In den vergangenen Monaten stieß der Gesetzentwurf zur Einführung von Bodycams für Polizist*innen auf Kritik. Während die einen sich einen präziser formulierten Text wünschen, stellen andere die Datenlage, mit welcher der Einsatz solcher Kameras gerechtfertigt wird, grundsätzlich infrage.
Im Koalitionsabkommen war es vorgesehen, nun soll es Realität werden: Die Polizei wird mit Bodycams ausgestattet; seit August 2022 liegt der entsprechende Gesetzentwurf vor. Er soll legale Klarheit bezüglich gleich mehrerer Aspekte schaffen: Unter welchen Umständen können Bodycams aktiviert werden? Wer erhält Zugang zu den Aufnahmen? Wie lange dürfen sie aufbewahrt werden? Wie aus einigen der zehn bisher veröffentlichten Gutachten hervorgeht, liegen die Meinungen, ob diese Klarheit in erwünschtem Maße erreicht ist, weit auseinander.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kameras, die von den Polizeibeamt*innen stets sichtbar getragen werden müssen, ständig im Aufnahmemodus sind. Alle 30 Sekunden wird die Aufnahme – sowohl Ton als auch Bild – überspielt, es sei denn der*die Polizist*in drückt den Aufnahmeknopf. In diesem Fall wird das Gefilmte abgespeichert, bis der Aufnahmeknopf deaktiviert wird. Der Beginn einer Aufnahme ist an einem Piepton und einem Leuchtsignal erkennbar.
Anders als man hätte erwarten können, ist der primäre Grund für die Einführung von Bodycams nicht die Verhinderung von Polizeigewalt: Im Exposé des motifs des Gesetzentwurfs wird an erster Stelle auf das Potenzial verwiesen, das Risiko von Attacken auf Polizist*innen einzuschränken. Bodycams seien, so heißt es im Text, „un moyen de désescalade et d’apaisement de l’agressivité aussi bien verbale que physique. Le fait d’être filmé peut inciter les personnes à contenir leurs paroles et se calmer et peut donc prévenir les agressions contre les policiers“. Bodycams seien zudem ein Schutz vor ungerechtfertigten Strafanzeigen gegenüber Polizist*innen. Werde ein Vorwurf gegenüber Beamt*innen erhoben, könnten die so entstandenen Videoaufnahmen diesen einerseits dabei helfen, die Legalität ihrer Handlungen zu beweisen. Andererseits könnten die Aufnahmen von Bürger*innen herangezogen werden, um der Polizei Fehlverhalten nachzuweisen.
Auf diesen Hinweis folgt sogleich wieder ein Argument dafür, dass Bodycams der Polizei das Leben erleichtern: Im Netz kursierten mit dem Smartphone aufgenommene, zum Teil geschnittene Videos von Interaktionen zwischen Polizei und Bürger*innen. Bodycams würden helfen, ein „objektives“ Bild der Situation zu vermitteln. Eine etwas kindisch anmutende Bemerkung. Immerhin ist es nicht so, als würden die Videos der Polizei auf Social Media veröffentlicht: Was mithilfe einer Bodycam gefilmt wurde, unterliegt dem Datenschutz und darf nur unter klar geregelten Bedingungen von einer eingeschränkten Zahl Menschen gesichtet werden.
Im Exposé des motifs wird auf „positive Erfahrungen“ mit Bodycams in Belgien und Frankreich hingewiesen. Es wird dabei jedoch nur auf den positiven Effekt der Kameras für die Sicherheit der Polizei Bezug genommen, ob sie dazu beitragen konnten, Fälle von Polizeigewalt zu reduzieren, wird im Exposé des motifs nicht erwähnt.
Leichtere Kritik …
Die im Herbst veröffentlichten Gutachten fielen eher gemäßigt aus. Am zufriedensten zeigt sich der Gemeindeverband Syvicol. In seinem Gutachten paraphrasiert er eigentlich nur das Exposé des Motifs des Gesetzentwurfs. Eine eigene Einschätzung bringen die Verfasser*innen des Gutachtens am Ende dann doch noch ein: So sei die in den vergangenen Jahren angestiegene Kritik an Handlungen der Polizei „in den allermeisten Fällen ungerechtfertigt“. Zudem, so ihre Einschätzung, müssten auch Gemeinden in manchen Fällen Zugang zu Bodycam-Videos erhalten.
