Gesundheitssystem: Mad World

Seit einem Monat übernimmt die Gesundheitskasse in Luxemburg einen Teil der Kosten für Psychotherapie, doch ändert das etwas am Stellenwert mentaler Krankheiten im Gesundheitssystem? Ein Gespräch mit Betroffenen und Expert*innen.

Der Kontrolldienst der Krankenkasse ist laut Expert*innen vor allem bemüht, Geld einzusparen – auch, wenn es um mentale Krankheiten geht. (Copyright: Mike Lawrence, CC BY 2.0)

Lisa* hat ihr Universitätsstudium in der Regelstudienzeit absolviert und nach dem Abschluss gleich einen Job gefunden. In den letzten Jahren machte sie beruflich und privat viel durch, jetzt leidet sie unter Burn-Out. Ihr Hausarzt schrieb Lisa zwei Monate krank, ehe er ihr zu einer „Reprise progressive du travail pour des raisons thérapeutiques“ (RPTRT) riet. Diese Maßnahme ersetzt seit 2019 die Teilzeitbeschäftigung zur Genesung, in deren Rahmen die Kosten von den Arbeitgeber*innen übernommen wurden. Heute ist die schrittweise Wiederaufnahme der Arbeit mit der Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt und wird von der Krankenkasse finanziert, mit dem Ziel, den Betroffenen mehr Flexibilität zu geben. Lisas Psychotherapeutin bekräftigte sie darin, den Schritt zu gehen. Sie einigte sich mit ihren Arbeitgeber*innen, die mit Verständnis auf ihre Situation reagierten, auf ein Arbeitspensum und peilte drei Monate bis zur Wiederaufnahme ihrer Vollzeitstelle an. Die Krankenkasse bewilligte den Antrag.

Das war zu Jahresbeginn, inzwischen sucht Lisa mit ihren Arbeitgeber*innen intern nach anderen Lösungen, wie etwa einer Teilzeitstelle oder unbezahltem Urlaub. Grund dafür ist der „Contrôle médical de la sécurité sociale“ (CMSS): Lisa fühlt sich vom Kontrolldienst derart schikaniert, dass sie finanzielle Einbußen in Kauf nimmt, um weitere Auseinandersetzungen zu umgehen. Die behandelnde Ärztin belächelte sie bei ihrem letzten Termin für ihre reduzierten Arbeitsstunden. Sie warf ihr an den Kopf, die progressive Wiederaufnahme dürfe sich nur über einen Monat erstrecken und sei außerdem für ernstere Pathologien gedacht als Burn-Out. Lisa müsse sich zwischen Arbeit und Erwerbslosigkeit entscheiden, solle Antidepressiva schlucken und wieder ranklotzen.

Das steht im Gegensatz zu dem was Catherine Richard, Präsidentin der Fédération des associations représentant des psychothérapeutes au Grand-Duché du Luxembourg (Fapsylux), im Gespräch mit der woxx zur progressiven Wiederaufnahme sagt. Sie hält es für unsinnig, den Menschen Druck zu machen. „Das widerspricht dem Ziel der Maßnahme, denn es geht darum, langsam seinen eigenen Rhythmus zu finden“, erklärt sie. „Ich beobachte oft, dass Personen mit Burn-Out sich nicht die Zeit geben, ihre Verhaltensmuster nachhaltig anzupassen – nach einer Weile befinden sie sich dann in derselben Situation wie zu Beginn der Erkrankung.“

Auf Nachfrage der woxx beim Ministerium für Soziale Sicherheit wird zudem deutlich, dass es sich bei den Aussagen der Kontrollärztin um Falschinformationen handelt. Die progressive Wiederaufnahme richtet sich an alle Personen, die aufgrund einer Pathologie, die in der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD10) verzeichnet ist, krankgeschrieben sind. Mit dem Grad der Erkrankung hat das also nichts zu tun. Zwar gibt es eine Maximaldauer, in der die Wiederaufnahme vollzogen werden soll, allerdings beträgt diese nicht einen Monat, sondern 74 Wochen. Wer eine Wiederaufnahme beantragen will, muss in den zwölf Wochen zuvor mindestens einen Monat krankgeschrieben gewesen sein. Letztes Jahr wurden 1.016 Erstanträge – und somit 53 mehr als noch 2021 – auf eine solche progressive Wiederaufnahme gestellt. Davon wurden 95 abgelehnt, im Vorjahr waren es 163. Wann genau die Betroffenen ihrer Arbeit wieder zu hundert Prozent nachgehen, können sie selbst, die behandelnden Ärzt*innen und der Kontrolldienst beschließen. Bis dahin entscheiden sie in Rücksprache mit ihren Vorgesetzten über ihre täglichen Arbeitsstunden, konkrete Vorgaben gibt es nicht.

