Der „European Green Deal“ und Afrika: Der Weltmarkt als Waffe

Die EU hat die afrikanischen Staaten mit ihrer Dekarbonisierungs-Strategie einmal mehr vor vollendete Tatsachen gestellt. Über die neueste Runde in einem Spiel, in dem der Verlierer vorab feststeht, solange dieser die Regeln nicht zu ändern vermag.

Wer wird profitieren? Unterzeichnung einer Absichtserklärung für Investitionen in die Produktion von „grünem Wasserstoff“ in Mauretanien durch den Präsidenten des Landes, Mohamed Ould Ghazouani, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, im Zuge des „Global Gateway Forum“ am 24 Oktober 2023 in Brüssel. (Foto: Dati Bendo/European Union/EC – Audiovisual Service)

Es gehe „nicht um Entwicklungshilfe nach den überholten Mustern von Gebern und Empfängern“, beteuerte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zu Beginn des „Compact with Africa“-Gipfels im vergangenen November in Berlin und verkündete, seine Regierung werde bis 2030 vier Milliarden Euro in nachhaltige Energieprojekte auf dem afrikanischen Kontinent investieren. Geplant seien „Investitionen, die sich für beide Seiten auszahlen“.

Die versammelten afrikanischen Staats- und Regierungschefs waren zu diesem Zeitpunkt wohl innerlich bereits darauf vorbereitet, auf der kurz darauf folgenden Klimakonferenz in Dubai noch viele solch blumiger Versprechungen zu hören. Man wolle die Stellung der afrikanischen Länder bei erneuerbaren Energien, der Gewinnung kritischer Rohstoffe und vor allem auch grünem Wasserstoff verbessern, so Scholz bei dem Treffen, zu dem er eingeladen hatte und das auf eine Initiative seines Landes während der G20-Präsidentschaft im Jahr 2017 zurückging.

Scholz‘ Ankündigung ist nur ein Beispiel von vielen: Den Ländern Afrikas ist eine vielfältige Rolle zugedacht, damit die Europäische Union ihre geplante Dekarbonisierungs-Strategie, den „European Green Deal“ (EGD), umsetzen kann. So sollen es Kohlenstoffdioxid-Märkte den Ländern und Unternehmen der EU-Mitgliedsstaaten erlauben, sich von einer Reduzierung des ausgestoßenen Gases unter anderem bei jenen afrikanischen Ländern freizukaufen, die, so die neokoloniale Logik, aufgrund ihres niedrigen Entwicklungsstands ohnehin weniger CO2 produzieren (siehe den Artikel „Lass fünfe gerade sein“ in woxx 1764). Vor allem jedoch die Produktion von Wasserstoff soll das Wundermittel der Stunde sein. Wind und Sonne, die für die Produktion von grünem Wasserstoff notwendig sind, gibt es auf dem afrikanischen Kontinent schließlich mehr als genug (siehe den Artikel „Wann ist Wasserstoff nachhaltig?“ in woxx 1725).

Vollmundige Versprechungen

„Die Botschaft an die afrikanischen Länder lautet: Produziert grünen Wasserstoff und ihr werdet bei uns zuverlässige Abnehmer finden“, versprach der deutsche Bundeskanzler bei dem Berliner Treffen. Neben den unmittelbar energiepolitischen Aspekten geht es darum, China Paroli zu bieten, das in Afrika ebenfalls wirtschaftliche und politische Interessen verfolgt. Anders als die Volksrepublik wolle man die afrikanischen Länder nicht bloß als Rohstofflieferanten gewinnen, sondern setze sich für eine Verarbeitung vor Ort ein, so Scholz. Man werde also zu einer Produktivitätssteigerung in den betreffenden afrikanischen Ländern beitragen und Arbeitsplätze schaffen. Dies entspreche den Zielen der „Africa-Europe Green Energy Initiative“ (AEGEI).

