Bidens Mittelamerika-Politik: Panik unter den Eliten

Jahrelang hatten die korrupten Machtzirkel Zentralamerikas aus Washington kaum etwas zu befürchten. Mit der Regierung von Joe Biden könnte sich das nun zu ändern. Geplant ist unter anderem eine Antikorruptionskommission für die gesamte Region. Auch migrationspolitisch werden neue Akzente gesetzt.

Zählt zu den treibenden Kräften bei der Schaffung einer zentralamerikanischen Antikorruptionskommission: 
die demokratische Abgeordnete Norma Torres (links) auf einer Pressekonferenz 2019 in Guatemala-Stadt. Rechts neben ihr im Bild ist Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten. (Foto: EPA-EFE/Esteban Biba)

Minderjährig, allein und nur ein Ziel, das sind die drei Charakteristika, die US-Grenzbeamte derzeit häufig nennen. Die Rede ist dann von minderjährigen Flüchtlingen, die versuchen, über die Grenze in die USA zu gelangen. Mehr als 4.500 von ihnen hat die Grenzschutzbehörde „U.S. Customs and Border Protection“ (CBP) laut dem Heimatschutzministerium Mitte März in ihrer Obhut gehabt. Das übersteige alle Kapazitäten, so der zuständige Minister Alejandro Mayorkas. Doch es sind nicht nur minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, die vermehrt kommen, sondern auch Erwachsene und ganze Familien. Die Wahl Joe Bidens ins Weiße Haus hat die Hoffnung geschürt, dass es einfacher werde, in die USA zu gelangen. Dazu beigetragen hat die Weisung Bidens, alle Asylsuchenden, die es an die US-Grenze schaffen, nicht mehr nach Mexiko zurückzuschicken, sondern sie in den USA unterzubringen – bis über ihre Anträge entschieden ist.

Der neue Ton in der US-Migrationspolitik schlägt sich auch in Gesetzesinitiativen nieder. So sollen die Dreamer, die als kleine Kinder mit ihren Eltern ohne Papiere in die USA eingereist sind, unter bestimmten Vorgaben einen legalen Status erhalten. Auch rund eine Million Landarbeiter*innen und ihren Familien soll ein solcher Aufenthaltsstatus ermöglicht werden. Vielen Republikanern geht das allerdings zu weit – sie warnen vor der Öffnung der Grenzen und fragen gar nicht erst, weshalb so viele Menschen aus dem „Triángulo Norte“, dem aus Guatemala, Honduras und El Salvador bestehenden nördlichen Dreieck“, ihre Heimatländer verlassen wollen oder müssen. Dabei ist genau diese Frage zentral.

Weshalb das so ist, kann etwa Víctor Fernández erklären, Menschenrechtsanwalt aus San Pedro Sula. Die im Norden von Honduras liegende Stadt ist die Drehscheibe der Auswanderung. Von hier aus starteten 2018 die Migrantenkarawanen. Auch 2021 hat es bereits eine solche gegeben. Sie wurde in Mexiko aufgehalten und von der Polizei brutal auseinandergetrieben. Doch der Auswanderungsdruck ist groß, wie Fernández tagaus, tagein vor Augen hat. „Hier kampieren Wohnungslose auf den Bürgersteigen, die durch die Hurrikane ‚Iota‘ und ‚Eta‘ alles verloren haben“, sagt der Jurist: „Sie sehen keine Perspektiven mehr für sich und das hat natürlich auch mit der Pandemie, der omnipräsenten Kriminalität, gepaart mit latenter Straflosigkeit zu tun.“

Der neue Ton in der US-Migrationspolitik schlägt sich auch in Gesetzesinitiativen nieder.

In Guatemala ist die Situation nicht viel anders. Vor allem der Norden des Landes ist potenzielles Auswanderungsgebiet. Auch dort sind die Schäden der beiden Hurrikane gravierend. Immer wieder gibt es zudem Schlagzeilen, wonach staatliche Nothilfe veruntreut wird. Der gesamte „Triángulo Norte“ ist durch solche Probleme bestimmt; auch deshalb schlägt die Administration von Joe Biden nun neue Töne bei der Korruptionsbekämpfung an.

Bereits im Dezember vergangenen Jahres war noch unter der alten Regierung ein Gesetz verabschiedet worden, das vorsieht, Personen, die sich korrupt und undemokratisch verhalten, auf eine Sanktionsliste zu setzen. Ihnen kann dann etwa die Einreise in die USA oder eine dortige Geschäftstätigkeit verwehrt werden.

Auch eine Antikorruptionskommission für die gesamte Region, wie sie von der US-Regierung geplant wird, könnte für Politiker*innen und Unternehmer*innen aus dem „Triángulo Norte“ unangenehme Folgen haben. Der Menschenrechtsanwalt Joaquín Mejía ist Mitarbeiter des jesuitischen Forschungszentrums ERIC in der honduranischen Stadt El Progreso und wurde von den US-Behörden angesprochen, um an tragfähigen Konzepten mitzuarbeiten. Bisher sei allerdings unklar, wie die Kommission konkret aussehen könnte und wie sie arbeiten soll, so Mejía. Zunächst werde die Arbeit von zwei vorausgegangenen Kommissionen zur Stärkung der Justiz – CICIG in Guatemala und MACCIH in Honduras – analysiert. Während die CICIG mehr als zehn Jahre unter dem Mandat der Vereinten Nationen erfolgreich gearbeitet hat, war die MACCIH unter dem Banner der Organisation Amerikanischer Staaten kaum mehr als drei Jahre aktiv.