In allen anderen Gutachten werden jedoch immer mindestens ein paar Bedenken geäußert. Laut vorliegendem Gesetzentwurf darf eine Bodycam nur dann eingeschaltet werden, wenn die Polizei feststellt „que se produit ou est susceptible de se produire un incident, eu égard aux circonstances de l’intervention ou au comportement des personnes concernées“. In den Gutachten wird immer wieder die Kritik geäußert, dass der Begriff „incident“ zu schwammig sei. Der Staatsrat moniert, aus dem Text gehe zudem nicht hervor, wem die Aufgabe zukomme, zu überprüfen, ob diese Bedingung erfüllt worden sei. In diesem Zusammenhang wirft der Staatsrat die Frage auf, ob eine Bodycam-Aufnahme, die unter fraglichen Umständen entstanden ist, dennoch im Rahmen eines Strafverfahrens benutzt werden könne.
Eine weitere Frage, die mehrfach aufkommt: Wieso nicht im Gesetzentwurf festschreiben, bei welchen polizeilichen Missionen das Tragen einer Bodycam verpflichtend und bei welchen sie nur empfehlenswert ist? Moniert wird zudem die Dauer der im Gesetzentwurf vorgesehenen Datenspeicherung: Nur 28 Tage darf eine Bodycam-Aufnahme demgemäß aufbewahrt werden, es sei denn, sie gilt als Beweismittel im Rahmen einer Voruntersuchung oder eines Strafverfahrens. Sowohl die Cour supérieure de justice als auch der Parquet général geben zu bedenken, dass es durchaus länger als 28 Tage dauern kann, bis eine Voruntersuchung veranlasst wird.
Der mit Abstand schwerwiegendste Kritikpunkt – er wird in der Hälfte der Gutachten vorgebracht – ist, dass im aktuellen Text mit zweierlei Maß gemessen wird: Dem Ziel, Bürger*innen vor Polizeigewalt zu schützen, werde nicht annähernd so viel Rechnung getragen, wie demjenigen, Gewalt gegen Polizist*innen zu verhindern. „Seules deux phrases dans l’exposé des motifs indiquent que les bodycams seraient un outil « à charge et à décharge » et protégeraient les citoyens en cas de « comportements fautifs » des agents de police“, schreibt die konsultative Menschenrechtskommission (CCDH) hierzu. In diesem Kontext weist sie darauf hin, dass Bodycams ursprünglich mit dem Ziel, vor Polizeigewalt zu schützen, geschaffen wurden. „D’un point de vue des droits humains, il est donc interpellant de constater que ces dernières années il semble y avoir une tendance émergente à inverser ce principe.“
Gleich mehrere Gutachter*innen wollen wissen: Wieso wird die Entscheidung, ob die Bodycam aktiviert wird, einzig der Polizei überlassen? Sollten nicht auch Bürger*innen das Recht haben dürfen, eine solche Aufzeichnung zu veranlassen? In diesem Zusammenhang fragen sowohl das Bezirksgericht Luxemburg als auch die CCDH und die Datenschutzkommission (CNPD) nach der Strafe, die Polizist*innen auferlegt wird, die ihre Bodycam in einer Konfliktsituation nicht oder verspätet beziehungsweise zu Unrecht eingeschaltet haben. Die Frage ist vor allem deshalb kruzial, weil es laut Gesetzentwurf künftig auch möglich sein wird, an nicht-öffentlichen Orten, also etwa auch in Privatwohnungen, zu filmen.
… aber auch grundsätzliche
Scharfe Kritik wird zudem an dem Umstand geübt, dass es, laut Gesetzentwurf, Polizist*innen erlaubt ist, Interaktionen mit einem anderen Gerät als der Bodycam aufzunehmen. Wenn der Gesetzgeber Kritik an Handyaufnahmen dadurch rechtfertigt, dass diese manipuliert werden könnten, fragt sich, so das Bezirksgericht Luxemburg und die CNPD, wieso es der Polizei gestattet sein sollte, mit dem Smartphone zu filmen. Die CCDH fragt in diesem Zusammenhang: „quelles mesures seront concrètement prises pour éviter une manipulation ou un accès non-autorisé aux données, à la fois avant le transfert des données sur le support informatique qu’après celui-ci“.
