Gegen das Waldsterben: Jagd als einzige Lösung?


Umweltschutz-NGOs haben lange eine nuancierte Zwischenposition in Sachen Jagd eingenommen. Dass sie sich jetzt mehr oder weniger auf die Seite der Jägerschaft schlagen, dürfte für Diskussionen sorgen.

Mit Fahndungsbild, Statistik und Foodfotografie: Der Appell für eine „regulierende Jagd“ zieht alle Register. (Foto: woxx)

„Die Aussage der Jäger, Wildbestände in vergleichbarer Weise wie die ausgerotteten Großsäuger Wolf, Luchs und Bär mit der Waffe regulieren zu können oder gar zu müssen, dokumentiert eine völlige Selbstüberschätzung des Menschen“, schrieb 2006 die Lëtzebuerger Natur- a Vulleschutzliga (LNVL). Eine Tierart zu bejagen, um eine andere zu schützen, sei kein Naturgesetz, so die Autor*innen, die fragten: „Wer legt fest, welches Leben das wertvollere ist?“ Keine zwei Jahrzehnte später hat sich das Blatt gewendet: Die Nachfolgeorganisation der LNVL, Natur & Ëmwelt, ist Teil eines Bündnisses, das die Jäger*innen auffordert, zur Regulierung des Wildbestands dringend mehr Tiere abzuschießen. Dabei geht es allerdings nicht darum, den Fuchs zu bejagen, weil er, wie die Jägerschaft behauptet, das Niederwild ausrottet. Das Bündnis von Naturschutz- und Forstwirtschaftsorganisationen tritt für eine „konsequentere“ Bejagung des Schalenwilds ein, weil „der Wald stirbt“, so die Quintessenz eines am 27. Oktober vorgestellten Appells.

Der Wald wird gefegt!

Dass zu viel Wild nicht nur Schäden in der Landwirtschaft verursacht, sondern auch bei der Erneuerung der Baumbestände, ist keine neue Einsicht. Seit Ende der 2000er-Jahre fordern Mouvement écologique (Méco) und Natur & Ëmwelt eine stärkere Bejagung, um eine naturnahe Forstwirtschaft zu ermöglichen – wenn auch mit vielen Einschränkungen und Euphemismen, wohl aus Rücksicht auf ihre jagdskeptischen Mitglieder. Auch der jetzige Appell erläutert, wie „Rehe, Hirsche und das an verschiedenen Orten ausgesetzte und nicht einheimische Dam- und Muffelwild besonders die Knospen der jungen nachwachsenden Bäume [fressen], was zu deren Absterben führt“ und damit die ökologisch optimale Naturverjüngung verhindern. Hinzu kommen die Beschädigungen der Rinde durch das „Fegen“ (Abreiben der Geweihhaut) der Reh- und Hirschböcke sowie das Wegfressen von Eicheln und Bucheckern (also der Baumsamen) durch die Wildschweine.

Was sich gegenüber den 2000er-Jahren geändert hat: Durch den Klimawandel sind die mittleren Temperaturen gestiegen und die Dürreperioden häufiger geworden – was die Gesundheit der Bäume stark beeinträchtigt. Das Groupement des sylviculteurs („Lëtzebuerger Privatbësch“) schätze, „dass in den nächsten zehn Jahren rund ein Drittel der heutigen Wälder absterben werden“, so der Appell. Diese Auswirkung der Klimakatastrophe sei vergleichbar mit dem Abschmelzen der Polkappen und Gletscher, nur eben „weniger einfach sichtbar für Laien“. Um den wegsterbenden Baumbestand zu erneuern, wären Naturverjüngung oder Neupflanzungen nötig – die aber scheitern am Wildverbiss. Dass sich dieser so umfassend auswirkt, liegt laut Bündnis daran, dass „milde Winter infolge des Klimawandels, bestandsaufbauende Jagd- und Hegepraxis und das hohe Futterangebot auf den landwirtschaftlichen Flächen“ die Schalenwildbestände stark erhöht haben. Abgefressen werden insbesondere Hainbuchen und Eichen, Rotbuchen und Fichten hingegen bleiben eher verschont – doch gerade letztere Baumarten sind leider besonders anfällig für den Klimawandel.