„Relativ klar ist, dass es ein weitreichendes Mandat, wie die CICIG in Guatemala es hatte, nicht geben wird“, meint Joaquín Mejía. Die CICIG war so erfolgreich, weil sie direkt mit der Generalstaatsanwaltschaft zusammenarbeitete und mit Reformvorschlägen neue Strukturen schaffen half. Zudem ermittelte sie in alle Richtungen.

„Die CICIG hatte es gewagt, gegen Jimmy Morales und seine Familie vorzugehen“, sagt so die Menschenrechtsaktivistin Claudia Samayoa. Die Ermittlungen gegen den ehemaligen guatemaltekischen Staatspräsidenten wegen nicht deklarierter Gelder in seiner Wahlkampfkasse seien Ausdruck des Erfolgs, aber auch ein wesentlicher Grund für das Scheitern der CICIG gewesen. Morales entschied 2018 zunächst, das Mandat der CICIG nicht zu verlängern. Dann verwehrte er dem CICIG-Chef Iván Velásquez nach einer Auslandsreise die Rückkehr ins Land.

Gefehlt hatte aber auch der Rückhalt durch die US-Administration, die unter Donald Trump auf gute Beziehungen zu den Regierenden setzte. Dazu gehörte neben Jimmy Morales, der bis Januar 2020 im Amt war, auch der immer noch amtierende honduranische Präsident Juan Orlando Hernández, gegen den nun ebenfalls ermittelt wird. In Honduras sorgt das derzeit für Schlagzeilen, ebenso wie die Tatsache, dass Hernández‘ Bruder, Juan Antonio „Tony“ Hernández derzeit wegen Drogenvergehen in New York vor Gericht steht. Die US-Staatsanwaltschaft hat eine lebenslange Freiheitsstrafe für ihn gefordert. Der Präsident selbst wird durch Aussagen von Drogendealern wie Geovanny Fuentes Ramírez und Devis Leonel Rivera Maradiaga belastet. Demnach habe Hernández, in Honduras kurz JOH genannt, seinen Wahlkampf 2013 durch Drogengeld mitfinanziert, wofür die Polizei im Austausch beide Augen zudrücken sollte, anstatt gegen die Drogenkartelle vorzugehen.

Für den Menschenrechtsanwalt Mejía sind diese Anschuldigungen keine Überraschung: „Neu ist nur, das in einem Prozess in den USA die gleichen Vorwürfe erhoben werden, die hier gegen JOH schon lange kursieren“. Anders als früher, berichten nun allerdings auch große Medien über die Ermittlungen. „Es hat den Anschein, dass einige Redaktionen sich neu aufstellen, abrücken von der Regierungsperspektive, dem ‚Oficialismo‘“, sagt Mejía. Mit Blick auf die im Herbst anstehenden Wahlen sei das eine spannende Entwicklung.

Die Trump-Regierung hielt zu den genannten Politikern, statt nach den Ursachen der Migration und der chronischen Schwäche der Justiz zu fragen. Dass sich das nun unter Joe Biden zu ändern scheint, ist auch das Verdienst von Frauen wie der demokratischen Abgeordneten Norma Torres. Die in Guatemala geborene und in den USA aufgewachsene Politikerin beobachtet genau, was im „Triángulo Norte“ vor sich geht. Sie gehört zu den treibenden Kräften bei der Schaffung der Antikorruptionskommission.

Die Sorgenfalten von Alejandro Giammattei dürfte das vertiefen. Als guatemaltekischer Präsident und Amtsnachfolger von Morales setzen er und seine Clique seit Monaten alles daran, um die Besetzung der fünf Stellen am Verfassungsgericht im eigenen Sinne zu beeinflussen. Das intrasparente Prozedere bei der Neu-
nominierung der Richter sorgt schon seit Wochen für negative Schlagzeilen. Das Gericht gilt bislang als Bastion gegen den „Pakt der Korrupten“, der sich unter Ex-Präsident Jimmy Morales etabliert hat und nun unter Giammattei weitergeführt wird.

Mit der Biden-Regierung könnte die systematische Ausplünderung des Staates in Honduras und Guatemala durch die regierenden Eliten nun erschwert werden. Doch ausgeprägt ist diese Hoffnung nicht. „In Honduras war keine der letzten drei Wahlen sauber, doch die USA haben Wahlmanipulation geduldet, weil es für sie auf ökonomischer Ebene lukrative Projekte gab“, kritisiert der Menschenrechtsanwalt Mejía.

Bei den Parlamentswahlen in El Salvador Ende Februar gab es solche Vorwürfe nicht. Der amtierende Präsident Nayib Bukele konnte mit seiner Partei „Nuevas Ideas“ eine komfortable Mehrheit einfahren. Gegenüber Donald Trump habe sich Bukele als der „nette Junge aus Tegucigalpa“ präsentiert und als verlässlicher Kooperationspartner angeboten, meint Mejía. Seit Bukeles Angriffen auf verschiedene Medien sowie seiner durch die Verfassung nicht gedeckten Alleingänge wird der 39-Jährige von Menschenrechtsorganisationen wie „Human Rights Watch“ jedoch inzwischen auch als Gefahr für das demokratische System eingestuft.

Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.

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