„Ich sehe ein, dass die Kontrollmediziner*innen darauf getrimmt sind, das Beste für die Gesundheitskasse herauszuholen. Nur ist das oft nicht im Sinne der Patient*innen.“

„Ein Gespräch war unmöglich. Ich wurde ständig unterbrochen“, berichtet Lisa weiter von ihrem Beratungsgespräch. „Die Ärztin hat nebenbei einen Telefonanruf entgegengenommen, während ich ihre Frage nach Suizidgedanken beantworten sollte. Nach dem Auflegen hat sie gleich die nächste Frage hinterhergeschoben.“ Anschließend verlangte sie Informationen zu Lisas allgemeinem Gesundheitszustand und zu laufenden Behandlungen, die nichts mit dem Burn-Out zu tun haben. Auch das ist nicht erlaubt. Die Pressestelle des Ministeriums verweist hierzu auf eine Stelle aus dem Code de la sécurité sociale: „Les médecins du Contrôle médical de la sécurité sociale ne peuvent s’immiscer dans les rapports du malade et du médecin traitant. Ce n’est que sur la demande expresse du malade qu’ils formulent un diagnostic ou une appréciation sur le traitement.”

Lisa bezeichnet die Zeit nach dem Termin als Rückschlag, empfindet den psychischen Stress durch die Erfahrung mit dem Kontrolldienst zu diesem Zeitpunnkt als schlimmer, als der Burn-Out selbst. „Jede Angst, die ich vor dem Termin hatte, wurde bestätigt“, sagt sie. Am Ende habe ihr die Kontrollärztin klar gemacht, sie sei beim „Contrôle médical“ an der falschen Adresse und müsse zur „Médecine du travail“. „Die Person, die sich in einer RPTRT befindet, wird vom Kontrolldienst begleitet und die Möglichkeit der progressiven Aufnahme wird von Termin zu Termin neu evaluiert, dies im Hinblick auf den Gesundheitszustand“, so hingegen das Ministerium für soziale Sicherheit. Gemäß Artikel L.325-2 des Arbeitsrechts dürfe „ein Arbeitsmediziner nicht im Rahmen einer Krankschreibung intervenieren“. Da die RPTRT mit der Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt ist, sind die Arbeitsmediziner*innen demnach nicht zuständig für die Betroffenen.

Dies ist also erst der Fall, wenn der Kontrolldienst die progressive Wiederaufnahme beendet. Danach ist ein Besuch bei der Arbeitsmedizin möglich – und kann fatale Folgen für die Betroffenen haben. Werden sie dort nämlich als arbeitsunfähig (inapte) erklärt, schafft das eine legale Basis für eine ordentliche Kündigung. Entscheiden die Arbeitsmediziner*innen, dass die Person zwar ihre derzeitige Stelle nicht mehr ausfüllen kann, dafür aber noch erwerbsfähig (apte) ist, folgt die Anrufung der Commission mixte des Kontrolldienstes der Sozialversicherung. Diese entscheidet über die betriebsinterne oder externe berufliche Wiedereingliederung der Versicherten.

Rachel Brixius, Gründerin der Internetplattform „LetzBeAware“ rund um das Thema mentale Erkrankungen, weiß von vielen Betroffenen, die von all dem überfordert sind. „Entweder die Betroffenen haben Angst, zur Arbeit gezwungen zu werden, obwohl ihre Erkrankung es zu dem Zeitpunkt nicht erlaubt, oder sie fürchten sich davor, als arbeitsunfähig deklariert zu werden, obschon sie ihrem Beruf weiter nachgehen möchten“, fasst sie zusammen. „Im ersten Fall kommt es nicht selten vor, dass die Betroffenen aufgrund dieser Sackgasse suizidale Gedanken oder entsprechende Tendenzen entwickeln.“ Andere Menschen fühlten sich gedrängt, ihren Job zu kündigen, weil sie trotz ihrer Diagnose von Psychiater*innen zurück in die Arbeit geschickt werden. Dies betrifft teils auch Arbeitnehmer*innen mit körperlichen Beschwerden. Mit welchen finanziellen Notlagen und langen Wartezeiten die beschriebenen Prozesse einhergehen, darüber berichtete die woxx bereits mehrfach (woxx 1547, woxx 1405).

