Fahrrad als Verkehrsmittel: Historischer Sommer?

In diesem Sommer, dem letzten vor den Kommunalwahlen 2023, wir dem Fahrrad besonders viel Aufmerksamkeit zugedacht. Doch Im Alltagsverkehr herrschen immer noch (lebens-)gefährliche Zustände.

Da ist der Spaß schnell vorbei: Hauptverkehrsadern, wie hier die Rocade de Bonnevoie, lassen sich nur mit einigem Mut per Fahrrad überwinden. (Foto: woxx)

Selbst wer die Diskussion um die Nutzung des Fahrrads als Alltagsvehikel über die letzten Jahrzehnte regelmäßig verfolgt hat, tut sich schwer darin festzuhalten, ab wann die öffentliche Meinung in dieser Frage gekippt ist. Wenn Historiker*innen sich in einigen Jahren sich dieser Frage annehmen, wird es ihnen wahrscheinlich schwerfallen zu verstehen, wie ein Land, das dann vielleicht 30, 40 oder mehr Prozent Anteil an sanftem Verkehr aufweist, noch am Anfang des 21. Jahrhunderts als Fahrradwüste gelten konnte.

Ein markantes Datum ist dabei natürlich die Gründung der LVI, der „Lëtzebuerger Vëlosinitiativ“ (heute Provelo.lu), 1985, und vielleicht in den 1990er-Jahren der erstaunlich schnelle aber ebenso abrupt ins Stocken geratene Ausbau eines rein touristischen Radwegenetzes. Als dann peu à peu in diversen Schöff*innenräten grüne Politiker*innen mit Hand anlegen konnten, entstanden auch kommunale Vorzeigeprojekte. Ein langatmiger Prozess, bei dem die Überzeugungsarbeit beim jeweiligen Koalitionspartner fast mehr Aufwand bedeutete als die später erfolgte Umsetzung.

Ideologisch hatten die Fahrrad-befürworter*innen den Krieg — wenn in diesen Zeiten diese Metapher überhaupt erlaubt ist — wohl Ende der Nullerjahre gewonnen, als die letzte schwarz-rote Regierung sich ansetzte, mit ihrem Modu-Konzept die Luxemburger Mobilität langfristig umzustülpen, und das Fahrrad erstmals einen messbaren Platz im „Modalsplit“ einnehmen durfte – zumindest auf dem Papier.

Als dann das Mobilitätsministerium an die Grünen fiel und sogar der lange Jahre geforderte Posten für eine*n Beauftragten für sanfte Mobilität geschaffen wurde, schien zumindest institutionell alles bereit, dem Fahrrad eine effektive Rolle zukommen zu lassen. Wobei die Beschleunigung, die parallel die Klimadiskussion erfahren hat, sicher keinen Nachteil darstellte. Noch einmal intensiviert wurde die Debatte um das Fahrrad mit der Covid-Krise – allerdings weniger auf Kosten des Autoverkehrs als der öffentlichen Verkehrsmittel.

Hinsichtlich der öffentlichen Meinung oder dessen, was in den meinungstragenden Medien zu diesem Thema erschien, ist ein eindeutiger Kipppunkt ebenfalls schwer auszumachen. Anfänglich belächelt oder für verrückt erklärt, wurde die Rad-fahrer*innenszene zeitweilig auch wegen ihrer Autofeindlichkeit angegriffen. Direkte Anfeindungen gab es aber dann irgendwann nur mehr über Leser*innenbriefe und spätestens seit selbst der Automobilclub seine Dienste Radfahrer*innen zukommen lässt, operiert die Hardcore-Autolobby nur mehr aus einer Defensive heraus.

Aber vielleicht sind es ja gar nicht die (wahlberechtigten) Stamm-Luxemburger*innen, die den Stimmungswechsel herbeigeführt haben: In den sozialen Medien sind auffallend viele „expats“, die ihre gruseligen Erfahrungen in Sachen Fahrrad in Luxemburg kundtun. Viele, die von Berufs wegen oder studienhalber nach Luxemburg gezogen sind, zeigen sich teilweise entsetzt über Umfang und Zustand des Radwegenetzes. Die täglichen Ärgernisse, die nicht selten in lebensgefährliche Situationen münden können, werden ausgiebig auf Twitter, Facebook und Co. dokumentiert und diskutiert. Was von alteingesessenen Radfahrer*innen fast schon als Normalzustand akzeptiert wird, stößt bei diesen oft jüngeren „fahrradverwöhnten“ Neuankömmlingen auf nicht selten militanten Widerspruch.

Foto: woxx

Vëlosummer 3.0

Seit 2020 gibt es den „Vëlosummer“. Aus der Covid-Not geboren, sollte er den Bürger*innen erlauben, den wegen kaum durchlässiger Staatsgrenzen aufgezwungenen Urlaub im Ländchen etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Durchaus auch mit dem Hintergedanken, die Menschen auf den Fahrradgeschmack zu bringen und sie zu animieren den „Drahtesel“ anschließend öfters auch im Alltag einzusetzen.

Mit offiziell 4.000 Teilnehmenden im ersten Jahr gab es einen Achtungserfolg, trotz eines überschaubaren und in vielen Fällen nur punktuell angebotenen Programms. Die federführenden Minister François Bausch (Mobilität) und Lex Delles (Tourismus) hatten sich wohl etwas mehr Begeisterung bei den zur Teilnahme aufgerufenen Kommunen erhofft. Stattdessen gab es hier und dort an ein oder zwei Wochenenden gesperrte Straßen. Selbst mitten im Sommer wollte man die Autofahrer*innen nicht zu sehr ärgern und ihnen womöglich minutenlange Umwege aufzwingen. Im darauffolgenden Jahr 2021 ließ die Begeisterung nach, des schlechten Wetters wegen, aber wohl auch, weil das Angebot nach den Erfahrungen im ersten Jahr nicht unbedingt überzeugen konnte.

