer nicht klarkommt, muss sich eigenverantwortlich nach Alternativen umsehen.

„Ich hatte beim Zuhören viele Déjà-vus. Die Probleme, die heute hier diskutiert wurden, bestehen zum Teil bereits seit 15, 20 Jahren.“ Diese Aussage äußerte Land-Journalistin Ines Kurschat am Mittwoch im Rahmen einer Asti-Konferenz über das Luxemburger Bildungssystem. Damit brachte sie zum Ausdruck, was wohl noch viele weitere beim Zuhören gedacht hatten.

Als Einstieg hatte Antoine Fischbach, Direktor des Luxembourg Centre for Educational Testing (Lucet), einen Überblick über den Forschungsstand zu den systematischen Ungleichheiten des hiesigen Bildungssystems gegeben. Rund zwei Drittel der Schüler*innen sprechen zuhause kein Luxemburgisch. Der Migrationshintergrund allein ist jedoch noch kein Indikator für Lernschwierigkeiten: Wie Fischbach erklärte, sind es aber häufig solche Familien, die über einen niedrigen sozio-ökonomischen Status verfügen. Gerade letzterer beeinflusst die Schullaufbahn maßgeblich. Der Graben zwischen Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund hat sich in den letzten Jahren konstant vertieft.

Auch die anderen von Fischbach aufgelisteten Erkenntnisse sind längst bekannt: So sei durch das Sitzenbleiben schwachen Schüler*innen nicht geholfen, stattdessen sei gezielte Unterstützung ratsamer. Auch das Modulaire-Général-Classique-System ist aus wissenschaftlicher Perspektive von zweifelhaftem Nutzen.

Es war dem Forscher wichtig zu betonen, dass es unfair sei, das Schulsystem als neoliberal zu kritisieren. Immerhin lebten wir in einer neoliberalen Gesellschaft, in der Schule würden lediglich die gleichen Ungleichheiten zutage treten, wie dies auch in allen anderen Lebensbereichen der Fall sei.

Dabei müsste die Schule doch der Ort sein, an dem gesellschaftliche Ungleichheiten angegangen werden und gesellschaftlicher Segregation entgegengewirkt wird. Der vom Bildungsministerium vorgeschlagene Lösungsweg besteht in einer radikalen Diversifizierung des Lehrangebots. Im Rahmen der Konferenz stellte Gérard Zens, Direktor der Europaschule Differdingen und Esch-Alzette, das Konzept dieser Institution vor. So können die Schüler*innen je nach Kompetenzen und Bedürfnissen den Schwerpunkt auf unterschiedliche Sprachen setzen: Deutsch als Erst-, Französisch als Zweitsprache; Englisch als Erst-, Deutsch als Zweitsprache – alle Schüler*innen finden ein Modell vor, das sie dort abholt, wo sie stehen.

Quer durchs Land verstreute, alternative Modelle können nur eine kurzfristige Übergangslösung sein.

Ironischerweise ist genau dies das Motto des Bildungsministeriums, nach einem entsprechenden Ansatz sucht man in der Regelschule allerdings nach wie vor vergebens. Alphabetisiert wird nur auf Deutsch, im Enseignement classique hat Französisch einen privilegierten Stellenwert gegenüber allen anderen Sprachen, im Enseignement général dagegen Deutsch – und dies ohne Ausnahme. Gerade solchen Schüler*innen, die mit diesem regulären System nicht zurechtkommen, soll mit Konzepten wie der Europaschule entgegengekommen werden. Die Verantwortung, sich über solche Angebote zu informieren und sie in Anspruch zu nehmen, obliegt jedoch nach wie vor den Schüler*innen und ihren Eltern – ein Aufwand, den sich viele schlicht nicht leisten können.

Davon abgesehen ist das reguläre Bildungsangebot nicht im Geringsten an die Heterogenität der Schüler*innenpopulation angepasst und bedarf einer dringenden Überarbeitung. Im Rahmen der Konferenz wies Meisch diesen Vorwurf jedoch mit dem Verweis auf Angebote wie der Europaschule von sich. Nach dem Motto: Wem’s in der Regelschule nicht passt, soll halt wechseln. Dadurch wird das strukturelle Problem allerdings nicht gelöst. Quer durchs Land verstreute, alternative Modelle können eine kurzfristige Übergangslösung sein, langfristig ist eine umfassende Reform jedoch mehr als notwendig. Nur so lässt sich vermeiden, dass wir in zehn Jahren nicht erneut einer solchen Konferenz beiwohnen, und ähnliche Déjà-vus erleben.


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