Die Diskussion über die Reform der Eurozone hat auch Vorschläge wie den eines Kerneuropa wiederbelebt. Was damit gemeint ist, darüber gehen die Ansichten weit auseinander.
Begriffe wie Kerneuropa oder Europa der mehreren Geschwindigkeiten sind nicht neu. Anfang des Jahres hatte sie Jean-Claude Juncker bei seinen Vorschlägen zur Wiederbelebung der EU aufgegriffen. Wobei er dem Szenario eines Europa der konzentrischen Kreise das Szenario eines föderalen Europa gegenüberstellte. Wohl um das von ihm favorisierte Szenario eines Europa der punktuellen Fortschritte als Kompromiss erscheinen zu lassen.
Hartes Kerneuropa oder solidarische und Sozialunion
Dass der Kommissionspräsident Schritte vermeiden möchte, die in Richtung eines Zwei-Klassen-Europa gehen, ist verständlich. Während der Griechenlandkrise wurde klar, dass für einen Teil der liberalen und konservativen Kräfte, vor allem in Deutschland, das Modell Kerneuropa bedeutet, dass sich die finanzpolitschen Tugendbolde endlich vom sogenannten „Club Méd“ lossagen. Abgesehen von den währungspolitisch und wirtschaftlich negativen Folgen eines solchen Bruchs steht er auch Luxemburgs politischen Interessen entgegen. Ein stark integriertes Kerneuropa, in dem Deutschland allein, oder gemeinsam mit Frankreich, das Sagen hätte, würde die Handlungsfreiheit der kleinen Länder stark einschränken.
Seit Mitte des Jahres liegt durch die Initiativen des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine zweite, „pro-europäische“ Version des Europa der zwei Geschwindigkeiten auf dem Verhandlungstisch. In erster Linie plädierte Paris für eine Stärkung der Eurozone mittels eines Budgets und einer gemeinsamen, antizyklischen Finanzpolitik. Beide Vorschläge blieben bei den jetzt vogelegten Reformplänen für die Eurozone, denen wir einen eigenen Beitrag gewidmet haben, unbeachtet.
Über diesen in Südeuropa populären finanzpolitischen Ansatz hinaus hat Macrons Kampf gegen das sogenannte Lohndumping zum Konflikt mit den osteuropäischen Mitgliedstaaten geführt. Man sieht: Kerneuropa kann eher im Südwesten oder eher im Nordosten liegen, je nachdem ob man es von Paris oder von Berlin aus betrachtet.
Die exklusiven und vereinigten Staaten von Europa
Aus Berlin kam dann aber vor einer Woche noch ein weiterer Vorschlag: das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa, das der SPD-Vorsitzende Martin Schulz auf einem Parteitag vorstellte. Erklärtermaßen ist Schulz dazu bereit, die Länder, die eine stärkere Integration ablehnen, von dieser Vereinigung auszuschließen.
Die Idee an sich wird Juncker, der seinerzeit schon für eine EU-Armee plädiert hatte, nicht unsympathisch sein. Die Vorgehensweise, dabei einen Teil der Länder auf der Strecke zu lassen, dürfte ihm dagegen missfallen. Schließlich hatte er sich schon von Macrons Vorschlägen distanziert und gefordert, mittelfristig in allen Ländern den Euro einzuführen.
Nüchtern betrachtet erscheint es allerdings seit der Ankündigung des Brexit schwierig, ein Kerneuropa innerhalb der Gesamt-EU zu definieren. Wie Juncker richtig bemerkte, machen die Länder, die noch nicht Mitglieder der Eurozone sind, nurmehr 15 Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts aus. Und in die „Ständige strukturierte Zusammenarbeit“ (Pesco) in militärischen Fragen – die lange Zeit als nicht machbar galt – sind mittlerweile 25 der 27 Staaten der Post-Brexit-EU eingebunden.
Mit anderen Worten, es geht derzeit weniger um die Aufteilung der EU in Zonen, als um die politische Ausrichtung des Projekts: Monetaristische oder keynesianische Budgetpolitik, Liberalisierung oder soziales und föderales Europa, usw. Eine Diskussion, die spannend werden könnte.