Wie im Januar versprochen, stellt Nicolas Schmit morgen in Brüssel seinen Entwurf für eine EU-Direktive zum Mindestlohn vor. Spannend wird, ob der EU-Kommissar für Arbeit auch die damit verbundenen Erwartungen erfüllen kann.
Das wird ein großer Tag für Nicolas Schmit: Morgen stellt der EU-Kommissar für Arbeit und soziale Rechte in Brüssel seinen Entwurf über eine EU-Direktive für einen Europäischen Mindestlohn vor. Als Erfolg kann Schmit schon jetzt verbuchen, dass seine Initiative für ein solches Mindesteinkommen überhaupt den Rang einer verbindlichen Rechtsverordnung bekommen soll. Vor einem Jahr, als der frischgebackene EU-Kommissar an die Arbeit ging, galt das alles andere als ausgemacht. Im Fall ihrer Ratifizierung durch den Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament wäre die Richtlinie für alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtend und müsste in nationales Recht umgesetzt werden. Was das straffe Tempo angeht, in dem das Rechtsinstrument erarbeitet wurde, hat Schmit Wort gehalten. Noch diesen Oktober wolle er konkret werden, hatte er im vergangenen Januar während der Vorstellung erster Entwürfe für einen EU-Mindestlohn angekündigt (die woxx hatte darüber berichtet). Gespannt darf man nun sein, was dabei herausgekommen ist.
„Die Frage ist, ob die gesetzlichen Mindestlöhne dadurch tatsächlich erhöht werden, und ob das einen Anreiz bilden wird, mehr Unternehmen für Tarifverträge an den Verhandlungstisch zu bringen“, so Esther Lynch, die stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds (ETUC), über die für ihre Organisation maßgeblichen Kriterien. Obwohl es nämlich bereits in 22 EU-Staaten einen Mindestlohn gibt, schützt der in der Mehrheit dieser Länder nicht davor, in Armut zu leben (unsere Übersicht dazu: Arm trotz Mindestlohn). Gegenüber der woxx hatte Nicolas Schmit daher als Ziel seiner Initiative herausgestrichen, diese müsse „eine würdige Lebensführung“ ermöglichten.
Umgekehrt ist es nicht so, dass Lohnabhängige in Ländern ohne gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn per se schlechter wegkommen. So zum Beispiel in Dänemark, Finnland und Schweden, den Ländern mit dem EU-weit höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Dort ist eine tarifliche Lohnbindung üblich, die zwischen Gewerkschaften und Unternehmer*innen ausgehandelt wird. In Dänemark kommen selbst sehr schlecht bezahlte Beschäftigte auf rund 13 Euro Stundenlohn. Das ist rund ein Euro mehr als in Luxemburg, dem europäischen Spitzenreiter beim Mindestlohn. In Finnland und Schweden ist das Lohnniveau ähnlich hoch. In diesen Ländern beobachtet man Schmits Vorhaben daher innerhalb der Gewerkschaften sehr skeptisch, weil man fürchtet, dadurch bei künftigen Tarifverhandlungen geschwächt zu werden. Schmit beteuert immer wieder, er sei sich dieses Problems bewusst und werde es bei seiner Planung berücksichtigen.
Unternehmer*innen winken ab
Wenig begeistert sind naturgemäß auch die Unternehmensverbände. Ihre Strategie besteht offenbar nicht zuletzt darin, die beschriebene Skepsis insbesondere der nordischen Gewerkschaften zu bedienen. Da es an „kollektiver Lohnfindung auf supranationaler Ebene“ mangele, sei auch die Grundlage für einen EU-weit geregelten Mindestlohn nicht gegeben, schreibt etwa Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und vermittelt so den Anschein, als sei er prinzipiell ein großer Fan kollektiv verhandelter Tarifverträge. Beim europäischen Unternehmensverband „businesseurope“ bläst man in dasselbe Horn. Ein europäischer Mindestlohn wäre dort besonders schädlich, „wo die Sozialpartner allein oder vorwiegend für die Lohnbildung verantwortlich sind“, heißt es in einem aktuellen Positionspapier. „Wo nationale Sozialpartner schwach sind, können diese nicht plötzlich per europäischer Gesetzgebung stark gemacht werden“, gibt man darüber hinaus zu bedenken. Über die Art, wie man etwa in Deutschland seit Jahrzehnten die Aushöhlung der Tarifsysteme betrieben hat, um die Lohnkosten zu senken, verliert man lieber keine Worte.
Eines steht indes schon fest: Einen europaweit einheitlichen nominellen Mindestlohn wird es auch nach dem Willen von Nicolas Schmit und der EU-Kommission nicht geben. Es wird daher sicher kein leichtes Unterfangen, europaweit, und doch die nationalen Unterschiede berücksichtigend, ein auskömmliches Lohnniveau, die Bekämpfung fortschreitender Prekarisierung sowie die Verhinderung von Lohndumping mit einer Stärkung der Tarifverträge per EU-Direktive zu verbinden. Der Europäische Gewerkschaftsbund werde untersuchen, ob der Entwurf gut genug sei, damit er auf Initiative des EU-Parlaments noch verbessert werden kann, versprach denn auch Esther Lynch vom ETUC, schloss aber auch nicht aus, Widerstand zu leisten, falls der Entwurf nämlich „so schwach ausfällt, dass er ein Fall für den Mülleimer ist“.
Eine erste Einschätzung zur geplanten EU-Direktive findet sich am Freitag in der gedruckten Ausgabe der woxx.