In diesem Jahr wird das Angebot streckenmäßig ausgeweitet, allerdings werden nur die kleineren Touren im Zentrum und im Süden des Landes während der gesamten Vëlosummer-Periode, also vom 30. Juli bis zum 28. August, ganzwöchentlich angeboten. Die meist anspruchsvolleren, langen Touren im Norden des Landes finden wie gehabt nur an ein oder zwei Wochenenden statt. Das hat zumindest den Vorteil, dass das Ganze gut überschaubar auf der informativen Karte, die unter velosummer.lu zum Download bereitsteht, untergebracht werden konnte und man kaum riskiert, am falschen Wochenende zu der Tour seiner Wahl zu starten (siehe Tabelle S. 4) .

Zu hoffen bleibt auch, dass die Zug- und Busdienste an den betreffenden Wochenenden gezielt das richtige Material zum Einsatz bringen und etwa die fahrradfeindlichen Z2000 Züge dann anderen Strecken überlassen, was in den Vorjahren leider nicht immer der Fall war. Sollte der Vëlosummer zur Tradition werden, dürfte die ohnehin sinnvolle Anschaffung von Busanhängern für die Fahrradmitnahme wohl unausweichlich werden, andernfalls die entmutigte Fahrradkundschaft mit eigenem PKW zum jeweiligen Startpunkt anreisen wird.

In diesem Jahr hat der Vëlosummer verstärkt auch ausländische Radtourist*innen im Visier. Anders als für Alltagsfahrten, hat Luxemburg sich international ja bereits einen Namen in Sachen Radtourismus gemacht, doch ein Image lässt sich immer noch verbessern.

Allerdings kommt in die Ankündigung des Programms doch etwas spät, insbesondere wenn ausländische Gäste ihre Tour mit der einen oder anderen Übernachtung kombinieren wollen. Hier könnte die Konzentration auf einzelne Wochenenden sich als Nachteil erweisen, weil dann immer bestimmte Bed+Bike-Hotels (über-)bucht werden, während andere zu weit von den jeweiligen Startpunkten entfernt sind.

Auch Straßensperrungen unter der Woche oder zumindest an allen Wochenenden, an die man sich im Norden also auch diesmal wieder nicht herangetraut hat, hätten das Angebot zusätzlich attraktiver gemacht und geholfen, die Auslastung der Tourismusinfrastruktur etwas mehr zu streuen.

Illustration: Ministère de l’Économie – Direction générale du tourisme

Pioniere im Mamerdall

Nicht stattgefunden hatte in den Covid-Jahren das vom Mouvement écologique und Provelo.lu organisierte, traditionsreiche „Alles op de Vëlo tëscht Mamer a Miersch“. Am Sonntag, dem 17. Juli, ist es aber wieder so weit: Von 10 bis 18 Uhr wird das Mamerdall für den normalen Autoverkehr gesperrt. Zwar handelt es sich auch hier um ein eher dem Fahrradtourismus zugewandtes Event, allerdings in durchaus per Fahrrad erreichbarer Nähe der Hauptstadt und dichtbewohnter Ballungsräume.

Die Strecke symbolisiert somit auch ein typisches Manko der Luxemburger Fahrradplanung: Mamer und Mersch sind zwar über ein fahrradfreundliches Flusstal miteinander verbunden und durchaus auf eine für Fahrradpendler*innen angemessenen Distanz. Doch außer einigen Stümpfen, die nur im Schneckentempo einander zuzuwachsen scheinen, gibt es keine Radpisten geschweige denn minimal gesicherte Radwege. Am Wochenende des 27. und 28. August wird die Strecke zwischen Mersch und Mamer als „Mamerdall-Tour“ übrigens auch Bestandteil des Vëlosummer-Programms sein.

Nach einer äußerst erfolgreichen Fahrraddemo in der Hauptstadt am 4. Juni, die erstmals als regelrechtes Vëlosfest stattfand, dürften die erwähnten Veranstaltungen im Sommer ihren Beitrag dazu leisten, die Rolle des Fahrrades hinsichtlich einer nachhaltigen Mobilität noch einmal zu steigern.

Die nahenden Kommunalwahlen vom Juni 2023 werden insbesondere auf lokaler Ebene die politischen Entscheidungsträger*innen zu konkreteren Schritten als bislang animieren, weil eine verstärkte nicht-luxemburgische, aber kommunalwahlbrechtigte Klientel sich nicht länger ignorieren lässt.

Allerdings bleibt noch viel zu tun, und die Fahrradbegeisterung, die in der Covidkrise zu verspüren war, war schnell abgeklungen: Nicht weil die Lust am Radfahren an sich nachgelassen hätte, sondern weil der eroberte Freiraum, wegen des wochenlang eingebrochenen Auto-Pendlerverkehrs, schnell wieder den Blechlawinen überlassen wurde. Andere Städte und Regionen in Europa, von den Dimensionen durchaus vergleichbar mit Luxemburg, haben hier vollendete Tatsachen geschaffen. Das im nationalen Mobilitätsplan gesteckte Ziel für einen Fahrradanteil von elf Prozent an den täglichen Bewegungen für 2035 bei aktuell zwei Prozent, lässt sich mit den aktuellen Mitteln jedenfalls kaum erreichen, wie Provelo.lu im Anschluss an das Fahrradfest nüchtern festhielt.


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