Diese ist die Energiekomponente des vor zwei Jahren ins Leben gerufenen Infrastrukturprogramms „Global Gateway“ für Afrika, mit dem die Europäische Union nicht zuletzt die chinesische „Belt and Road Initiative“ (BRI) kontern will. Die AEGEI soll private und öffentliche Stromerzeuger unter anderem dazu anregen, den Zugang zu Strom für die Bevölkerung sowie die Energieeffizienz in Afrika zu verbessern. Auf der COP 28 hat die EU öffentlichkeitswirksam die Investition von weiteren 20 Milliarden Euro im Rahmen der AEGEI bis zum Jahr 2027 versprochen, auch wenn die Summe bereits im Oktober vermeldet worden war. Damit soll die Erzeugung von mindestens 50 Gigawatt Strom aus erneuerbaren Energien gewährleistet werden, was laut EU-Kommission der Versorgung von 100 Millionen Menschen entspricht.

So gern man solchen Versprechungen Glauben schenken würde: In verschiedenen afrikanischen Staaten ist man keineswegs davon überzeugt, dass der „Global Gateway“ nicht doch wieder nur eine Einbahnstraße zum Vorteil Europas ist. 600 Millionen Menschen in Afrika haben zum jetzigen Zeitpunkt keinen Zugang zu Strom. Der Großteil der bisherigen Infrastruktur für erneuerbare Energien ist nicht für die dortigen Haushalte oder eine nachholende Industrialisierung, sondern für den Export nach Europa ausgelegt. Bereits bei der Vorstellung des „Global Gateway“ für Afrika anlässlich des EU-Afrika-Gipfels im Februar vergangenen Jahres wurde daher Skepsis laut (siehe den Artikel „Verpasste Gelegenheit“ in woxx 1672).

„Wenn man sich die Geschichte der Infrastrukturinvestitionen in Afrika ansieht, haben sie nicht zu einer Verbesserung der Situation auf dem Kontinent geführt“, so etwa der nigerianische Architekt und Umweltschützer Nnimmo Bassey. Investitionsprogramme wie der „Global Gateway“ könnten schon allein deshalb nicht dazu beitragen, die Ausbeutung von Ressourcen in Afrika in den Griff zu bekommen, weil die lokale Bevölkerung von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen bleibe. Das gelte auch für die energiepolitischen Aspekte und ihre Folgen.

Begründete Vorbehalte

Wie berechtigt Basseys Vorbehalte sind, zeigt sich derzeit etwa am Beispiel einer geplanten Wasserstoffgewinnungsanlage in Namibia. Dafür sind Investitionen von rund zehn Milliarden Euro vorgesehen. 3.000 Arbeitsplätze sollen in dem einst von deutschen Kolonialherren gegründeten Ort Lüderitz entstehen. Das klingt gut, aber nur auf den ersten Blick. Eine Recherche der investigativen Nachrichtenportale „Climate Home News“ und „Oxpeckers“ fördert ein zweifelhaftes Bild zutage.

(Foto: Dati Bendo/European Union/EC – Audiovisual Service)

Für die Jobs nämlich, die dort geschaffen werden, sind die meisten Leute vor Ort gar nicht qualifiziert. Schon während der Bauphase, für die rund 15.000 Arbeitskräfte benötigt werden, wird die lokale Bevölkerung eher leer ausgehen. Zum einen hätten die örtlichen Unternehmen Probleme, eine solch große Baustelle zu stemmen. Zum anderen aber werden „einheimische Auftragnehmer weitgehend von ausländischen Auftragnehmern verdrängt, so dass sie keine Chancen haben“, wird Bärbel Kircher, die Direktorin des dortigen Verbandes der Bauindustrie, zitiert. Dies geschehe häufig auf Forderung der Geldgeber.