In diesen Artikeln war der schroffe Umgang insbesondere des Kontrolldienstes mit den Versicherten und ihren behandelnden Ärzt*innen ebenfalls schon Thema. Damals wies Gérard Holbach, „médecin-directeur“ beim CMSS, alle Vorwürfe von sich: „Der Kontrolldienst hat weder mit den untersuchten Patienten noch mit dem medizinischen Personal einen schlechten beziehungsweise strengen Umgang. Dass die Patienten in manchen Fällen mit dem Avis des Kontrolldienstes unzufrieden sind, liegt in der Natur der Sache.“ Das widersprach damals wie heute den Recherchen der woxx. Dem jüngsten Aufruf der woxx an Betroffene mentaler Krankheiten, von ihren Erfahrungen mit der CMSS zu berichten, folgten innerhalb weniger Stunden zahlreiche Menschen, die wenigsten Erlebnisse waren positiv. Im Gegenteil: Oft war die Rede von Panik, Unverständnis seitens der Kontrollärzt*innen, mentalen Zusammenbrüchen bis hin zu Suizidgedanken nach den Terminen.

Das Gesundheitssystem zwingt unter anderem Betroffene mentaler Krankheiten wie eine Aufziehpuppe zu funktionieren. (Copyright: Mary Lock, CC BY-NC-ND 2.0)

„Ich sehe ein, dass die Kontrollmediziner*innen darauf getrimmt sind, das Beste für die Gesundheitskasse herauszuholen“, so dazu Fapsylux-Präsidentin Richard. „Nur ist das oft nicht im Sinne der Patient*innen. „Es geht um Geld, nicht um das Wohlbefinden der Betroffenen.“ Deren Gesundheitszustand würde oft nicht ernst genommen, was teils auch daran liege, dass einige versuchen würden, ihren Zustand zu beschönigen und beispielsweise ihren Burn-Out als weniger akut darzustellen, als in Wirklichkeit der Fall. Dies hänge nicht zuletzt mit der gesellschaftlichen Haltung gegenüber mentalen Erkrankungen zusammen: Hier fehle es immer noch an Akzeptanz.

„Viele Betroffene schämen sich dafür, dass sie eine Therapie gemacht haben oder befürchten, dass eine Lücke im Lebenslauf sie in Erklärungsnot bringen wird“, so Catherine Richard. „In vielen Köpfen dominiert die Annahme ‚Wer einmal eine Psychotherapie gemacht hat, ist für immer psychisch krankʼ. Ich rate den Betroffenen, sie sollen ehrlich sein, die Dramatik ihrer Situation zum Ausdruck bringen“, sagt Richard. „Davon abgesehen sollten die Kontrollmediziner*innen darauf vertrauen, dass es seine Berechtigung hat, wenn die behandelnden Ärzt*innen die Patient*innen aufgrund mentaler Erkrankungen krankschreiben.“ Dies geschehe nicht, um jemandem einen Gefallen zu tun. „Es braucht mehr Vertrauen zwischen den medizinischen Instanzen“, so die Verbandsvorsitzende.

Ein solches Vertrauen ist auch deshalb wichtig, weil die behandelnden Kontrollärzt*innen nicht zwangsläufig Spezialist*innen für die jeweilige Pathologie sind, mit der die Versicherten vorstellig werden. Im CMSS arbeiten derzeit 37 Mediziner*innen, davon vier Psychotherapeut*innen und zwei Psycholog*innen. Zwar gibt es einen psychologischen Dienst der CMSS, doch ist dies nicht die erste Instanz, mit der die Versicherten in Kontakt kommen und auch nicht die Stelle, die endgültig über die Arbeitsfähigkeit der Versicherten urteilen darf. Sie ist vielmehr eine Beratungsinstanz für den CMSS.

Für Rachel Brixius von „LetzBe-
Aware“ ist es unverständlich, dass Ärzt*innen, die keine Spezialist*innen für mentale Erkrankungen sind, sich im Zweifelsfall über die Diagnose von behandelnden Expert*innen hinwegsetzen können. Das Ministerium für Soziale Sicherheit erklärt hierzu: „Auf dem Attest könnte beispielsweise eine Fraktur als Ursache angegeben sein, aber nicht präzisiert werden, ob es sich um einen Fuß- oder einen Hüftbruch handelt. Zusätzlich kann neben einer psychischen Erkrankung ja auch noch eine körperliche Pathologie vorliegen.“ Falls der Rat von Fachärzt*innen nötig sei, könnten die Kontrollärzt*innen diesen „natürlich“ beantragen.