Die Trophäenjagd ist Naturschützer*innen ein Dorn im Auge, doch die von ihnen befürwortete „Bestandsreduktion“ dürfte reichen, um ganze Schlösser zu „tapezieren“. (Schloss Úsov, fotografiert von Jan Kameníček; PD)

Ändert sich nichts an den Wilddichten, rechnet Lëtzebuerger Privatbësch vor, so fallen in den nächsten zehn Jahren Ausgaben von 500 Millionen Euro für Verbissschutzmaßnahmen an. Dazu gehören auch über 10.000 Kilometer Wildschutzzäune, mit ihren negativen Auswirkungen auf Biotopvernetzung, Tierwohl und Erholungsfunktion des Waldes. Die ökonomische Seite des Problems spielt für das Bündnis eine ebenso große Rolle wie die ökologische. So erläuterte Marc Parries, hierzulande Wertholz zu produzieren, sei auch eine Pflicht gegenüber der Dritten Welt, wo zu viel für den Export abgeholzt werde. Für den Vertreter des Holzlabels FSC und ehemaligen Förster war die Katastrophe vorhersehbar aufgrund der Entwicklungen bei Klima und Wilddichte. Wobei man eben „auf Letztere einfacher und schneller einwirken“ könne. Die Erhöhung der Jagdaktivitäten sei, so der Appell, „die einzige finanziell sinnvolle, tierschutzkonforme und ökologische Maßnahme“. In diesem Sinne richtet sich das Bündnis explizit an die kommende Regierung und hat Forderungen an ein künftiges Koalitionsabkommen ausformuliert.

Die Jägerschaft als Partnerin

Als ersten Schritt nennt der Appell die Abhaltung eines Krisengipfels mit Forstwirtschafts-, Umwelt- und Jagdorganisationen. „Auch sollten die Bauernvertreter*innen dazu eingeladen werden“ heißt es – von Tierschützer*innen oder Jagdkritiker*innen geht keine Rede. Sodann gelte es, „Akzeptanz für eine regulierende Jagd [zu] schaffen“, indem man der Öffentlichkeit die Zusammenhänge erklärt, unter anderem mit Weisegattern, die sichtbar machen sollen, wie gut die Waldverjüngung in vor Wild geschützten 36-Quadratmeter-Parzellen funktioniert. Wissenschaftlich gemessen und bewertet werden sollen Wildschäden sowie Wilddichten und Reduktionsziele. Dadurch, dass künftig auch für Schäden im Wald zu zahlen wäre, hofft man, „einen gewissen finanziellen Druck für den Jagdpächter aufzubauen, um die Wildbestände in einem Rahmen zu halten, welcher eine Naturverjüngung zulässt“.

Im Gegenzug kommen die erwünschten „strukturellen oder gesetzlichen Veränderungen an der Jagdpraxis“ zum Teil der Jägerschaft entgegen, geht es doch darum, dass sie mehr und einfacher zum Schuss kommt. Dabei sollen „die Jagdzeiten in der Morgen- und Abenddämmerung“ verlängert werden (derzeit reichen sie von einer Stunde vor Sonnenaufgang bis zu einer Stunde nach Sonnenuntergang). Auf der Pressekonferenz hieß es gar, man solle „den Jägern keine Steine in den Weg legen“, zum Beispiel machten die nach Untergruppen der Tierarten differenzierten Jagdzeiten keinen Sinn. Laut Appell soll es außerdem einzelnen oder Gruppen von Waldbesitzer*innen ermöglicht werden, ab einer Waldfläche von 50 Hektar die Jagd selber in die Hand zu nehmen. Den schlechten Jäger*innen dagegen soll es an den Kragen gehen: Wenn jemand „wiederholt die Abschusspläne bei den vorkommenden Wildarten nicht erreicht, muss es möglich sein, den Pachtvertrag des Jagdloses zu kündigen“.

Die Jäger*innen sind allerdings nicht Teil des Bündnisses – zwei Jahrzehnte, in denen sich die „Grünröcke“ an dem gerieben haben, was sie „grüne Ideologie“ nennen, sind nicht so schnell vergessen (woxx 1107). Aber auch die Jagdkritiker*innen bleiben außen vor – „Warum sollten wir mit denen reden?“, hieß es auf der Pressekonferenz. Patrick Losch, Präsident von Hëllef fir d’Natur wurde noch deutlicher: „Wir sind die, die tatsächlich im Wald unterwegs sind, und sie sind in den Büchern unterwegs“ – ein Spruch, den man eher von der Jägerschaft gewohnt war. Die Frage, woher bei den Umweltexpert*innen der plötzliche Glaube an die unbegrenzt regulierende Kraft der Jagd kommt, blieb unbeantwortet. Von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen war jedenfalls keine Rede. Auch mögliche Zielkonflikte zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft waren kein Thema. Dabei weinen die Umweltschützer*innen insgeheim den Fichten in Monokultur, die den größten Teil des todgeweihten Baumbestands ausmachen, keine Träne nach; für die Waldbesitzer*innen dagegen stellt ihr Absterben – und die Schäden an Neupflanzungen durch Hirsche – einen herben wirtschaftlichen Verlust dar.