Die Jobs sind nicht das einzige Problem. Details über das Ausschreibungsverfahren zur Findung des künftigen Betreibers, das Unternehmen „Hyphen“, hat die namibische Regierung unter Verschluss gehalten. Vor Ort macht man sich daher nicht nur über künftige Arbeitsplätze, sondern auch über die Gründe für die Intransparenz sowie die Auswirkungen des Projekts auf Fischerei und Tourismus Gedanken. Und fürchtet um die Folgen für ein fragiles Ökosystem. Allerdings ist zudem trotz vollmundiger Erklärungen seitens der EU-Institutionen und privater Investoren die Finanzierung noch überhaupt nicht geklärt.

Das führt zu einem anderen Aspekt. Dass der „Übergang zu erneuerbaren Energien nicht automatisch einen gerechten Übergang bedeutet“, wie Umweltschützer Nnimmo Bassey bei der Präsentation des „Global Gateway“ mahnte, gilt umso mehr, als dieser keinen Weg aus der Schuldenspirale weist: Ein Großteil der insgesamt 300 Milliarden Euro, die man bis 2030 mobilisieren will (150 Milliarden Euro davon sind für Afrika vorgesehen) sind Kredite. Diese drohen zudem sehr hoch verzinst zu werden, da der überwiegende Teil davon aus den Händen privater Investoren kommen soll und Afrika für Investitionen als „risikobehaftet“ gilt.

Kapitalmangel und Produktivitätsrückstand

Entsprechend ist die „Unterstützung“ für afrikanische Staaten vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, aber auch durch die am „Global Gateway“ partizipierenden Institutionen des „Team Europa“, wie die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), vor allem auf die Bedienung der Schulden orientiert. Man will auf jeden Fall vermeiden, dass die betreffenden Länder zahlungsunfähig werden. Da die Schulden meist in ausländischer Währung entstehen, gilt es für die Kreditnehmer vor allem, Devisen zu generieren. Dies wiederum gelingt am ehesten durch den Export von seltenen und fossilen Rohstoffen, die in Euro oder Dollar bezahlt werden.

Der Mangel an Kapital, das die afrikanischen Ländern investieren müssten, um den gegenüber den Industrie- und Schwellenländern bestehenden eklatanten Produktivitätsrückstand zumindest ansatzweise aufzuholen, lässt sich auf diese Weise nicht überwinden. Die afrikanischen Staaten bleiben am unteren Ende der globalen Wertschöpfungskette eingekerkert. Da sie vorwiegend Produkte mit niederer Wertschöpfung exportierten, also Waren, in deren Wert wenig qualifizierte Arbeit eingegangen ist, wie beispielsweise nicht veredelte Rohstoffe oder landwirtschaftliche Produkte, müssen sie im Gegenzug Produkte mit hoher Wertschöpfung importieren.

Die Folgen davon führt der Ökonom Fadhel Kaboub in einem Interview mit dem Nachrichtenportal „African Arguments“ vor Augen: „Die afrikanischen Länder importieren Maschinen, Treibstoff, die Komponenten für die Montage und sogar die Verpackung und nutzen dann ihre billigen Arbeitskräfte, um miteinander zu konkurrieren und einen Wettlauf nach unten zu veranstalten“, so der Präsident des „Global Institute for Sustainable Prosperity“, der zusammenfasst: „Jahrzehnte nachdem die Weltbank und der IWF in Afrika tätig waren, stecken wir immer noch in der Schuldenfalle. Das ist entweder Inkompetenz oder Absicht.“

