Durch die Entscheidungen auf dem Nato-Gipfel in Den Haag eskaliert ein globales Wettrüsten, das die Ausgaben in diplomatische Entwicklungshilfe und Klimaschutz unmittelbar bedroht und riskiert, weitere Konflikte zu schaffen.

Kennt man die Folgen für Klima und Entwicklungshilfe, bedeutet das neue Nato-Ziel eine schier unverantwortliche Erhöhung. (Copyright: Transnational Institute)
Einem Präsidenten mit einem Hang für Autoritarismus die Stirn zu bieten ist wohl zu viel gefragt. Erntete Donald Trumps Forderung, vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ins Militär zu investieren, 2018 noch Gegenwind, war sein Wunsch auf dem diesjährigen Natogipfel Befehl. Denn seit der russischen Invasion der Ukraine und Trumps unklaren Andeutungen gilt: Um ja nicht die Unterstützung der USA verlieren, muss Europa in die eigene Rüstung investieren. So schmeichelte Nato-Generalsekretär Mark Rutte dem Präsidenten sowohl privat als auch öffentlich und die Mehrheit der Mitgliedstaaten (einigen Ausnahmen wie Spanien abgesehen) stimmten brav der Erhöhung zu und schafften damit das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Nato (siehe News in dieser Nummer).
Nun sollen europäische Nato-Mitgliedstaaten in zehn Jahren eine – jährliche – titanische Ausgabe von fünf Prozent des PIB, also 900 Milliarden Euro, erreichen. Für Luxemburg sind das bei der aktuellen Wirtschaftskraft ganze 3,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Letztes Jahr gab Luxemburg rund 728 Millionen Euro für den Militäretat aus. Das Ganze übersetzt sich in lukrative Umsätze für hauptsächlich US-amerikanische Rüstungsunternehmen. Deren Lobby hat es im April dieses Jahres sogar geschafft, Investitionen in Waffen und Panzer als „nachhaltig“ einstufen zu lassen, wie das Magazin Jacobin berichtete.
Auf wessen Kosten das neue willkürlich gesetzte Nato-Ziel der Mitgliedstaaten gehen wird, ist bekannt, auch wenn Finanzminister Roth Gilles (CSV) eine diesbezügliche Frage von Marc Goergen (Piraten) nicht beantwortete. Die Staatsbudgets sollen zu Lasten des Sozialstaates (woxx 1828), aber auch der Entwicklungshilfe und des Klimaschutzes umgeschichtet werden. Einer Studie des „Transnational Institute“ (TNI) zufolge geben Länder wegen steigender Militärausgaben zunehmend weniger für Entwicklungshilfe aus. So stiegen zwischen 2023 und 2024 die europäischen Militärinvestitionen durchschnittlich um 14,8 Prozent, die Entwicklungshilfebudgets wurden jedoch um 7,3 Prozent gekürzt. Das ist nicht nur in Deutschland und Großbritannien der Fall, sondern lässt sich auch in Luxemburg feststellen: 2024 machte der Etat der „Direction de la défense“ 38 Prozent des Außenministeriumbudgets aus und übertraf zum ersten Mal seit 2018 die Ausgaben für Entwicklungshilfe. Vor sieben Jahren machten die Hilfsgelder noch 2,17 Prozent des Staatsbudgets aus, 2025 sind es lediglich 1,57 Prozent. Weil viele Nato-Mitgliedstaaten die Klimafinanzierung in den Entwicklungsbudgets mitzählen, ist auch der Klimaschutz davon betroffen. Dieser wird ohnehin nicht priorisiert: In den letzten zehn Jahren haben Nato-Mitglieder das 52-fache von dem, was für den Klimaschutz ausgegeben wurde, ins Militär investiert, so das TNI.
Während wir auf eine Erderwärmung von über zwei Grad zusteuern, priorisieren Regierungen lieber den Kauf von Waffen und befeuern damit sowohl Klimakrise als auch weitere Konflikte.
Dabei ist gerade auch die Klimakrise, für die die reichen Nato-Länder am meisten mitverantwortlich sind, eine der größten Sicherheitsherausforderungen dieses Jahrhunderts. Stärkere Aufrüstung bewirkt jedoch genau das Gegenteil von Klimaschutz. Das zusätzliche Geld, das dafür ausgegeben werden soll, könnte den Klimafinanzierungsbedarf aller Entwicklungsländer mindestens fünf Jahre lang decken oder das weltweite Stromnetz bis 2030 auf Netto-Null-Emissionen bringen, so das TNI. Statt die imperialistischen Drohungen Russlands unkritisch als Vorwand zu nehmen, müssten die Folgen eines größeren Militäretats analysiert und diskutiert werden. Steigende Ausgaben für Kriegsmaschinen, die mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden, bedeuten auch steigende Emissionen (woxx 1799), was wiederum Instabilität und Konflikte, etwa um Ressourcen, verursachen kann.
Das Erreichen des 5-Prozent-Ziels würde zusätzliche 2.760 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen, mehr als das zehnfache des aktuellen CO2-Fußabdrucks der Nato. Von dem Ziel, die Erd- erwärmung unter 1,5-Grad zu halten, zu dem sich alle Nato-Mitgliedstaaten bekannt haben, können wir uns dann endgültig verabschieden. Auch das EU-Ziel, in den nächsten Jahren 55 Prozent der Treibhausgasemissionen zu reduzieren, macht das neue Nato-Ziel laut dem TNI zunichte. Während wir auf eine Erderwärmung von über zwei Grad zusteuern, priorisieren Regierungen lieber den Kauf von Waffen und befeuern damit sowohl Klimakrise als auch weitere Konflikte. Die Bevölkerung wird sich aber bestimmt sicherer fühlen, wenn statt erschwinglichem Wohnraum, verbessertem Sozialstaat und Bildungs-, Gesundheits- und Kulturzugang, die Felder ausdörren, Flüsse ganze Dörfer überschwemmen, dafür jedoch ein zweiter Militärsatellit im Weltall dreht.
Dabei müssten existierende Streitkräfte bewertet und Investitionen besser getätigt werden, um aktuellen Sicherheitsproblemen, wie die vom Europäischen Rechnungshof bemängelte mangelnde Planung für eine schnelle Verlegung von Militärpersonal und -material durch EU-Staaten, entgegenzuwirken. Mit ihrem Versprechen legen die Nato-Mitgliedstaaten die Latte für andere Länder nur noch höher. Das infolgedessen zunehmende globale Wettrüsten riskiert schlichtweg, die globale „Unsicherheit“ umgehend weiterhin zu verstärken – auf Kosten des Sozialstaates und einer Welt, die nun wohl jegliche lebenssicheren Grenzen überschreiten wird.