Zu früh begraben? Jägerschaft ohne Zukunft, das war gestern. Schützenhilfe kommt nun ausgerechnet von Seiten des Umweltschutzes. 
(Das Leichenbegängnis des Jägers, Moritz von Schwind, 1850; PD)

Womöglich ist der Pro-Jagd-Vorstoß während der Koalitionsverhandlungen nur als Verzweiflungsakt zu verstehen. Waldbesitzer*innen haben den Eindruck, sie pflanzen für viel Geld Jungbäume, die am Ende meist nur als Futter für die Rehe dienen – und noch zu deren Vermehrung beitragen. Umweltfreund*innen meinen zu sehen, wie Jahr um Jahr der geliebte Wald dahinsiecht. Doch auch ohne den Augenschein ist klar, dass diese Probleme real sind, insbesondere weil die mittleren Temperaturen in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen werden. Und so suchen beide Gruppen, Öffentlichkeit und Politik von ihrer Lösung zu überzeugen – an erster Stelle, indem sie die Ist-Situation möglichst schwarz malen, das Waldsterben als „Tsunami“ bezeichnen und die Verbissschäden durch Wild mit jenen durch Weidetiere im Sahel vergleichen.

In Sauce statt Blut getränkt

Von der Verzweiflung der Natur-
schützer*innen zeugt auch, dass sie bereit scheinen, alle Einschränkungen der Jagd fallen zu lassen, wenn nur der Wald gerettet werden kann. Findet man in vorhergehenden Stellungnahmen des Méco noch detaillierte Ausführungen zu den wünschenswerten Jagdmethoden, von Ruheperioden bis zu Restriktionen bei Bewegungsjagden, so findet sich im Appell nur noch ein vager Hinweis auf „verantwortungsvolle Jagd, die auch den Stress der Tiere bei der Jagdausübung so weit wie möglich reduziert“. Tierseuchen, die zuvor als Teil der natürlichen Regulation der Bestände galten, sollen jetzt aus tierschützerischen Überlegungen bekämpft werden – indem die Bestandsdichte gesenkt wird.

Befremdlich erscheint auch die Rolle, die dem Besitzrecht zugedacht ist. In der Vergangenheit hatten sich die Umwelt-NGOs, sehr zum Leidwesen der Jäger*innen, für das Recht der Waldbesitzer*innen eingesetzt, aus ethischen Gründen die Jagd auf ihrem Los zu verbieten. Nun soll der Besitz von Wald (ab 50 Hektar) eine Verfügungsgewalt über das Jagdrecht mit sich bringen, anstatt die öffentliche Kontrolle über die Allgemeingüter Wald und Wild zu stärken. Ultimatives Symptom der Verzweiflung dürfte allerdings die Idee der verstärkten Vermarktung einheimischen Wildfleisches sein, im Appell illustriert mit einem großen „Appetitmacher“-Foto eines saucegetränkten Ragouts. Dass dieses Fleisch besser genutzt werden soll, insbesondere außerhalb der so genannten Wildsaison, in der die Nachfrage die einheimische Produktion bei Weitem übersteigt, ist natürlich richtig. Doch dass eine Vermarktung mit „Made in Luxembourg“-Zertifizierung, indem sie den Verkaufswert des Fleisches anhebt, auch tatsächlich zu mehr Abschüssen durch finanziell motivierte Jäger*innen führen wird, darf bezweifelt werden.

Betrachtet man den Appell zur Rettung des Waldes durch die Jagd in einem breiteren Kontext, so erkennt man darin auch einen höchst anthropozentrischen Ansatz. Der Mensch, der durch seine Einwirkungen auf Ökosysteme und Erdatmosphäre das Problem Waldsterben herbeigeführt hat, will es nun auf seine Art lösen: Indem er die Wilddichte misst, entscheidet, „wie viel Wild der Wald verträgt“ und dementsprechend die Bestände „reguliert“. Die Allmachtfantasien der Jägerschaft stellen sich in der Stunde der Verzweiflung auch bei Waldbesitzer*innen und Umweltfreund*innen ein.

Ist, wie Patrick Losch erklärte, die uneingeschränkte Jagd auf Schalenwild die einzige Alternative, weil die Natur, sich selbst überlassen, unsere prächtigen Wälder in einen Maquis wie im Mittelmeerraum verwandelt? Vielleicht wird das sowieso passieren, mit oder ohne Bejagung, aufgrund des Klimawandels und des Festhaltens an der intensiven Landwirtschaft. Vielleicht gibt es aber auch eine vielversprechendere Antwort, von der die Idee der Jagd als Allheilmittel nur ablenkt: eine multidimensionale Lösungsstrategie, die auf Umstellungen in der Landwirtschaft, neue Techniken in der Forstwirtschaft, gezielten Einsatz von Bejagung und die Selbstheilungskräfte der Natur – zum Beispiel durch die Rückkehr des Wolfs – setzt.


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