Weitermachen wie bisher

Die Entwicklungs- und Umweltpolitik bleibt also letztlich immer europäische Industriepolitik, auch wenn sie im Gewand der „Africa-Europe Green Energy Initiative“ als Teil eines „European Green Deal“ daherkommt. Die Tatsache, dass Afrika aufgrund seiner durchschnittlich geringen Produktivität noch im Jahr 2021 bloß knapp vier Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes zu verantworten hatte, kommt mit Blick auf den Kohlenstoffhandel gerade zupass (siehe den Artikel „Hier reduzieren statt dort kompensieren“ in woxx 1764). So können die Großverschmutzer weitermachen wie bisher, anstatt die nachholende Industrialisierung der afrikanischen Staaten in irgendeiner Form zu unterstützen. Stattdessen wird der Weggang qualifizierter Arbeitskräfte weiterhin gefördert, wie von Olaf Scholz zuletzt auf dem Gipfel im November mit Blick auf die Energiewende und die allgemeine wirtschaftliche Situation Deutschlands. Dabei würden sie in Afrika selbst mit Blick auf die dort nötige Entwicklung dringend gebraucht.

Vor allem gegenüber den subsaharischen Staaten ist die Entwicklungspolitik bereits seit Jahrzehnten nicht mehr an einer nachholenden Industrialisierung orientiert, die solcher Fachkräfte bedürfte. Daran hatte es zunächst durchaus ein ökonomisches Interesse der reichen Industrienationen gegeben, die sich davon das Entstehen neuer Exportmärkte erhofften. Das jedoch ist nicht mehr der Fall; die betreffenden Staaten gelten als zu sehr abgehängt. „Befürwortet wird nicht mehr die Verwendung einer arbeitssparenden industriellen Technik – die landwirtschaftliche und verarbeitende Produktion sollen vielmehr betont arbeitsintensiv, unter möglichst geringem Einsatz von technischer Ausstattung bzw. von Realkapital erfolgen“, so der Politikwissenschaftler Peter Schoeller 2000 in seinem Buch „Die offene Schere im Welthandel“. Damit jedoch würden die betreffenden Staaten auf dem Weltmarkt immer weiter in die Marginalisierung getrieben, da sie gegenüber den Industriestaaten und den Schwellenländern immer noch weniger konkurrenzfähig seien, so Schoeller, der resümierte: „Die afrikanischen Staaten erfahren daher die gegenwärtige Globalisierung vor allem als fortschreitende Restriktion außenwirtschaftlicher Voraussetzungen ihrer industriellen Entwicklung“.

Transformative Industriepolitik

Es gibt kaum Anzeichen, dass der „Global Gateway“ hier einen Unterschied macht. Weiterhin wird auf eine auf niedriger Produktivität und geringer Kapitalintensität basierende Ökonomie in Afrika gesetzt, die sich auf die reichlich verfügbare und billige, wenig spezialisierte Arbeit stützt. Ökonomen wie Fadhel Kaboub fordern daher einen radikalen Wandel: „Afrika verfügt über eine Fülle strategischer Mineralien – die derzeit in Rohform exportiert werden – sowie über die erforderlichen Fähigkeiten und einen großen Binnenmarkt, der die Industrialisierung und wirtschaftliche Großprojekte unterstützen kann“, so Kaboub, der einer der Autoren der jüngst veröffentlichten Studie „Just Transition: A Climate, Energy and Development Vision for Africa“ ist. Um die von ihm genannten Voraussetzungen jedoch für sich zu nutzen, müsse Afrika die gängigen Entwicklungsmodelle ablehnen und stattdessen strategisch in Ernährungssouveränität, Agrarökologie und erneuerbare Energieinfrastrukturen für den Eigenbedarf investieren. Nötig sei eine „transformative Industriepolitik, die sich von Fließbandfertigung und Rohstoffgewinnung löst“.

Fraglich bleibt, ob dies unter Weltmarktbedingungen tatsächlich gelingen kann. Angesichts dessen mag es weniger verwunderlich erscheinen, wenn afrikanische Staaten sich für die russischen und chinesischen Versprechungen einer „multipolaren Weltordnung“ und Angebote wie die „Belt and Road Initiative“ interessieren – im besten Fall vor allem in der Hoffnung, politischen Druck auf die westlichen Industrienationen auszuüben, gegen die man sich auf der Ebene wirtschaftlicher Konkurrenz nicht zu wehren vermag.


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