Wird die EU sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen? Pünktlich zum EU-Dezembergipfel hat die Kommission Vorschläge zur Reform der Eurozone vorgelegt. Eine kritische Bewertung.
UPDATE: Der Beitrag zum „Euro-Zoning“ ist jetzt auch online.
Jean-Claude Juncker habe sich in Sachen Eurozone die Strafe-muss-sein-Haltung der CDU-CSU-Hardliner zu eigen gemacht, schrieb Jean Quatremer am 4. Dezember in „Libération“. Zwei Tage bevor die EU-Kommission ihre Vorschläge für eine Reform der Eurozone vorstellte, befand der bekannte französische EU-Korrespondent, die Vorschläge könnten genausogut von der „Pickelhaube der deutschen Wirtschaft“, Wolfgang Schäuble, stammen.
Ist es wirklich so schlimm? Wird der Euro-Gipfel am 15. Dezember über eine Reform beraten, die ganz Europa unter das Joch deutscher Austeritätspolitik zwingt? Das mag eine der möglichen Interpretationen der Vorschläge sein – Quatremer hält jedenfalls an seiner vernichtenden Kritik fest. Eine völlig entgegengesetzte Analyse liefert die CSU, die vor der Gefahr einer „Transferunion“ warnt, bei der die Schuldenlast einiger Länder auf alle umgewälzt würde.
In der Tat: Die Kommission hat den nach deutschen Wünschen erstellten Fiskalpakt nicht einfach übernommen oder verschärft. Sie hat sich aber auch nicht dazu bereit gefunden, die weitreichenden Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu übernehmen. Aus linker Sicht sind die Reformpläne der Kommission daher teils als positiv, teils als negativ zu bewerten. (Einen inhaltlichen Überblick bietet zum Beispiel der Beitrag der Online-Zeitung EUobserver.)
Politisierung der EU-Finanzen
Dass aus dem Europäischen Stabilitätsfonds ein Europäischer Währungsfonds werden soll, geht in die richtige Richtung – auch wenn das Vorbild, der Internationale Währungsfonds, traditionell nicht für fortschrittliche Politik steht. Eine Politisierung der Geld- und Schuldenpolitik ist besser, als diese vermeintlich neutralen Instanzen wie der Europäischen Zentralbank zu überlassen. Auch die Aufstockung des Budgets für Strukturreformen stärkt die finanzielle Handlungsfähigkeit der EU. Und schließlich trägt der neu zu schaffende Posten einer europäischen Finanzministerin oder eines Finanzministers innerhalb der EU-Kommission zur Politisierung bei, selbst wenn sie oder er keine umfassende Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben kann.
Alle diese Maßnahmen tendieren dazu, die Finanzpolitik aus den Händen der zwischenstaatlichen Verhandlungsgremien zu nehmen, die insbesondere während der Eurokrise weitgehend versagt haben. Dass die Kommission dabei ihre eigene Macht stärkt, dürfte kaum verwundern – sie versichert immerhin, auch die des Parlaments werde gestärkt. Rechte deutsche Politiker*innen kritisieren diese Entwicklung als „Zentralismus“ – weil sie das Vetorecht Berlins in Frage stellt.
Macrons Vorschläge schon beim Altpapier?
Interessanterweise beziehen sich die meisten Kommissionsvorschläge nicht nur auf die Eurozone, sondern auf sämtliche Mitgliedstaaten. Hier hat sich Jean-Claude Juncker mit seiner Idee der Ausdehnung der Eurozone auf alle durchgesetzt. Und das gegen die Szenarien eines Europas der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die sowohl von Macron als auch von Angela Merkel favorisiert werden – eine Thematik, der wir einen eigenen Beitrag widmen werden.
Die größte Enttäuschung bei den Reformplänen der Kommission war, dass Macrons Idee eines eigenständigen europäischen Budgets nicht aufgegriffen wurde. Ob ein solches Budget politisch durchsetzbar ist, sei dahingestellt, doch vermutlich ist es für ein Überleben des europäischen Projekts unabdingbar. Eine Meinung, die der von der Fondation Idea eingeladene französische Wirtschaftswissenschaftler Michel Aglietta im April in Luxemburg sehr überzeugend vertreten hatte (Video-Auszüge, Artikel im Journal).
Verständlich, dass Kommentatoren wie Jean Quatremer aus den Kommissionsvorschlägen ein Eins zu Null für Berlin herauslesen. Denn im Gegenzug hat sich das Juncker-Team tatsächlich dafür ausgesprochen, den Fiskalpakt in die europäischen Verträge aufzunehmen – eine juristisch wie symbolisch desaströse Maßnahme. Eine Reform des Euro, die die Mechanismen stärkt, die zur Verschlimmerung statt zur Überwindung der Krise geführt haben, wird immer mehr Linke davon überzeugen, dass die gemeinsame Währung abgeschafft werden muss.