„In Bezug auf die Kostenrückerstattung der Psychotherapie kann ich nur sagen: Jetzt liegt das Kind im Brunnen“

Einige der Betroffenen mentaler Krankheiten, die sich der woxx gegenüber zum Thema geäußert haben, verlangen hingegen andere Kontroll-
instanzen für derartige Erkrankungen, und Alternativen zum bestehenden System. „Ein Gips am Bein ist ein offensichtlicher Indikator für den Gesundheitszustand, da weiß man: nach sechs, acht Wochen ist das verheilt, dann funktioniert der Mensch wieder“, schreibt eine Betroffene, die anonym bleiben möchte. „Bei mentalen Erkrankungen ist das nicht so, man sieht nicht hinter die Stirn, weiß nicht, wie lange die Genesung dauert. Kontrollbesuche sind Stress pur, auch weil der Termin vielleicht an einem Tag stattfindet, an dem der Kopf ausnahmsweise fast fehlerfrei funktioniert.“

Im Austausch mit Betroffenen kamen weitere Aspekte zur Sprache, die sich eher auf gesamtgesellschaftliche Phänomene beziehen. Es fehle an einer zentralen Beratungs- und Koordinierungsstelle für psychische Belastungsstörungen in der Arbeitswelt und an gezieltem Coaching bei Konflikten auf dem Arbeitsplatz. Auch benötige es mehr Ursachenforschung in Luxemburg, denn das Verhältnis zwischen Wohlstand und dem Vorkommen mentaler Erkrankungen sei nicht stimmig. Es herrsche ein unglaublicher Druck im System, man müsse aus diesem Leistungs- und Wachstumsdilemma ausbrechen. Die Gesellschaft müsse mentalen Erkrankungen, wie etwa Psychosen, mit mehr Offenheit begegnen und sich stärker mit Betroffenen und ihren Lebenssituationen, mit ihrem Umfeld beschäftigen. Es brauche Arbeits- und Wohnstrukturen für Menschen mit mentalen Erkrankungen, wo diese sich trotz geminderter Leistungsfähigkeit einbringen könnten. Wenn es immer nur um die Durchsetzung von Macht gehe, mache das die Menschen krank. Einzelne erwähnten, der direkte Dialog mit Betroffenen sei unentbehrlich, um gemeinsam Lösungen zu finden.

In dem Sinne tritt Catherine Richard auch für die Anpassung der Krankschreibungen ein. „Es ist kon-
traproduktiv, eine Person, die aufgrund einer mentalen Erkrankung arbeitsunfähig ist, das Verlassen des Hauses zu verwehren. Wenn jemand unter einer Depression leidet, kann es hilfreich sein, in den Urlaub zu fahren, Freund*innen zu treffen, auszugehen“, betont sie. „Wer mit einer Grippe im Bett liegt, braucht hingegen Ruhe. Hier muss differenziert werden.“ Die Anpassung der Krankenscheine sei bisher jedoch nur am Rande anderer Diskussionen mit der Krankenkasse angesprochen worden.

Die zähen Verhandlungen zwischen der Fapsylux und der Krankenkasse, die Ende letzten Jahres erneut auf Eis gelegt wurden, lassen erahnen, wie die Krankenkasse mit Änderungsvorschlägen im Hinblick auf mentale Gesundheit umgeht. Am Ende musste Claude Haagen, Minister für Soziale Sicherheit, einschreiten und die Bestimmungen für die Kostenübernahme festlegen, weil sich die Parteien seit 2018 nicht einig wurden: Psychotherapie für Minderjährige wird seit Februar ganzheitlich von der CNS bezahlt, bei Erwachsenen liegt der Erstattungsbetrag bei 70 Prozent. Die Kosten für psychiatrische Behandlungen werden übrigens seit Jahren bei Erwachsenen zu 88 Prozent und bei Minderjährigen vollständig von der Krankenkasse übernommen. Der Preis für eine fünfzig- bis sechzigminütige Therapiesitzung bei Psychotherapeut*innen wurde vom Ministerium auf rund 144 Euro festgelegt. Damit die CNS die Kostenübernahme bewilligt, muss eine ärztliche Verschreibung vorliegen. Zwar erklärte der Staatsrat das großherzogliche Reglement im Januar für verfassungswidrig, doch Haagen hielt daran fest und versicherte in den Medien, man würde im „Code de la sécurité sociale“ nachbessern. Lisa teilte der woxx mit, ihre Therapeutin hätte ihre Preise seitdem erhöht. Kein Einzelfall, wie Rachel Brixius durch den regelmäßigen Austausch mit Betroffenen bestätigen kann. Immerhin hatte die Fapsylux eine Rückerstattung in Höhe von 175 Euro – die CNS nur 127 Euro – eingefordert, der Haagen nicht nachkam.