Ein weiterer Kritikpunkt gilt dem Zugang zum Videomaterial: Gleich mehrere Gutachter*innen wollen wissen, weshalb dieser nur der Polizei, nicht aber den gefilmten Bürger*innen gewährt werde. Das Bezirksgericht Luxemburg schlägt vor, im Gesetzentwurf zu definieren, in welchen Fällen und zu welchen Bedingungen Bürger*innen Zugriff auf Bodycam-Aufnahmen erhalten dürfen.
Für das Bezirksgericht Luxemburg und die CNPD stellen sich noch zusätzliche Fragen: Wie und von wem werden die Videodaten von der Bodycam auf die Polizeiserver übertragen? Von dem*der Polizist*in, die*der die Aufnahme getätigt hat? Das wiederum verleitet das Gericht zur Einschätzung: „Cela signifie que là encore, il revient au policier de décider s’il juge utile ou non de connecter la caméra à l’outil numérique et de transférer l’enregistrement qu’il a réalisé.“
Laut Gesetzentwurf können Polizist*innen Bürger*innen, mit denen sie interagieren, darüber informieren, dass sie den Aufnahmeknopf ihrer Bodycam drücken. In bestimmten Ausnahmesituationen, so heißt es im Gesetzestext, sei dies jedoch nicht nötig. Auch diese Bestimmung wird in gleich mehreren Gutachten in Frage gestellt, weil unklar sei, um welche Ausnahmesituationen es sich konkret handele. Die Staatsanwaltschaft des Bezirksgerichts Diekirch sowie die CNPD schlagen vor, im Gesetzentwurf festzuhalten, dass die Bürger*innen zumindest am Ende der polizeilichen Intervention darüber informiert werden müssen, dass sie gerade gefilmt wurden.
Sowohl die Staatsanwaltschaft des Bezirksgerichts Luxemburg als auch der Staatsrat gehen in ihrer Kritik sogar noch einen Schritt weiter: Ihrer Meinung nach darf es nicht der Einschätzung der Polizist*innen unterliegen, ob sie die entsprechende Information weitergeben oder nicht. Der einzige Grund, der in ihren Augen zulässig ist, ist materieller Art – also wenn etwa ein gefilmtes Individuum die Flucht ergreift. Der Staatsrat hat den entsprechenden Abschnitt sogar mit einer Opposition formelle versehen.
Von allen Gutachten beinhaltet dasjenige der CCDH mit Abstand die weitreichendste Kritik. Im Gegensatz zu den anderen Gutachter*innen, stellt sie überhaupt einmal die Datenlage, auf welche die Verfasser*innen des Gesetzentwurfs sich beziehen, infrage. Wie oben bereits erwähnt, wird sich im Exposé des motifs auf „positive Erfahrungen“ im Ausland bezogen. Dieser Umstand wird herangezogen, um zu rechtfertigen, dass der Einführung von Bodycams keine Pilotphase vorausgegangen ist. Der CCDH zufolge bestehe in puncto Bodycams jedoch nicht nur kein wissenschaftlicher Konsens. Was in einem Land funktioniere, tue das nicht zwangsläufig in einem anderen. Die Kommission verweist auf eine Einschätzung der Ligue des droits humains, dass unklar sei, ob durch den Einsatz von Bodycams die Gewaltbereitschaft der Bürger*innen gegenüber der Polizei gesenkt wurde oder ob die Kameras vielmehr die Polizei dazu veranlasst haben, professioneller vorzugehen, wodurch sie wiederum mit mehr Respekt behandelt wurde. Die CCDH stellt zudem die Vorstellung infrage, dass, wie im Gesetzentwurf formuliert, Bodycams eine „objektive Sicht des Tatbestands“ lieferten. So fange eine solche Kamera Dinge ein, die der*die filmende Polizist*in nicht sehe – und umgekehrt. Der CCDH zufolge wäre es wichtig zu untersuchen, ob die vom Gesetzentwurf angestrebten Ziele nicht auch mit weniger intrusiven Mitteln oder Vorgehensweisen erreicht werden könnten.