„Mentale Gesundheit wird im luxemburgischen Gesundheitssystem stiefmütterlich behandelt. In Bezug auf die Kostenrückerstattung der Psychotherapie kann ich nur sagen: Jetzt liegt das Kind im Brunnen“, kommentiert Catherine Richard die jetzige Situation. „Es gibt viele Punkte, die wir in den nächsten zwei Jahren anpassen und ergänzen müssen. Das Gesetz ist nicht in Stein gemeißelt.“ Für sie gibt es weitere Punkte, die auf die Agenda gehören. Als „dringend“ beschreibt sie die Reglementierung des Berufs der Psycholog*innen, denn zur Zeit könnten Menschen, die ein paar Wochenendseminare besucht haben, sich hierzulande Psycholog*innen nennen. „Das kann gefährlich sein, wenn fragile Personen auf schlecht ausgebildete Behandler*innen stoßen“, warnt Richard.

„Den Menschen in Luxemburg geht es derzeit extrem schlecht und wir haben nicht genug Expert*innen, die dies auffangen können.“

Der Beruf der Psychotherapeut*in-
nen ist seit 2015 reglementiert und demnach an den Nachweis bestimmter Bildungsabschlüsse geknüpft. Marc Stein, Präsident der Société luxembourgeoise de psychologie (SLP), versicherte der woxx auf Nachfrage, die SLP bemühe sich seit Jahren um eine präzisere Definition der Anforderungen für die entsprechende Berufsbezeichnung, doch werde dies aufgeschoben. Jährlich würden sich um die zehn Personen mit einer Beschwerde über Psycholog*innen an die SLP wenden, Stein geht jedoch von einer höheren Dunkelziffer aus. Generell könne die SLP nur eingreifen, wenn es sich bei den Therapeut*innen um eigene Mitglieder handele. Andernfalls seien ihr sowie den Betroffenen die Hände gebunden. Psychotherapeut*innen hingegen können bei Verstößen dem „Collège médical“ gemeldet werden, auch eine Anzeige ist möglich, da die Berufsbezeichnung an juristisch festgelegte Kriterien gebunden ist.

Ein weiteres Problem ist die starke Nachfrage nach Therapieplätzen. Laut einer Studie des Luxembourg Institute of Health (LIH) aus dem Jahr 2017 klagen rund 20 Prozent der Bevölkerung über Symptome einer Depression. Für die Studie wurden 1.499 Einwohner*innen zwischen 25 und 64 Jahren befragt. Aus der European Health Interview Survey (EHIS) von 2019 geht sogar hervor, dass Luxemburg im Vergleich mit 24 anderen EU-Ländern an erster Stelle steht, was das Auftreten depressiver Symptome in der Bevölkerung betrifft. An der EHIS-Studie beteiligten sich europaweit 250.000 Teilnehmer*innen.

Der große Bedarf an Hilfe schlägt sich im Alltag der Fachärzt*innen für mentale Erkrankungen nieder. „Der Beruf ist nicht attraktiv, kostenfreie Beratungsstellen sind überlastet“, sagt Richard. „Den Menschen in Luxemburg geht es derzeit extrem schlecht und wir haben nicht genug Expert*innen, die dies auffangen können.“ Durch die Möglichkeit der Kostenübernahme steige die Nachfrage weiter an. „Mir persönlich ist es unmöglich, neue Patient*innen aufzunehmen – und das ist grausam, wenn sie verzweifelten Menschen absagen müssen.“

Für Richard liegt der Schlüssel deswegen nicht zuletzt in der Präventionsarbeit und in der Schaffung von Anlaufstellen für Betroffene. Die Menschen sollten das Gefühl haben, sich bei negativ einschneidenden Erlebnissen an eine vertrauenswürdige Instanz wenden zu können, bei der sie sich gut aufgehoben fühlen. „So kann einer Depression vorgebeugt werden“, gibt Richard zu bedenken. „Die Suizidrate in Luxemburg ist immer noch sehr hoch. Mentale Erkrankungen sind ein Zeichen dafür, dass das Fass übergelaufen ist und dazu darf es gar nicht erst kommen.“

* Name von der Redaktion geändert

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